Computer statt Couch

Von Kim Kindermann |
Immer mehr Menschen leiden unter sozialer Phobie. Sie fürchten sich zu blamieren, sobald sie vor fremden Leuten sprechen, essen oder trinken sollen. Ihre Gedanken drehen sich allein darum, wie andere sie bewerten könnten. Hilfe bietet nun eine neuartige computergestützte Therapie.
"Eigentlich hatte ich immer schon Angst vor Situationen, in den ich irgendeine Art von Leistung erbringen sollte oder im Mittelpunkt stehen sollte, vor anderen meine ich. Genauso ist das jetzt auch wieder. Seit ich diese Beförderung erhalten habe, bin ich Leiterin eines Teams. Und wir treffen uns alle zwei Wochen zu einem Geschäftsmeeting. Bei diesem Meeting muss ich dem Team etwas sagen. Das ist wegen meiner Angst kaum möglich!"

Anne Tischler ist eine von drei Hauptfiguren, die in der computergestützten Therapie die Patienten begleiten wird. Sie dient als lebendes Beispiel. Und nimmt dafür die Rolle einer Frau ein, die unter einer sozialen Phobie leidet.

"Ich werde total rot im Gesicht, fange fürchterlich an zu schwitzen und außerdem klopft mir das Herz bis zum Halse. Das ist mir unglaublich peinlich. Meine Mitarbeiter sehen das und müssen berechtigterweise denken, was macht diese Frau in dieser Position?"

Gedanken, die typisch sind für Menschen mit sozialer Phobie. Einer Angststörung, die zirka sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung betrifft. Frauen sind dabei doppelt so häufig wie Männer betroffen. Ihnen allen gemein ist die ausgeprägte Angst in der Öffentlichkeit, also vor anderen Menschen zu versagen, erklärt die Psychologin Sonja Kiko vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit, an dem die kostenlose Therapie via Computer entwickelt wurde.

"Eine soziale Phobie ist eine Angststörung, bei der im Mittelpunkt steht, dass die Patienten befürchten sich in sozialen Situationen, das können Gespräche mit anderen sein, das können Vorträge, vor anderen essen, schreiben, trinken, dass sie sich peinlich verhalten könnten. Und diese Befürchtungen sind sehr stark. Die Patienten berichten oft, dass es mit starken körperlichen Symptomen verbunden ist: Sie haben das Gefühl extrem zu zittern, zu schwitzen, zu erröten und das andere das sofort wahrnehmen und entsprechend negativ bewerten."

Mit Hilfe des Computers soll diesen Menschen nun geholfen werden.
Gleichzeitig will man so auch überprüft, ob in Zeiten knapper Kassen der Computer nicht eine Alternative zum realen Therapeuten werden kann.

"Für manche ist es sicherlich wichtig, einem Menschen gegenüber zu haben, mit ihm direkt arbeiten. Es gibt aber sehr viele, und das ist gerade bei Menschen mit sozialer Phobie der Fall, dass sie diesen Kontakt oft als unangenehm empfinden, weil das ein zentrales Merkmal bei sozialer Angst ist, nämlich diese Furcht davor in irgendeiner Art und Weise negativ bewertet zu werden, so dass die interpersonelle Situation manchmal auch als aversiv erlebt wird."

Nach einem Eingangsgespräch mit einem Psychologen am Mannheimer Zentralinstitut erhält der Patient acht DVDs (mitsamt dazugehörigen Begleitheften), die er zuhause bequem am Computer bearbeiten kann. Sonderausstattungen braucht man keine. Auch keine besonderen Softwarekenntnisse. Einfach die DVD einlegen und los geht’s. Pro Woche je eine DVD, die zwischen 60 bis 90 Minuten lang ist. Durch die gesamten acht DVD-Sitzungen werden die Patienten von einer einfühlsamen und verständnisvollen Moderatorin geführt.

"Hallo. Herzlich willkommen zur ersten Sitzung. Mein Name ist Franziska von Arp und ich begleite sie als Moderatorin durch die acht Sitzungen auf dieser DVD."

Die Moderatorin erklärt Schritt für Schritt und leicht verständlich, wie soziale Ängste aussehen, wodurch sie ausgelöst werden, auf welchen Ebenen sich soziale Ängste zeigen können und welche Taktiken Patienten entwickelt, um mit der Angst leben zu können.

"Wenn sie zum Beispiel befürchten bei einem Vortag ins Stocken zu geraten, könnten sie ich schon vorher Sätze überlegen, um das befürchtete Stocken zu verhindern. Vielleicht haben sie aber auch Angst vor anderen Menschen zu zittern, dann könnten sie ein Glas oder einen anderen Gegenstand sehr fest umklammern, in der Hoffnung nicht zu zittern."

Scheibe für Scheibe taucht man so immer tiefer ein in das eigene Problem und lernt gleichzeitig: Man ist nicht allein. Das ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg der Heilung. Doch um seine Angst zu verlieren, muss man sich ihr zunächst aktiv stellen. Wie hier in dieser Übung:

"Wagen sie nun einen kleinern Versuch. Nehmen sie ein Glas in die Hand und versuchen sie es so zu halte, dass sie nicht zittern. Halten sie das Glas zwei bis drei Minuten ganz fest, ohne es abzustellen und versuchen sie nicht zu zittern. Bitte holen sie sich nun ein Glas und führen sie diesen Versuch durch. Drücken sie jetzt auf die Pausetaste, führen sie den Versuch durch und drücken sie anschleißend wieder die Starttaste."

Hilfe zur Selbsthilfe nennen die Programmentwickler diese äußerst klar strukturierte computergestützte Therapieform. Immer wieder wird der Nutzer daher direkt aufgefordert sich und seinen Zustand bewerten zu müssen.

"In Fragebogen F3 werden unterschiedliche körperliche Angstreaktionen aufgeführt. Kreuzen sie bitte die für sie zutreffenden Symptome an. Wählen sie dafür eine für sie typische Angstreaktion aus. Nehmen sie nun den Fragebogen F3 zur Hand und füllen sie diesen aus. Drücken sie nun auf die Pausetaste und beantworten sie den Fragebogen F3."

Am Ende jeder Sitzung, also jeder DVD, werden Hausaufgaben aufgegeben, die der Patient erledigen muss. Hausaufgaben können beispielsweise so genannte Verhaltensanalysen sein. Das heißt: man muss, so detailliert wie möglich, Angst auslösende Situationen beschreiben. Wie genau man das macht, wird ausführlich erklärt. Kontrolliert werden diese Hausaufgaben anschließend vom so genannten DVD-Therapeuten, mit dem der DVD-User in direktem Emailkontakt steht.

"Einmal in der Woche werden die Patienten eine Sitzung bearbeiten und sie haben zweimal wöchentlich auch Kontakt zu dem Therapeuten, der ihnen auch die Materialen ausgehändigt hat, bei diesem Therapeuten könne sie Rückfragen stellen, bekommen sie Informationen, wenn etwas unklar ist und der Therapeut wirkt da unterstützend und gibt auch noch mal Rückmeldung zu den Hausaufgaben."

Nach acht Wochen, so hoffen Sonja Kiko und ihre Kollegen, soll der DVD-Nutzer eine wesentliche Verbesserung seiner Symptome verspüren. Erste Ergebnisse stimmen die Forscher zuversichtlich: Patienten berichteten nach Abschluss der computergeschützten Therapie davon, dass die Ängste ihren Schrecken verloren hatten.

Mehr Informationen unter: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit