Der Mythos Eternauta - Héctor Germán Oesterheld
Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart
18.01.2016 bis 15.04.2016
Aliens in Argentinien
Außerirdische übernehmen die Macht in Buenos Aires: So der Plot von "El Eternauta", der berühmteste argentinische Comic überhaupt. Entstanden in den 1950er Jahren, gilt er als Prophetie auf die Militärdiktatur. Das Literaturhaus Stuttgart widmet dem Werk eine Ausstellung.
"Wohin man auch sah, über alles legte sich der Schnee, unwirklicher Schnee, Zeichentrickschnee, todbringender Schnee..." – damit beginnt die Botschaft des seltsamen Gastes, der sich eines Nachts auf dem Besucherstuhl des argentinischen Comic-Autors Héctor Oesterhold materialisiert: Eternauta, der ewige Zeitreisende, der seine Familie und seine Freunde sucht und fürchten muss, dass alle tot sind. Denn jeder, der seine Fenster nicht schnell genug abdichten konnte und keinen Schutzanzug im Keller hatte, war machtlos gegen die giftigen Flocken, gegen monströse Käfer, gespenstische Riesenhände, ferngesteuerte Stachelmonster.
Der Kampf gegen diesen vernichtenden Terrorangriff einer anonym bleibenden Macht, von 1957 bis 59 gezeichnet und geschrieben, ist in der Science-Fiction-Comicserie "Eternauta" im Jahr 1963 angesiedelt. Er findet nicht auf einem Schlachtfeld statt, sondern beginnt mitten in der Stadt, im kaum mehr vertrauten Lebensraum.
Internationale Spannungen - plastisch in einem Comic
Der Eternauta-Comic wurde ein großer Erfolg, sicher auch, weil Oesterhold in den gewalttätigen Auseinandersetzungen der ja "nur" gezeichneten Figuren die bedrohlichen internationalen Spannungen seiner Zeit plastisch zum Ausdruck gebracht hatte. Aber geradezu gespenstisch mutet es an, dass er 20 Jahre später selber Opfer der Militärdiktatur wurde.
Und so präsentiert das Literaturhaus Stuttgart nicht nur Bilderfolgen aus der für dieses Wanderausstellungsprojekt entstandenen ersten deutschen Übersetzung von Eternauta. Im Zentrum der Ausstellung steht, so ihr Initiator und Kurator Erwin Krottenthaler:
"Dass wir immer die Geschichte der Familie Oesterheld mit dem Comic spiegeln. Wir haben aus diesem Riesenwerk bestimmte Motive herausgenommen aus diesem Comic, wo wir bestimmte Themen deutlich machen können, eben 'Der Widerstand organisiert sich'; was passiert dann, als diese Invasion von außen über Buenos Aires und Argentinien kommt. Da haben wir einzelne Sequenzen rausgenommen. Wir versuchen zu erläutern, was passierte denn damals in Argentinien und spiegeln das dann mit der Familie Oesterheld."
Zeugin dieser Anklage gegen das Terrorsystem, die Einzige, die die Auslöschung ihrer Töchter und ihres Mannes überlebte, ist Elsa, die Ehefrau Oesterhelds. Im Rahmen eines für die Ausstellung produzierten Dokumentarfilms kommt sie eindrucksvoll zu Wort und schildert in ernüchtertem Klartext die Banalität und die Perfidie des Bösen, die alltägliche, kaum erträgliche Mischung von Hilflosigkeit, stoischem Widerstand und verzweifelter Suche nach den Verschwundenen und Toten.
Nervös ausgeleuchtete, vibrierende Bilder
Zusammen mit weiteren Überlebenden ist sie Kronzeugin eines perfiden, in Stuttgart unter den Kategorien "Gefangen im Folterlager", "Verschwinden" und "Herrschaft der Angst" veranschaulichten Einschüchterungssystems. Über 600 geheime Haft- und Folterlager gab es in Argentinien: mitten in Wohngebieten, Wand an Wand mit verängstigten Nachbarn, stummen Zeugen, die erst heute zu sprechen wagen.
Dort ließ man Menschen am helllichten Tage verschwinden – oft für immer. Rechtzeitig vor der Fußball WM 1978 wurden manche von ihnen in aller Eile dem Erdboden gleichgemacht. Heute - der argentinische Aufarbeitungsprozess gilt als vorbildlich für andere südamerikanische Staaten - dienen diese Lager als Mahnungs- und Erinnerungsstätten.
Indem man Oesterhelds von Francisco Lopez phantastisch illustrierte graphic novel mit ihren nervös ausgeleuchteten, vibrierenden Bildern jetzt auf Deutsch ediert, leisten die Initiatoren des Projekts eine überaus wertvolle aufklärerische Arbeit. Und ohne didaktische Verrenkungen wird ein ganz wesentliches, für uns neues Kapitel wagemutiger und phantasievoller Ästhetik des Widerstands aufgeschlagen.