"Als Musikerin aufzutreten, wurde als unehrenhaft empfunden"
Von Glamour-Pop bis Folklore: Auf "Turkish Ladies" hat Kornelia Binicewicz neun Songs türkischer Frauen aus den 70er- und 80er-Jahren zusammengestellt. In der Auswahl steckt viel Groove - und sie zeigt wie die Gesellschaft damals tickte.
Martin Böttcher: Was sind das für Lieder, was sind das für Frauen, die wir auf "Turkish Ladies" finden?
Kornelia Binicewicz: Die Compilation "Turkish Ladies" zeigt in erster Linie, wie divers die Sängerinnen-Szene in der Türkei der späten 70er bis zu den 80ern war. Sie reichte von Glamour-Pop bis zur Folklore. Die Songs sollten außerdem tanzbar sein, denn das dominierte in jenen Jahren. Auch wenn die Songs also von Menschen mit einem anderen Kulturverständnis und einer anderen Tradition kommen, steckt sehr viel Groove in ihnen.
Böttcher: Die türkische Musik ab den 70ern, die erfährt seit einiger Zeit große Aufmerksamkeit aus dem In- und Ausland. Allerdings sind in den zahlreichen Neuauflagen und Compilations fast nur Männer vertreten. Warum ist das eigentlich so?
Binicewicz: Das habe ich mich selbst lange gefragt. Mein Entschluss, in die Türkei zu gehen und die Geschichte der türkischen Sängerinnen zu erforschen, war genau dieser Leerstelle geschuldet. Wenn man sich nämlich die Kataloge türkischer Labels anguckt, stellt man schnell fest, dass es zahlreiche Sängerinnen gab. Aber niemand hat ihnen je große Beachtung geschenkt. Auch nicht im Rahmen des von Ihnen angesprochenen Revivals, das wir gerade erleben.
Ich habe also mein Leben in einem kleinen Koffer verstaut und bin nach Istanbul gezogen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Meine Leitfragen: Warum interessieren sich die Türken nicht im selben Maße für ihre Sängerinnen wie für ihre Sänger? Und weshalb verhält sich das auch im Ausland so?
Kornelia Binicewicz: Die Compilation "Turkish Ladies" zeigt in erster Linie, wie divers die Sängerinnen-Szene in der Türkei der späten 70er bis zu den 80ern war. Sie reichte von Glamour-Pop bis zur Folklore. Die Songs sollten außerdem tanzbar sein, denn das dominierte in jenen Jahren. Auch wenn die Songs also von Menschen mit einem anderen Kulturverständnis und einer anderen Tradition kommen, steckt sehr viel Groove in ihnen.
Böttcher: Die türkische Musik ab den 70ern, die erfährt seit einiger Zeit große Aufmerksamkeit aus dem In- und Ausland. Allerdings sind in den zahlreichen Neuauflagen und Compilations fast nur Männer vertreten. Warum ist das eigentlich so?
Binicewicz: Das habe ich mich selbst lange gefragt. Mein Entschluss, in die Türkei zu gehen und die Geschichte der türkischen Sängerinnen zu erforschen, war genau dieser Leerstelle geschuldet. Wenn man sich nämlich die Kataloge türkischer Labels anguckt, stellt man schnell fest, dass es zahlreiche Sängerinnen gab. Aber niemand hat ihnen je große Beachtung geschenkt. Auch nicht im Rahmen des von Ihnen angesprochenen Revivals, das wir gerade erleben.
Ich habe also mein Leben in einem kleinen Koffer verstaut und bin nach Istanbul gezogen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Meine Leitfragen: Warum interessieren sich die Türken nicht im selben Maße für ihre Sängerinnen wie für ihre Sänger? Und weshalb verhält sich das auch im Ausland so?
Männerdomäne Musikindustrie
Böttcher: Was haben Sie herausgefunden?
Binicewicz: In den 70ern und 80ern gab es zuerst einmal eine ganze Reihe von männlichen Sängern, die die damalige Szene dominierten und damit auch die Rezeption türkischer Musik prägten. Aber es gab daneben auch zahlreiche Frauen, die mit ihnen zusammen auf der Bühne standen; die mit großen, respektablen Orchestern auftraten und auf ihre Art sehr besonders waren. Nur wurden die von der breiten Öffentlichkeit eher als eine Art Dekoration wahrgenommen, und zwar als Dekoration einer Musik, die von Männern gemacht war. Die Position singender Frauen in der Musikindustrie war überhaupt sehr schwierig.
Ich sage nun etwas, was sich auf viele Teile der Welt übertragen lässt, aber eben auch auf die Türkei jener Zeit galt: Man war der Meinung, dass Frauen nicht zu sehr in der Öffentlichkeit stehen sollten. Als Musikerin aufzutreten, wurde als unehrenhaft empfunden.
Binicewicz: In den 70ern und 80ern gab es zuerst einmal eine ganze Reihe von männlichen Sängern, die die damalige Szene dominierten und damit auch die Rezeption türkischer Musik prägten. Aber es gab daneben auch zahlreiche Frauen, die mit ihnen zusammen auf der Bühne standen; die mit großen, respektablen Orchestern auftraten und auf ihre Art sehr besonders waren. Nur wurden die von der breiten Öffentlichkeit eher als eine Art Dekoration wahrgenommen, und zwar als Dekoration einer Musik, die von Männern gemacht war. Die Position singender Frauen in der Musikindustrie war überhaupt sehr schwierig.
Ich sage nun etwas, was sich auf viele Teile der Welt übertragen lässt, aber eben auch auf die Türkei jener Zeit galt: Man war der Meinung, dass Frauen nicht zu sehr in der Öffentlichkeit stehen sollten. Als Musikerin aufzutreten, wurde als unehrenhaft empfunden.
Böttcher: Wir sprechen hier in der Tonart mit der Musikjournalistin Kornelia Beneciwic über die von ihr zusammengestellte Compilation "Turkish Ladies". Darauf sind neun Lieder zu finden von türkischen Frauen, eingespielt zwischen 1974 und 1988. Alle neun Lieder sind auf ihre Art interessant. Aber der Auftaktsong hat eine besondere Geschichte. "Bir Şans Daha Ver" heißt dieses Lied, gesungen von Huri Sapan. Musik, die einem bekannt vorkommen könnte.
Binicewicz: Ja, gerade über diesen Song und diese Künstlerin gibt es so viel zu erzählen. Ein Foto der Sängerin aus dem Jahr 1974 habe ich sogar zum Cover der Compilation gemacht. Als ich an der Zusammenstellung der Musik gearbeitet habe, habe ich mich mit ihr getroffen. Huri Sapan entstammt einer sehr traditionellen Familie, die am Rande des Schwarzen Meeres zuhause ist. Dass sie Sängerin werden wollte, konnten ihre Eltern nicht akzeptieren. Erst als sie später heiratete und ihr Schicksal damit sozusagen in den Händen ihres Ehemanns lag, konnte sie auf die Bühne treten. Ihr Mann, ein Bulgare, tolerierte ihren Wunsch, Musik zu machen. Trotz der anfänglichen Widrigkeiten gelang es dann Huri Sapan, eine große Karriere zu starten. Sie hat für wichtige türkische Labels Musik aufgenommen und ist mit renommierten männlichen Musikern aufgetreten. Aber ohne, dass ihr dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Und dann gibt es noch einen zweiten Grund, weshalb mir der Song so wichtig ist. Denn der Titel wurde Teil des Giorgio-Moroder-Soundtracks zu "Midnight Express", diesem Film aus dem Jahr 1978. Aber niemand hat je Huri Sapan für die Verwendung um Erlaubnis gefragt. Und Giorgio Moroder hat dafür einen Oscar bekommen.
Es geht auch ohne Drama
Böttcher: Wenn man sich diesen Song mal anguckt, also auch noch die anderen, die sich auf dieser Compilation finden: Vordergründig - das kann man auch in den Linernotes, in den Übersetzungen der Texte lesen - geht es um Liebe. Aber worüber haben die Frauen denn sonst noch gesungen in den 70ern beziehungsweise wofür stand diese Liebe? Was hat sich da vielleicht zwischen den Zeilen rauslesen lassen?
Binicewicz: Natürlich singen die Leute auf der ganzen Welt über die Liebe. Aber wenn wir genau zuhören, lernen wir hier etwas darüber, wie die Liebe in der Türkei verstanden wurde. In der Türkei sangen die Frauen meistens Texte, die Männer geschrieben hatten. Das ist sehr wichtig: Liebeslieder, die von Männern verfasst, aber von Frauen interpretiert wurden. Das Publikum wiederum bestand aus Frauen und Männern, die die dargestellten Rollenbilder womöglich in ihren eigenen Liebesbeziehungen reproduzierten. Ein Teufelskreis sozusagen. In den Songs, die ich kompiliert habe, finden sich zwei Beziehungssituationen: In der ersten geht es um Betrug oder darum, dass der Mann sich scheinbar grundlos aus dem Staub gemacht hat. Die Frau sieht daraufhin keinen Sinn mehr im Leben und möchte am liebsten sterben.
Aber es war mir auch wichtig, Texte mit aufzunehmen, die von Frauen stammen. Und das ist die zweite Situation. Da geht es in einem Song zum Beispiel um zwei Menschen, die perfekt zusammenpassen - ganz ohne Drama. Anders wenn die Texte von Männern kommen: Dann sind die Protagonistinnen meisten absolut verzweifelt. Das ist sehr charakteristisch für diese Zeit.
Böttcher: Wenn man diese Lieder aus den 70ern und 80ern nimmt, aus der Zeit rund um den dritten Militärputsch in der Türkei - wie verhalten sich diese Lieder dann zur Türkei unter Präsident Erdogan? Was sagen sie uns über die heutige Zeit?
Binicewicz: Schwierige Frage. Ich werden hier nichts über Erdogan sagen. Die Songs zeigen, wie die türkische Gesellschaft zu dieser Zeit getickt hat. Und die Lieder zeigen auch, dass sich Ansichten verändern können. Wie sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ändern kann. Die Türkei bewegt sich heute in vielerlei Hinsicht in eine radikalere Richtung, denkt man nur an den Nationalismus. Das Land ist nicht in dem Maße demokratisch, wie wir es gerne hätten.
Diese Lieder zeigen, dass, wenn wir Gleichberechtigung und demokratische Werte vernachlässigen, den Leuten verbieten, sie selbst zu sein - dann nimmt eine Gesellschaft destruktive Züge an. Damals, als diese Songs aktuell waren, befand sich die Türkei in einer sehr schwierigen Lage - und auch jetzt, so kurz vor der Wahl, ist die Situation ebenfalls schwierig. Ich wünsche mir, dass die Songs auf der Compilation den Menschen Hoffnung schenken - und Kraft, die Stimme zu erheben.
Binicewicz: Natürlich singen die Leute auf der ganzen Welt über die Liebe. Aber wenn wir genau zuhören, lernen wir hier etwas darüber, wie die Liebe in der Türkei verstanden wurde. In der Türkei sangen die Frauen meistens Texte, die Männer geschrieben hatten. Das ist sehr wichtig: Liebeslieder, die von Männern verfasst, aber von Frauen interpretiert wurden. Das Publikum wiederum bestand aus Frauen und Männern, die die dargestellten Rollenbilder womöglich in ihren eigenen Liebesbeziehungen reproduzierten. Ein Teufelskreis sozusagen. In den Songs, die ich kompiliert habe, finden sich zwei Beziehungssituationen: In der ersten geht es um Betrug oder darum, dass der Mann sich scheinbar grundlos aus dem Staub gemacht hat. Die Frau sieht daraufhin keinen Sinn mehr im Leben und möchte am liebsten sterben.
Aber es war mir auch wichtig, Texte mit aufzunehmen, die von Frauen stammen. Und das ist die zweite Situation. Da geht es in einem Song zum Beispiel um zwei Menschen, die perfekt zusammenpassen - ganz ohne Drama. Anders wenn die Texte von Männern kommen: Dann sind die Protagonistinnen meisten absolut verzweifelt. Das ist sehr charakteristisch für diese Zeit.
Böttcher: Wenn man diese Lieder aus den 70ern und 80ern nimmt, aus der Zeit rund um den dritten Militärputsch in der Türkei - wie verhalten sich diese Lieder dann zur Türkei unter Präsident Erdogan? Was sagen sie uns über die heutige Zeit?
Binicewicz: Schwierige Frage. Ich werden hier nichts über Erdogan sagen. Die Songs zeigen, wie die türkische Gesellschaft zu dieser Zeit getickt hat. Und die Lieder zeigen auch, dass sich Ansichten verändern können. Wie sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ändern kann. Die Türkei bewegt sich heute in vielerlei Hinsicht in eine radikalere Richtung, denkt man nur an den Nationalismus. Das Land ist nicht in dem Maße demokratisch, wie wir es gerne hätten.
Diese Lieder zeigen, dass, wenn wir Gleichberechtigung und demokratische Werte vernachlässigen, den Leuten verbieten, sie selbst zu sein - dann nimmt eine Gesellschaft destruktive Züge an. Damals, als diese Songs aktuell waren, befand sich die Türkei in einer sehr schwierigen Lage - und auch jetzt, so kurz vor der Wahl, ist die Situation ebenfalls schwierig. Ich wünsche mir, dass die Songs auf der Compilation den Menschen Hoffnung schenken - und Kraft, die Stimme zu erheben.