Computerspiel "Mirror's Edge"

Starker Frauencharakter vor hölzerner Kulisse

Computerspiel-Fan beim Spielen
Computerspiel-Fan beim Spielen © dpa/ Jan Woitas
Von Marcus Richter |
Zukunftsträchtige Architektur, ein Staat mit Totalüberwachung und eine athletische Hauptheldin - all das sind ausgesprochen nützliche Komponenten für die Science-Fiction-Atmo. Das neue Computerspiel “Mirror’s Edge” hat all das. Nur stimmt die Kombination nicht so richtig.
"Geläuterte Mitarbeiterin, ich, bin Gabriel Kruger und heiße Sie im Namen von Kruger Sec und des Konglomerats-Vorstands wieder in unserer schönen Stadt Glass willkommen."
Die Zukunft ist strahlend weiß und unglaublich trist: Die Stadt Glass ist eine Ansammlung futuristisch eckigen Designs, überall Hochhäuser.
"Sie müssen sich unverzüglich eine Anstellung suchen und werden ständig durch Gridlink überwacht."
Eine ganz klassische Dystopie: Alle werden überwacht und unterliegen einem Regime aus Konsum und hartem militärischen Durchgreifen. Drohnen und Hubschrauber fliegen durch die Luft, nirgendwo sind Menschen zu sehen. Die Stadt wirkt seltsam leblos. Und das bleibt auch so. Schade.

Die Runner, eine Mischung aus Dieben und Untergrundkämpfern

"Die Stadt hat sich geändert, seit du geschnappt wurdest, Faith. KrugerSec greift selbst bei Bagatelldelikten hart durch."
Die wenigen, die scheinbar übrig geblieben sind, sind die Runner, eine Mischung aus Kurieren, Dieben und Untergrundkämpfern. Faith, die Hauptheldin, gehört zu Ihnen.
- "Geduld war noch nie deine Stärke, Faith”
- "Dachte, du machst ein Nickerchen. Das machen doch alte Leute so, oder?”

- "Pass auf, was du sagst, Faith”
Immerhin, eine Protagonistin, denke ich mir. Das ist doch schon mal was, starke Frauencharaktere in Videospielen hat man ja nicht so oft. Und trotzdem braucht Mirror’s Edge über vier Stunden, bevor es den Bechdel-Test besteht, mit dem man Popkulturgeschichten darauf prüfen kann, ob darin vorkommende Frauen noch etwas anderes machen, als mit oder über Männer zu reden.
- "Und was ist mit dem Run?"
- "Sprich mit Birdman, er sagt dir, was zu tun ist."
- "Dogen hat mir Grüße geschickt."
- "Ja, darum kümmern wir uns später. Jetzt geh. Überrasch mich.”
Die Vaterfigur, der nette potentielle Love-Interest, der Konkurrent, die irre Hackerin - Faith ist nicht von Figuren umgeben, sondern von klischeehaften, hölzernen Abziehbildern. Auch die Geschichte wirkt seltsam leblos - und das bleibt auch so. Schade.
- "Du hast also einen Run für mich?”
- "Richtig. Einen Datendiebstahl. Sehr gut bezahlt.”
Bleibt das Spiel selbst: Mirror’s Edge: Catalyst ist im Prinzip "Parcour - das Spiel”: Es geht darum aus der Ego-Perspektive durch die Stadt Glass zu laufen, springen, rollen, klettern und das - wenn möglich - so schnell es geht.

Auf der Suche nach dem Trance-Gefühl

"Runnerin, ich habe einen Job für dich! Ich wette, du liebst es zu laufen!”
Wenn das gut klappt, erzeugt das bei mir einen Flow, ein Trance-Gefühl im Geschwindigkeitsrausch. Dann zieht die Stadt an mir vorbei und ich kann für einen kurzen Moment nachfühlen, wie es ist, den eigenen Körper in vollendeter Präzision zu beherrschen.
"Maaaaaan! WAS SOLL DENN DAS!?”
Aber immer wieder ist das auch frustrierend, mal ist es das Leveldesign, dass es mir unmöglich macht zu erkennen, ob ich es geradeso über den Abgrund schaffe oder in meinen sicheren Tod stürze, mal ist es die Steuerung, die nicht so präzise ist, dass ich das Gefühl habe die komplette Kontrolle zu haben. Ärgerlich bei einem Spiel, bei dem es um Perfektion der Bewegung geht.
"Der einzige Weg führt durch den Aberdine Tower. Und da KSec dort ist, müsst ihr kämpfen."
Das ist für mich die Stelle, wo sich das Spiel selbst aufgibt: Die Kämpfe. Immer wieder wird das Rennen unterbrochen und ich muss gegen Wachleute kämpfen. Nicht ausweichen, nicht weglaufen, nicht die Angriffe der Gegner auf sie selbst in fließenden Bewegungen auf sie zurückwerfen, wie es einer Läuferin gebührlich wäre. Sondern stumpf mit Faust und Fußtritten auf die Gegner einprügeln.
- "Und das war's!"
- "Das war's?”
- "Was hast du denn erwartet?”
Was ich erwartet hätte? Eine perfekte, präzise Steuerung; eine Architektur die nicht nur schön aussieht, sondern auch funktioniert und eine echte dystopische Horrorvision statt einer hölzernen Storykulisse. Vor allem aber: Ein Spiel, dass keine Angst vor der eigenen Idee hat und diese konsequent umsetzt. Mirror’s Edge Catalyst ist leider nicht dieses Spiel und wirkt auf mich: Halbherzig. Seltsam leblos - und das bleibt auch so. Schade.

"Mirror’s Edge: Catalyst" ist für Windows PC, XBox One und PS4 erschienen und kostet ca. 60 Euro.

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