Robin Alexander (*1975 in Essen) ist stellvertretender Chefredakteur der „Welt“-Gruppe. Seit 2010 berichtet er über Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Kanzleramt. Alexander schrieb den Bestseller „Die Getriebenen: Merkel und die Flüchtlingspolitik“ (2017). Zuletzt veröffentlichte er das Buch „Machtverfall“ über das Ende der Ära Merkel.
Fehlende Führung in der Pandemie
Die Ampel habe Angela Merkel zur Zurückhaltung in Sachen Corona aufgefordert, sagt Robin Alexander. Doch der wahrscheinlich nächste Kanzler Olaf Scholz äußere sich kaum. © Imago / F. Kern / Future Image
„Das ist jetzt die Coronapolitik der Ampel“
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Statt der Kanzlerin bestimmen nun die Ampelparteien das Handeln in der Pandemie. Der wahrscheinliche Merkel-Nachfolger Olaf Scholz müsste klar führen, sagt der Journalist Robin Alexander. Dass er das nicht tue, sei „sträflich“.
Am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt jetzt „3G“, also geimpft, genesen oder getestet: Diese Vorgabe entstammt dem neuen Infektionsschutzgesetz, das die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ ablöst. Ziel ist es, die Zahl der Corona-Neuinfektionen schnell zu begrenzen: Mittlerweile ist die Sieben-Tage-Inzidenz über 400 gesprungen.
Das Gesetz wurde maßgeblich von den wohl künftigen Ampel-Koalitionspartnern SPD, Grüne und FDP gestaltet. Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel hält deren Maßnahmen für nicht ausreichend. Wohl auch deshalb lud sie am Dienstag die Spitzen der Ampel ins Kanzleramt; öffentlich äußert sie sich allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr zu Corona.
„Dazu muss man wissen, dass die Ampel ihr die Coronapolitik wirklich aus der Hand genommen hat“, sagt Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“. Mit der neuen Mehrheit im Bundestag könne man das durchaus so machen. Aber: „Da gilt dann der alte Satz des amerikanischen Elefanten im Porzellanladen: ‚If you break it you own it‘. Also, das ist jetzt die Coronapolitik der Ampel.“
Europa debattiert schon lange über die Impfpflicht
Das bedeutet nach Alexanders Überzeugung auch, dass nun Olaf Scholz, der wohl künftige Kanzler, deutlich führen müsste und sagen, wie ernst die Lage sei. „Das wird sträflich unterlassen“, kritisiert der Journalist. Lange habe Scholz gar nichts gesagt und dann Freude darüber ausgedrückt, dass die Debatte über die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen begonnen habe: „Das ist, ehrlich gesagt, ein dicker Hund! Das hat Frankreich vor sechs Monaten eingeführt. Wir führen die Debatte in Europa seit einem halben Jahr! Was Scholz eigentlich meinte: Er freut sich, dass sich jetzt die FDP bewegt. Aber das ist für einen Kanzler zu wenig. Da muss er jetzt wirklich Führung ausüben.“
10.11.2021 - Impfpflicht, Gesundheitspass, Kontrollen - was Frankreich anders macht
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Dass Merkel ihrem Unmut nicht deutlich und in aller Öffentlichkeit Ausdruck verleiht, führt Alexander auf ihren Stil des Regierungswechsels zurück: „Sie legt großen Wert darauf, dass dieser Übergang von einer Regierung zur anderen sehr einvernehmlich verläuft.“ Als sie zum Beispiel Olaf Scholz beim G20-Gipfel in Rom in Gespräche einbezog, sei das international sehr beachtet worden. Sie habe das Signal vermittelt: „Obwohl das Kanzleramt die Partei wechselt, gibt es eine Kontinuität in der deutschen Politik.“