Copacabanas Historie erklärt Brasilien

Idyllisch ist er nicht gelegen, der berühmteste Strand der Welt: die Copacabana. Dawid Danilo Bartelt, der sich als Historiker mit Brasilien beschäftigt, zeigt in seinem Buch unbekannte Aspekte des Traumstrandes. Er zeigt auf, wie die die Geschichte Brasiliens mit den Begebenheiten an der Copacabana verknüpft ist.
Der berühmteste Strand der Welt ist etwa vier Kilometer lang, gesäumt von Hochhäusern und einer meist sechsspurigen Straße. Dennoch hat Copacabana einen magischen Klang und löst unmittelbar Assoziationen aus: Von Sonne, weißem Sand, Brandung, sportlich schönen Körpern und sanfter, leicht melancholischer Musik. Dawid Danilo Bartelt hat sich dem universellen Sehnsuchtort in einem lesenwerten Buch angenähert.

Die Geschichte der Copacabana beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. Zwar rühmen ältere Reiseberichte schon die Schönheit der Bucht von Rio de Janeiro und seiner ursprünglichen Bewohnerinnen, doch wird das Baden im Meer erst ab etwa 1850 populär. 1892 wird der Ortsteil Copacabana, der außerhalb des dem Meer abgewandten Stadtzentrums von Rio lag, verkehrstechnisch erschlossen und bald zur Sommerfrische und zum Musterbeispiel des brasilianischen Aufbruchs in die Moderne: Die Strandpromenade erhält ihr Wellenpflaster, Apartmenthäuser entstehen und das Hotel Copacabana-Palace, der Treffpunkt der Schönen, Reichen und Berühmten, wird erbaut. Auch die aufstrebende Mittelschicht zieht ans Meer.

Mehr als nur ein Strand
Der Historiker Bartelt verknüpft die Geschichte Copacabanas mit der Brasiliens. Er streift immer wieder die politische Geschichte und zeigt detailliert, wie sich soziale Mentalitäten verschieben und herausbilden: Wie sich die Gesellschaft über Sport und Körperlichkeit definiert – interessanterweise deckt sich, so Bartelt, in Brasilien Fremd- und Selbstbild viel stärker als bei den meisten anderen Nationalklischees. Oder wie aus einer rassistischen Sklaven- und Sklavenhaltergesellschaft das heutige offizielle brasilianische Selbstbild entstand.

Eine gleichberechtigte Nation von Mulatten, in der der Strand als Ort verwirklichter rassischer und sozialer Demokratie gilt. Bartelt entlarvt das jedoch mit zahlreichen gut beobachteten Beispielen als Ideologie. So bräunen sich die Brasilianer zwar bis heute gern – denn das zeigt ja, dass man es sich leisten kann, am Strand zu liegen – aber sie achten auch genau darauf, dass sich die Hautstellen, die durch Bikinis oder Badehosen vor der Sonne verdeckt werden, möglichst scharf abheben - da ist das Ideal weiß.

Die soziale Trennung ist weniger subtil. Schließlich ist der Strand ist nicht nur Sport- und Erholungsort, er ist auch Arbeitsplatz vieler mobiler Verkäufer. Und die Mittelschicht bleibt auch gern unter sich – so gab es reichlich Klagen als die armen Stadtteile mit öffentlichen Verkehrsmitteln an die Strände angeschlossen wurden.

Bartels Buch ist ein Glücksfall! Es klärt auf und unterhält, denn der Autor erzählt mitreißend, wenn auch mit leicht ironischem Unterton. Er beschreibt die Geburtstunde des Bossa Nova, der trotz des "Girls from Ipanema" an der Copacabana entstand, und seinen Siegeszug um die Welt und schildert die Entwicklung der Bademoden – alles genau recherchiert. Klug belegt er, dass die Copacabana sinnbildlich für Brasilien steht: Für das echte Lebensgefühl dort und das propagierte hier. Dank Dawid Danilo Bartelts großartigem Buch versteht man beides besser.

Besprochen von Günther Wessel


Dawid Danilo Bartelt: Copacabana. Biographie eines Sehnsuchtortes
Wagenbach-Verlag, Berlin 2013
224 Seiten, 10,90 Euro
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