Sind Gamer-Gehirne gefährdet?
Computerspiele, so der immer gern erhobene Vorwurf, machen dumm, gewalttätig und einsam. Jetzt wollen Wissenschaftler der Uni Montreal herausgefunden haben: Exzessives Zocken führt zu Alzheimer. Wohl nur bei rechercheresistenten Redakteuren, kommentiert Marcus Richter.
"Na endlich!", hört man die Apokalyptiker auf der ganzen Welt förmlich aufatmen. Das ist der Beweis! Computerspiele machen eben doch krank! "GAMER IN GEFAHR: ACTIONSPIELE FÖRDERN ALZHEIMER", schreibt die "Bildzeitung", aber gut, da erwarten wir keine reflektierte Subtilität. Aber auch das Computermagazin "Chip" warnt: "Alzheimer wegen Call of Duty: 3D-Games lassen Gehirn verkümmern".
Es ist der Endgegner dessen, was Computerspiele angeblich verursachen: Wir hatten schon Haltungsschäden, soziale Vereinsamung und generelle Verdummung. Aber jetzt die perfekte Horrormeldung: Alzheimer, der graue Tod durch Vergessen, das ultimative Verschwinden bei lebendigem Leib, hervorgerufen durch Egoshooter. Ein Wunder, dass noch keine Verbotsforderungen laut wurden.
Kleiner Hippocampus = demenzgefährdet?
Aber schon ein genauer Blick auf die Meldung zeigt, dass von der Gefahrenschlagzeile nichts übrig bleibt. Forscher haben - an einer kleinen Gruppe von 59 Menschen - untersucht, welche Gehirnareale aktiv sind, wenn Menschen in einem Computerspiel ein Labyrinth durchqueren. Die meisten Nicht-Spieler nutzen den Hippocampus, während die meisten Spieler die Hirnregion Nucleus Caudatus nutzen, die vor allem mit Belohnung verbunden wird.
In vorherigen Studien wurde gezeigt: Menschen, die diese andere Region stärker nutzen, haben weniger Hirnmasse und Aktivität im Hippocampus. Und man weiß aus anderen Studien: Es gibt vielleicht einen Zusammenhang zwischen kleinem Hippocampus und Krankheiten wie Demenz oder Depression.
Lässt sich aus diesen beiden Einzelbeobachtungen schließen, dass Computerspiele dement machen - wie es Studie und Artikel nahelegen? Nein! Mal abgesehen davon, dass psychische Krankheiten hochkomplex sind und von vielen Faktoren abhängen und dass die Art der Studie höchstens einen Anfangsverdacht, aber wohl kaum ein gesichertes Ergebnis liefern kann: Es ist eben nicht nachgewiesen, "dass sich bei Dauer-Zockern die Hirn-Nutzung ändert" wie die Bild schreibt.
Hypothese bleibt Hypothese
Mit denselben Daten könnte man mit derselben Berechtigung vermuten: Depressive und demente Menschen lindern ihren Leidensdruck, in dem sie Computerspiele spielen, und somit fehlende Hippocampus-Aktivität durch Nutzung eines Belohnungshirnareals kompensieren. Klingt toll, oder? Ist aber genauso hanebüchen wie die anderen Schlagzeilen.
Aber was sagt uns denn diese Studie? Gegenüber der "Daily Mail" fasst es Professor Chris Chambers, ein Hirnforscher der Cardiff University zusammen: "Interessante Hypothese, aber es bleibt eben eine Hypothese."
Wir lernen also zwei Sachen: Einerseits, dass es auch in der Forschung Skandalisierung gibt, die wahrscheinlich dazu dient, Öffentlichkeit und damit Forschungsgelder zu erheischen.
Und andererseits, dass es nach wie vor eine ungebrochene Medienlust daran gibt, Computerspiele verteufeln zu wollen. Woher die kommt, wäre auch mal ein interessanter Forschungsgegenstand. Vielleicht ist ja bei einigen Redakteuren was im Hippocampus nicht in Ordnung.