Graubärtiger Autodidakt
In der Sektion Forum der Berlinale läuft "Schneekreuzer" des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho - prominent besetzt mit Tilda Swinton und John Hurt. Die Vorlage für die düstere Science-Fiction-Parabel lieferte eine Graphic Novel des französischen Wahlberliners Jean-Marc Rochette.
Prolof ,der Comic-Held aus "Snowpiercer" oder "Schneekreuzer" hängt lebensgroß in einer Wohnung im Berliner Wedding. Ein gemaltes Porträt grau in grau, ein kantiger kahler Schädel. So sieht einer aus, der nichts zu verlieren hat.
"Ich war Prolof, das war mein Gesicht, ich war jung. Ich habe in einen Spiegel gesehen."
Der Comiczeichner Jean-Marc Rochette hat ihn vor 30 Jahren als sein Ebenbild gezeichnet.
Prolof - oder wie er im Film heißt Curtis - lebt im hinteren Teil des Schneekreuzers, eines riesenlangen Zuges, der durch eine apokalyptische Eislandschaft donnert. An Bord die letzten Überlebenden einer Kältekatastrophe, streng getrennt nach sozialen Schichten. Im hinteren Teil vegetieren die Menschen zusammen gepfercht in Güterwaggons. Im vorderen Teil residiert die Privilegierten-Klasse im Luxus mit künstlichen Gärten und Swimmingpool. Die eigentliche Geschichte des Comics beginnt, als Prolof aus dem Güterwagen-Ghetto in den vorderen Zugteil flieht.
"In meiner Geschichte ist er ein Anarchist, ohne Hoffnung er will nicht eine Revolution machen, er will nur essen und warm er hat keine große Idee für die Menschheit . Er ist ein bisschen 'zynic'."
Wunschberuf Bergführer
Das Angebot von Jacques Lob, seine Science-Fiction Zugparabel zu illustrieren, brachte für den jungen Comiczeichner Jean-Marc den entscheidenden Karrieresprung. Dabei stand Comiczeichnen erst an dritter Stelle seiner Wunschberufe:
"Ich wollte zuerst ein Maler sein oder ein Bergführer. Ich komme aus Grenoble und das war meine erste Leidenschaft. Und ich habe einen Unfall gehabt, einen Stein auf meinen Kopf. Bung!"
Und weil der junge Jean-Marc die Comicszene viel aufregender fand, als die akademische Malerei an der Kunsthochschule, begann er zu zeichnen.
"Ich bin Autodidakt!"
Bis auf ein paar Semester Kunstgeschichte.
Der amerikanische Comiczeichner Robert Crumb wurde sein Held. Inspiriert von dessen legendärem Anarchohelden Fritz the Cat, erfand Rochette Edmond le Coucho, Edmund das Schwein. Aber der Durchbruch kam mit "Schneekreuzer".
Jean-Marc Rochette hat später Voltaires "Candide" illustriert und Homers "Odyssee". Aber der Schneekreuzer hat ihn nicht losgelassen. Zwei Fortsetzungen sind mittlerweile erschienen. Von den scharfen schwarz-weiß Kontrasten und scharfkantigen Gesichtern, hat sich der Illustrator verabschiedet. In den letzten Folgen rast der Zug durch Eis und Schnee wie auf einem Ölgemälde. Mit seinem Alter Ego hat der Mitfünfziger nicht mehr viel gemein: grauer Bart, nicht mehr ganz so schlank.
Seit vier Jahren in Berlin
Vor vier Jahren ist er von Paris nach Berlin gezogen, um in Ruhe arbeiten zu können. Er lebt allein. Seine Freundin:
"Eine Ossi!"
In der Nachbarschaft. Wie sich Rochette fühlt, solange nach seinem Anfangserfolg, seinem Helden Prolof auf der Leinwand wiederzubegegnen?
"Für mich das war wie ein Wunder, das war wie ich eine Lotterie gespielt habe. Vor allem weil der Regisseur Bong Joon-ho eine Raubkopie des Comics gelesen hat, die es hätte in Korea gar nicht geben dürfen."
Bong Joon-ho hat aus Rochettes Vorlage eine ganze eigene Geschichte gemacht. Aus dem Zyniker Prolof ist der heldenhafte Anführer Curtis geworden. Viele Charaktere sind weggefallen und neue dazu gekommen. Darunter quasi ein Kollege Rochettes.
Ein Maler der Armen, der den Aufstand der Güterwagen-Passagiere mit seinen Zeichnungen protokolliert.
"Das sind Zeichnungen für den Film. Und ich habe gemacht die Malerei für den Film."
Demnächst wird es mehr davon auch in gedruckter Form geben.
Denn für den Künstler ist die Geschichte vom Schneekreuzer noch nicht zu Ende. Und deswegen arbeitet er an einer Fortsetzung, an deren Ende, dann vielleicht etwas steht, was die Verfilmung der Comicvorlage voraus hat.
"Eine Art Happy End."