Cormac McCarthy: Der Feldhüter
Aus dem Englischen von Nikolas Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016
287 Seiten, 14,99 Euro
Die Frage nach der Urform des Bösen
Mit "Der Feldhüter" ist nun Cormac McCarthys Roman-Debüt von 1965 auf Deutsch erschienen. In den unwegsamen, bergigen Regionen Tennessees kreuzen sich hier die Wege eines Tagelöhners und eines Schmugglers. Das ist atmosphärisch dicht erzählt.
Als Cormac McCarthy in den frühen neunziger Jahren von der "New York Times" zu seinen Anfängen als Schriftsteller befragt wurde, antwortete er: "Ich hatte nie irgendwelche Zweifel an meinen Fähigkeiten. Ich wusste, dass ich schreiben konnte." Nach der Lektüre seines 1965 erschienenen Romandebüts "The Orchard Keeper", das es jetzt endlich auch in einer deutschen Übersetzung gibt, lässt sich dem nur zustimmen: "Der Feldhüter" liest sich kaum wie ein Debüt, so selbstbewusst McCarthy wie hier seine Themen und sein Können ausstellt. Der Roman verweist gezielt auf das, was noch kommt in diesem Werk, und fügt sich selbst im Nachhinein, bei so später Erstlektüre, passgenau darin ein. In ein Werk, dessen berühmteste Bücher "Die Abendröte des Westens", "No Country For Old Men" und "Die Straße" sind, auch wegen der jeweiligen Verfilmungen. Und das immer wieder die Frage nach der Urform des Bösen stellt, das von der existentiellen Einsamkeit des Menschen beherrscht wird, von Gottlosigkeit und Finsternis, und in dem sich Zivilisation und Natur als erbitterte Feinde gegenüberstehen.
So was wie Erlösung ist bei Cormac McCarthy nicht vorgesehen, auch nicht in "Der Feldhüter", der in den unwegsamen, bergigen Regionen Tennessee angesiedelt ist, weitab von größeren Städten wie Knoxville (wo McCarthy einen Großteil seiner Jugend verbracht hat) oder Sevierville. Hier kreuzen sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Wege von Kenneth Rattner, einem umherstreunenden Tagelöhner und Säufer, und Marion Sylder, der sich sein Geld mit dem Schmuggeln von Whiskey verdient, von Rattners Sohn John Wesley und dessen uralten Onkel Arthur Ownby, dem Feldhüter und Herrn über einige aufgelassene Obsthaine, der am Rand davon in einer kleinen Bretterhütte haust.
Rattner wird eines Tages von Sylder erwürgt, nachdem dieser ihm mit seinem Sportcoupé beim Trampen aufgelesen hat, und anschließend in einer Grube auf Ownbys Grundstück verscharrt, was Ownby jedoch beobachtet. In der Folge freunden sich Sylder und der Rattner-Sohn an – ohne jeweils zu wissen, dass sie es mit dem Mörder des eigenen Vaters und dem Sohn des Opfers zu tun haben.
Härte der Natur durchdringen hier jede Zeile
Das klingt nach einer stringenten Geschichte, ist aber auch schon das Handlungskonzentrat dieses Romans, der alles andere als stringent erzählt ist. McCarthy bewegt sich auf der Zeitleiste vor und zurück, wechselt häufig die Perspektiven, beschreibt, was seine Figuren tun (von denen es neben den genannten noch einige andere gibt, die auf- und folgenlos wieder abtreten), aber nur selten, wie es in ihrem Innenleben aussieht, geschweige denn, dass viel geredet wird. Dazu kommen Erinnerungen, Träume und Halluzinationen der Figuren, die im Text dann kursiv abgesetzt sind.
"Der Feldhüter" lebt von seiner dichten Atmosphäre, von Anfang an, sie und McCarthys Sprachreichtum helfen darüber hinweg, dass es nicht leicht ist, in diesen Roman hereinzukommen. Die Verlorenheit der Figuren, die oft nur "der Alte", "der Junge" oder "der Mann" genannt werden, und die Schönheit, das Ewige und auch die Härte der Natur durchdringen hier jede Zeile, und gerade bei den Naturbeschreibungen läuft Cormac McCarthy immer wieder zu Höchstform auf, von Nikolas Stingl im übrigen toll ins Deutsche übertragen.
Am Ende bekommt das Ganze etwas von einer Vertreibung: aus einem Paradies, das nie eins war, insbesondere bei dem Alten, der sich nach einer Jagd auf die eigenen Dämonen unversehens im Gefängnis und in der Psychiatrie wiederfindet. Doch so ist das mit den Menschen, selbst den naturverbundensten, ihre Spuren verwischen sich, sie verschwinden und werden vergessen. Aber: "Immer noch bewegen sich über dem Land Sonne und Wind, um die Bäume, die Gräser zu verbrennen, zu wiegen."