Meme-Songs
Verändert Tik Tok die Popwelt? © Unsplash / Obi - @pixel6propix
Wie TikTok den Pop verändert
05:32 Minuten
Auf der Social-Media-Plattform TikTok spielen Soundschnipsel eine wichtige Rolle. In Form von Memes werden sie verändert und weiterverbreitet – und gehen teils viral, wie der Song „It’s Corn“. Die Community hat so großen Einfluss auf die Charts.
Musik oder Sounds sind elementarer Bestandteil der Social-Media-Plattform TikTok. Zahlreiche Songs sind durch virale Trends dieser App in die Charts geschossen – neue wie alte. Das hat auch die Kultur der Memes – Inhalte, die immer wieder kopiert und so weiterverbreitet werden – im Internet verändert. Immer häufiger haben sie die Form von Sound oder sogar Musik. So untermalt beispielsweise ein Schnipsel aus dem Song „It’s Corn“ aktuell Hunderte Videos in der App TikTok.
Die Phrase „I like Corn“ – „Ich mag Mais“ - wurde schon weiterentwickelt zu „I like corgs“ („Ich mag Corgi-Hunde“), aber auch zu „I like home“ – und zwar in einem Video der aus der Ukraine geflohenen TikTokerin Valeria Shashenok.
Der „Corn“-Song ist damit viral gegangen und mit jedem Hören gräbt sich die Melodie tiefer ins Gehirn. Ein Grund für den Erfolg: Auf der durchzensierten App TikTok müssen die Nutzerinnen und Nutzer Codewörter verwenden. Schon vor dem Song war „Corn“ eine häufige Suchanfrage – als Codewort für „Porn“.
Aber wieso singt da überhaupt jemand über Mais? Ursprung des Hits ist ein Video, in dem ein Kind interviewt wird. Es sind schon Kinder viral gegangen, weil sie Schildkröten mögen oder weil sie das Wort „apparently“ besonders häufig verwenden. Diesmal war es ein kleiner Mais-Fan.
Wenn man ein Video auf TikTok hochlädt, hat man die Option, den Ton des Videos als „Sound“ zur Verfügung zu stellen. Das heißt, dass er Teil von TikToks Datenbank aus Audio-Schnipseln wird, die andere Nutzerinnen und Nutzer für ihre eigenen TikToks verwenden können. Diese Praxis erinnert an das Sampling in der Popmusik, und so kommt manchmal eben auch Popmusik dabei heraus.
Ein charmant dilettantischer Rap-Versuch
Ein weiterer Meme-Song, der dieses Jahr zum TikTok-Hit wurde, ist „Jiggle Jiggle“. Der Song beruht auf einem charmant dilettantischen Rap-Versuch eines britischen Journalisten.
Marcus Bösch forscht an der HAW Hamburg zu TikTok und veröffentlicht den Newsletter „Understanding TikTok“. Sounds auf TikTok, die gut funktionieren, seien eher kurz, erklärt er. Denn die meisten Videos seien eher kurz und die Sounds so verschiedenartig einsetzbar.
Wenn Text in den Sounds vorkommt, sei der eher allgemein gehalten, „damit man sie in unterschiedlichste Kontexte einbetten kann“. Denn das sei ja das Wesen von Memes, „dass man sie anpasst, verändert und die Veränderung wieder verändert“.
Was „Jiggle Jiggle“ und „It’s Corn“ gemeinsam haben: Beide Songs sind inzwischen auf Spotify verfügbar. Memes werden oft als eine Art Internet-Allgemeingut verstanden, auf das niemand ein Urheberrecht erhebt. Wenn Memes zu Songs werden, kann man sie aber doch wieder in klassische Verwertungssysteme übertragen.
„Sobald es irgendein kreatives Potential gibt, kommt natürlich ein kapitalistisches Verwertungssystem und versucht, das irgendwie zu monetarisieren“, sagt Bösch. Ob das allerdings mittel- bis langfristig funktioniert, sei bei einer so flüchtigen Sache wie einem Meme die Frage. „Memes wohnt ja gerade inne, dass man nie weiß, wo das eigentlich herkommt. Memes und Copyright passen nicht wirklich zusammen.“
Unberechenbares Musikvideo
Dass „It’s Corn“ seinen Weg auf Spotify gefunden hat, schiebt glücklicherweise seiner Weiterverbreitung auf TikTok keinen Riegel vor. Dort werden weiterhin ständig neue Interpretationen des Trends gepostet und ergeben ein sich ewig fortsetzendes und inhaltlich unberechenbares Musikvideo. Dadurch dürften es viele Menschen spannender finden, den Song weiterhin auf TikTok zu konsumieren, statt auf Spotify. Bisher gefährdet das Copyright noch nicht die Kreativität.
Trotzdem haben manche Leute schon eine Karriere daraus gemacht, Memes zu kommerzialisieren. Hinter der Lied-Version von „It’s Corn“ steht kein unbekannter TikTok-User, sondern die Gregory Brothers, eine Gruppe, die auf Meme-Musik spezialisiert ist. Schon vor mehr als zehn Jahren hatten sie YouTube-Hits. Zum Beispiel einen Song, der auf dem viralen Video „Double Rainbow All The Way“ basiert. Darin sieht ein Mann einen Regenbogen im Yosemite Nationalpark und kann seine Begeisterung kaum in Worte fassen.
Dass Memes zu Songs werden, ist also nicht ganz neu. Auf TikTok kommt ein Hit wie „It’s Corn“ aber nicht aus dem abgeschlossenen Studio eines großen Pop-Produzenten, sondern aus der Community. Der Hit entsteht, weil viele verschiedene User den viralen Sound unabhängig voneinander weiterentwickeln können.
Die Community hat damit mehr Einfluss auf den nächsten Chart-Erfolg als es Radio-DJs oder Musikjournalistinnen und -journalisten noch haben. Beispiele wie „It’s Corn“ und „Jiggle Jiggle“ zeigen: Wer die Zukunft der Popmusik verstehen will, muss sich mit TikTok beschäftigen.