Computertechnik

Gehört die Zukunft narzisstischen Cyborgs?

Graphische Darstellung eines Cyborg
Computergrafik eines Menschen mit Implantaten. © imago/Ikon Images
Von Florian Goldberg |
Digitale Implantate und Roboter könnten Pforten in die schöne neue Welt sein. Der Philosoph Florian Goldberg sagt allerdings: Es bedarf keiner besonderen Fantasie, um sich vorzustellen, welche Formen von Bevormundung, Überwachung und Missbrauch auf uns zukommen.
Anfang der 60er-Jahre wurde am MIT ein äußerst handlicher und enorm leistungsfähiger Computer entwickelt. Aus heutiger Sicht ein schwerfälliger Klotz, der an jedem Katzenbild-Posting scheitern würde. Über eine größtenteils numerische Tastatur konnten einfache Befehle erteilt werden. Darunter Befehl 25: "Please Perform!" Übersetzt etwa: "Jetzt mach halt was!" – Hat er sogar. Nach seiner Fertigstellung navigierte der sogenannte Apollo Guidance Computer die ersten Menschen zum Mond.
Seither hat die Computertechnik unglaubliche Leistungssteigerungen bei gleichzeitiger Miniaturisierung und massenhafter Verbreitung erfahren. Einst einigen wenigen vorbehalten, bestimmt sie längst unseren Alltag. Früher in Räumen und Raumkapseln verbaut, tragen wir sie inzwischen am Leib. So weit, so bekannt.
Der nächste Entwicklungsschritt könnte die Technik in unsere Körper verlegen. Wir könnten zu Cyborgs werden, Mischwesen aus Mensch und Maschine. Das ist nicht so weit hergeholt, wie es zunächst klingt. Man denke nur an Herzschrittmacher oder Cochlea-Implantate.

Die erlösende Kraft der Technologie

Nun aber geht es um mehr. Transhumanisten und bio-hacker träumen bereits von einem digitalen Übermenschen, allwissend dank Internet-Schnittstelle im Gehirn, unsterblich durch Open-Source-Organe und Mind-Uploading. Die ungestümen Erwartungen an die erlösende Kraft der Technik tragen fast (cyber-)gnostische Züge. Auch wenn der gewagteste bio-hack bislang darin bestand, ein Tattoo von innen mit LEDs zu beleuchten.

Die Wirtschaft ist derweil pragmatischer unterwegs. Erste Unternehmen implantieren ihren Mitarbeitern spezielle Mikrochips zwischen Daumen und Zeigefinger, mit deren Hilfe Arbeitszeiten erfasst, Türen geöffnet und Cappuccinos bezahlt werden können. Auch für private Zwecke, heißt es, seien die Implantate nützlich. Für den Notfall könnten darauf Gesundheitsinformationen gespeichert werden. Oder Passwörter für externe Geräte. Konsequent zu Ende gedacht, würde jede Form analogen Zahlungsverkehrs überflüssig. Eine Handbewegung reicht – sofern das Konto gedeckt ist.
Schöne neue Welt. Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um sich vorzustellen, welche Formen von Bevormundung, Überwachung und Missbrauch auf uns zukommen, wenn solche Entwicklungen weiter voranschreiten. – Kein Konjunktiv. Voranschreiten werden sie. Was technisch machbar ist, wird irgendwann gemacht. Wir kennen das von der Atombombe.

Wissen und Weisheit sind nicht ein und dasselbe

Missbrauchen wird man sie auch. Denn leider verlaufen der menschliche und der technologische Fortschritt unabhängig voneinander. Auch in Zukunft werden "Think different!" und "Don’t be evil!" dort enden, wo der Shareholder-Value beginnt. Oder die Staatsräson. Und ein machthungriger Karrierist wird nach digitalem Brain Enhancement nicht mehr sein, als ein vielleicht sehr cleverer Cyborg mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung.
Mag sein, dass wir uns aufgrund neuer Technologien von einigem werden verabschieden müssen, was wir bislang noch unter menschlichem als vornehmlich organischem Leben verstehen. Mag auch sein, dass wir in die Lage kommen, Daten direkt ins Gehirn hochzuladen. Aber Information ist nicht Wissen, und Wissen nicht Weisheit. Das sollte sich rumgesprochen haben. Eine ethische Singularität infolge der technologischen steht daher nicht zu erwarten. Was unseren Kern betrifft, wird alles beim Ur-Alten bleiben. Selbsterkenntnis, Freundlichkeit, Mitgefühl lassen sich weder von außen applizieren noch implantieren. Sie sind Folge eines langwierigen, oft schmerzhaften und ökonomisch ziemlich nutzlosen inneren Prozesses, dem wir uns als einzelne unterziehen und dessen Gesetzmäßigkeiten wir aus uns selbst heraus begreifen müssen.
Das ist betrüblich. Die Welt könnte wohl auch in Zukunft mehr Menschen gebrauchen, die ihr eigenes Leben nicht so wichtig nehmen, während sie das Leben an sich über die Maßen achten. Aber es hat auch etwas Beruhigendes.

Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.

Der Autor, Coach und philosophische Berater Florian Goldberg.
© privat
Mehr zum Thema