Concetto Vecchio: "Jagt sie weg! Die Schwarzenbach-Initiative und die italienischen Migranten"
Aus dem Italienischen von Walter Kögler
Orel Füssli Verlag
220 Seiten, 18 Euro
Rückblick auf die Italienische Migrationsgeschichte
06:34 Minuten
Sie wurden eingeladen, waren aber nicht willkommen: Italienische Gastarbeiter mussten in der Nachkriegsschweiz viel Anfeindung ertragen. Ein Buch darüber sorgt jetzt in Italien für Furore.
Sie reden und lachen laut auf der Straße, sind in Gruppen unterwegs, und am Wochenende kommen sie gar auf die Idee, in ihren Unterkünften Lieder anzustimmen! Den Schweizern ist dieses Gebaren äußerst suspekt, obwohl sie die italienischen Arbeiter ins Land geholt haben, um das Wirtschaftswachstum von über sechs Prozent halten zu können. Die Migranten bauen Straßen, Häuser, Kanalisationen und schuften in Fabriken. Die italienische Regierung unterstützt die Auswanderung – Sizilien, Kalabrien, Apulien, die Basilikata, Kampanien und Sardinien sind bitterarm und können jungen Leute keine Perspektive bieten.
Sie lebten in schimmeligen Holzbaracken
Zwei Millionen Italiener wandern zwischen 1948 und 1964 in die Schweiz aus. Dort werden die Zugereisten zunächst hauptsächlich als Saisonkräfte beschäftigt und zu hohen Mieten in schimmeligen Holzbaracken untergebracht – mit einer Toilette für 50 Personen. Besuch und Gesang sind verboten, ab 21.30 Uhr herrscht Nachtruhe.
Familiennachzug ist untersagt, und selbst als sich 1964 die Gesetze ändern und die italienischen Arbeitskräfte den schweizerischen gleichgestellt werden, sind die Bedingungen für das Bleiberecht der Kinder schwer zu erfüllen. Die Familie muss sowohl ausreichendes Einkommen als auch eine angemessene Wohnung nachweisen. Die Behörden sind unerbittlich. Sogar Babys werden ausgewiesen, und so bleiben etliche Kinder in Heimen jenseits der Grenze zurück, werden unter kläglichen Bedingungen in der Schweiz versteckt oder bei den Großeltern in Süditalien gelassen.
Rassistische Ressentiments
Der Journalist und Politikredakteur der Tageszeitung "La Repubblica", Concetto Vecchio, 1970 in der Schweiz geboren und als Vierzehnjähriger mit seinen Eltern nach Sizilien zurückgekehrt, zeichnet in seinem fesselnden Buch "Jagt sie weg!" die italienische Migrationsgeschichte nach. Er greift die Erfahrungen seiner Eltern auf, nimmt auf Filme, Literatur und Augenzeugenberichte Bezug und schildert, wie sich kurz vor seiner Geburt die Verhältnisse zuspitzten. Damals lag der Ausländeranteil der Schweiz bei 13,4 Prozent.
Nationalrat James Schwarzenbach, Privatgelehrter mit einem Faible für rechtes Gedankengut, schürte geschickt rassistische Ressentiments, vertrat eine vordergründig antikapitalistische Haltung und forderte, die "Überfremdung" der Schweiz zurückzunehmen. Es kam zu einer "Ausschaffungsinitiative", die mehr als 300.000 Gastarbeitern außer Landes verweisen wollte. Kurz vor der Abstimmung gab es etliche tödliche Übergriffe, die strafrechtlich nur unzureichend verfolgt wurden. Im Sommer 1970 scheiterte die Initiative knapp, die Gegenseite brachte 100.000 Stimmen mehr auf, die Italiener durften bleiben.
Parallelen zur Gegenwart
Der Reiz der autobiografisch durchdrungenen, gründlich dokumentierten Darstellung liegt in der doppelten Perspektive, die private Geschichte und politische Verhältnisse gleichermaßen in den Blick nimmt. "Jagt sie weg!" war in Italien ein enormer Erfolg – die Parallelen zur Rhetorik eines Matteo Salvini sind schlagend.
Kurz bevor Vecchio sein Buch veröffentlichte, baten ihn seine Eltern, nicht zu viel Schlechtes über die Schweiz zu schreiben. Es sei trotz allem eine gute Zeit für sie gewesen. In Sizilien habe sich bis heute wenig geändert.