Schön lebendig und ein bisschen räudig
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Seinen ersten Erfolg feierte der Comiczeichner Mawil mit einem Band über eine Kindheit in der DDR. Nun durfte der Berliner als erster Deutscher einen Lucky-Luke-Band zeichnen. Ein Besuch in Mawils berühmt-berüchtigten Atelier.
Mawils Gemeinschafts-Atelier liegt im zweiten Hinterhof eines ehemals besetzten Hausprojekts, zweiter Stock: Ein großer heller Raum mit fünf Arbeitsplätzen, in dem heute außer Mawil aber nur einer arbeitet.
"Das ist unser Atelier, hier ist der Reinhard Kleist, der berühmteste und älteste von uns und ich sitz da hinten. Das ist der berühmte Bleistiftanspitzer. Den gab‘s in einem Zeichentrickstudio, wo ich mal ein Praktikum gemacht habe, und das ist ganz praktisch, wenn man viel mit Bleistift zeichnet und die Kollegen in den Wahnsinn treiben will."
An den Wänden in Mawils Ecke kleben Sticker und Poster, in einer alten Gummibärenkiste stapeln sich CDs. Neben einer Uhr ohne Zeiger hängt ein Regal mit einer großen Sammlung Fanzines, kleinen schwarz-weiß kopierten DIN-A5-Heftchen, "die haben Kollegen gemacht", sagt Mawil. Ein Computerbildschirm auf dem Schreibtisch hat gerade so Platz, überall liegen Stifte, Papier, Kartons. Unter dem Tisch stehen karierte Pantoffeln. Ob er die zum Zeichnen trägt?
"Im Winter. Also wenn man halt schon sechs, sieben Stunden hier ist am Tag, soll es schon gemütlich sein. Man ist ja jetzt nicht in einer alten Fabrikhalle oder so."
Kaum gleichgesinnte Comiczeichner in der DDR
Mawil ist ein Typ mit Brille, Bart und Wuschelkopf und verkörpert ganz gut den eigenbrötlerisch vor sich hin kritzelnden Comiczeichner, der mit treffsicherem Humor und einer scharfen Beobachtungsgabe überrascht. 1976 in Ostberlin geboren, zeichnete er jahrelang Comics, ohne je auf Gleichgesinnte zu treffen. In der DDR gab es zwar die Mosaik-Hefte, aber an franko-belgische oder amerikanische Comics war nur schwer ranzukommen.
"Es gab auch schon Asterix und Lucky-Luke-Sachen, die natürlich dann unter der Hand weitergetauscht und wie Heiligtümer behandelt wurden. Wenn man halt gute Freunde hat, die einem das auch mal ausgeliehen haben, dann hat man die Sachen auch gelesen, auch öfters gelesen und jedes einzelne Bildchen studiert und genau überlegt, wie haben die das mit den Linien gemacht und warum sieht das so sauber aus und wieso haben die da gedruckte Schrift in den Sprechblasen, kann man das mit der Schreibmaschine nachmachen und so Sachen."
Zettel zum Kopierladen tragen
Seine ersten Comics waren Fanzines, für die er seine gezeichneten Zettel zum Kopierladen trug und dort kleine Heftchen kopierte. Heute sieht sein Arbeitsprozess ein bisschen anders aus. Hat er eine Idee für eine Story, sammelt er erst mal alle Szenen und Plot Twists, die ihm zum Thema einfallen.
"Und dann hab ich einen Riesenstapel an Gags und Ideen und muss die dann irgendwie chronologisch und dramaturgisch sortieren, die krassesten lustigsten Sachen ganz nach hinten, eher so, und einen guten Einstieg. Dann macht man ein Storyboard, das heißt, man macht alle Seiten so, wie sie im Heft sind. Man skribbelt schon mal ganz grob auf und sieht schon, wer steht wo, wer sagt was, antwortet der eine Typ im selben Kästchen oder erst zwei Kästchen später."
Anschließend zeichnet er die Skizzen ins Reine. Auch das macht er mit Bleistift statt wie die meisten mit Fineliner oder Tinte – eine stilistische Entscheidung.
"Wenn du mit einem schwarzen Stift diese richtige Bleistiftlinie nachzuziehen versuchst, dann geht für meinen Geschmack immer so viel von dem originalen Schwung verloren. Deswegen versuche ich mit dem Bleistift gleich die richtige Linie zu treffen – da sind vielleicht auch noch zwei, drei falsche dabei, die ich dann später rausretuschiere – und male sozusagen nur mit Bleistift, weil die Linie dann noch so einen schön lebendigen, bisschen räudigen, kratzigen Effekt hat, und scann dann die Sachen ein. Durchs Einscannen kannst du dann den Kontrast ein bisschen erhöhen, sozusagen, als wenn du eine Bleistiftzeichnung auf einen Kopierer drauflegst. Auf einer zweiten Ebene in Photoshop wird dann die Farbe angelegt."
Tragikomik des Scheiterns
Inhaltlich schöpft Mawil aus seinem Umfeld, es geht um Beziehungen, Freundschaft, Alltägliches. Meist leben seine Figuren von der liebenswerten Tragikomik des Scheiterns. Sein neuester Comic über Lucky Luke war für ihn deshalb in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung – nicht nur trat er in sehr große Fußstapfen, vielmehr ist die Hauptfigur auch noch ein cooler Cowboy, dem alles gelingt.
"Deswegen passte das mit dem Fahrrad ganz gut, weil er musste sich sozusagen erst mal in so ein neues Aufgabenfeld reinarbeiten. Also er scheitert erst ein bisschen, bevor er dann siegt."
Mawil selbst ist bekennender Radfan – unschwer lässt sich erkennen, wieviel von ihm selbst in seinen Comics steckt: Das Fahrrad von Lucky Luke ist auch eine Art Ersatz für ein anderes Mawil-typisches Accessoire.
"Für mich sehr, sehr neu – das ist eine der ersten Hauptfiguren ohne Brille für mich. Ich glaube, selbst wenn ich mir mal die Augen lasern würde, ich würde meine Figuren immer mit Brille malen."