Computerpionier Dave Winer

„Das Internet löst sich vor unseren Augen auf“

13:05 Minuten
Der US-amerikanischer Softwareentwickler und Autor spricht auf einer Konferenz
Der Softwareentwickler und Autor Dave Winer auf einer Konferenz in Kopenhagen im Jahr 2007. Winer zählt zu den wichtigsten Stimmen des Silicon Valleys. © I, Helge.at auf Wikimedia.org
Moderation: Teresa Sickert und Marcus Richter |
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Mehr Demokratie, Beteiligung, kulturelle Vielfalt: Das war für viele die Grundidee des Internets. Oder dessen "Magie", wie es der amerikanische Computerpionier Dave Winer nannte. Davon sei allerdings nicht viel übrig geblieben. Was tun?
"Das Internet ist kaputt", hat Sascha Lobo vor mehr als vier Jahren verkündet, wenige Monate nach dem NSA-Skandal. In den folgenden Jahren stimmten immer mehr Internetpersönlichkeiten in das Lied ein: Das Internet würde als Kontrollinstrument missbraucht und die freiheitliche Gesellschaft untergraben.

Klub der wütenden Internet-Begründer

Nach wie vor machen sich die Vordenker des Netzes Sorgen. Der amerikanische Computerpionier Dave Winer, eine der wichtigsten Stimmen des Silicon Valleys, schreibt: "Wir sollten einen Klub der wütenden Internet-Begründer ins Leben rufen und darüber diskutieren, was zur Hölle hier passiert und wie wir den Leuten erklären, wie schön es unter dem ganzen Müllhaufen aussieht, mit dem uns die großen Internetfirmen zuschaufeln."
Warum ist Dave Winer gerade jetzt auf die Idee zu diesem Post gekommen – und nicht vor fünf Jahren? Dazu sagt er: "Diese Vorstellung, zuzuschauen, wie das Internet sich vor unseren Augen auflöst, ist kein neues Gefühl. Es ist ein allmählicher Prozess gewesen."

"Die Kapitalisten werden die Welt zerstören"

Im Allgemeinen spricht Winer damit die Kommerzialisierung des Netzes an. Die Eigenschaften des Internets als offener, freier Ort würden immer weiter verschwinden, weil große Firmen die Plattformen übernehmen und kommerzialisieren.
"Ich missgönne ihnen nicht, dass sie damit Geld verdienen. Aber es gibt einen ethischen Weg, dies zu tun, und mit einer größeren Vision. Und es gibt den kurzsichtigen Ansatz, wie den der Kapitalisten, die unter keiner Kontrolle stehen. Diese werden die Welt zerstören."

"Facebook ist kein schöner Ort"

Zudem benennt Winer konkret, was Tech-Giganten wie Facebook verändern: "Facebook ist an die Stelle von Blogs getreten. Doch Facebook besitzt nicht die wichtigsten Eigenschaften, die das Internet besitzt: Es erlaubt keine richtige Verlinkung, keinen Hypertext. Deine Posts haben keine Titel, man kann keine Podcasts integrieren."
Das höre sich nach Kleinigkeiten an, aber es seien große Errungenschaften gewesen, die das Internet von vorangegangen Medien unterscheiden. Wie der Netztheoretiker Evgeny Morozov fordert auch Winer, dass die Menschen ihre Daten selbst besitzen und die Gesellschaft die Kontrolle über diese Daten hat.

"Gesellschaft der einsamen Existenzen"

Doch denkt er, dass dies nun ein Ziel für die nächsten Generationen sei. Denn momentan zeichne sich ein anderer Trend ab – weg von einer pluralistischen Gesellschaft, hin zu einer, "in der wir alle in einsamen Existenzen leben".
"Wir sind austauschbare Einzelteile, die durch Algorithmen verbunden werden. Und diese Algorithmen sind nicht einmal menschlich. Wie wird entschieden, welche Nachrichten dir bei Facebook angezeigt werden? Es ist nicht transparent", beschwert sich Winer.

"Journalisten sollten keine Cheerleader sein"

Kritik äußert Winer auch am Journalismus, der in der Berichterstattung über Cambridge Analytica und auch in Bezug auf den US-Präsidenten Donald Trump versagt habe. Und was ist nun mit dem "Klub der wütenden Internet-Begründer"? Es sei in erster Linie ein Scherz gewesen, sagt Winer. Aber wenn es diesen Klub gäbe, dann müsste er offen für alle sein.
"Denn das ist die Natur des Internets: Es ist offen für alle. Es ist das Gegenteil von dem, was bei den Eliten der Gesellschaft passiert, wo es überall diese Grenzen gibt, um den Pöbel draußen zu halten und nur die 'echten' Denker reinzulassen. Das Internet hat das nicht."
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