Coronapandemie in den Medien
Die Erhebunsmethoden in Bezug auf die Coronapandemie reichen hierzulande bei weitem nicht aus. © imago / fStop Images / Malte Müller
Verzerrte Daten, verzerrtes Bild
14:35 Minuten
Die Datenlage in Bezug auf die Coronapandemie in Deutschland ist schlecht. Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung sei da kaum möglich, sagt Datenjournalist Björn Schwentker. Das hat weitreichende, Demokratie schädigende Folgen.
Die Coronapandemie geht ins dritte Jahr. In einem herrscht heute weitgehend Konsens: Das Virus ist nach wie vor gefährlich und die Pandemie noch immer nicht vorbei. Aber wie viele Menschen sind überhaupt infiziert? Wie effektiv sind die Impfungen? Welche Maßnahmen sind angemessen? Darüber tappt die Gesellschaft im Dunkeln. Schlimmer noch: Eine Berichterstattung, die aufklärt, analysiert und Vorschläge macht, ist so gut wie unmöglich. Denn entweder fehlen Daten oder, wo sie vorhanden sind, können sie nur schwer ausgewertet werden.
Schon vor über zwei Jahren haben Datenjournalistinnen und Datenjournalisten in einem Offenen Brief das Robert Koch-Institut aufgefordert, tagesaktuelle und maschinenlesbare Daten zur Verfügung zu stellen.
Journalisten in der Zwickmühle
Doch seither hat sich wenig getan und die Berichterstattung bleibt schwierig. „Wir wissen leider aber selber nicht, wie sehr wir den Daten jetzt trauen können und fragen uns, wie sollen wir denn also jetzt wahrheitsgemäß berichten“, sagt Björn Schwentker, Datenjournalist beim NDR. Das Bild der Pandemie, dass sie vermitteln würden, sei „immer auch ein verzerrtes Bild, insofern die Daten auch verzerrt sind. Das ist für uns als Journalisten eine echte Zwickmühle.“
Wie viele Menschen sind überhaupt infiziert? Wie hoch ist die Dunkelziffer? Hat die Sommerwelle jetzt ihr Maximum erreicht? Fragen, die sich hierzulande derzeit kaum beantworten lassen.
„Generell sind alle Corona-Daten im Moment betroffen“, sagt Schwentker. „Die Coronapandemie ist so ein bisschen abmoderiert, und die Ressourcen in den Ämtern, in den Testzentren, Laboren, auch beim Robert Koch-Institut - alles wird zurückgefahren. Es gibt weniger Daten, es gibt seltener Daten, sie werden schlechter, sie sind nicht mehr so gut maschinenlesbar.“ Zudem hinke Deutschland in Sachen Digitalisierung grundsätzlich Jahrzehnte hinterher.
Wirksame Erhebungsmethoden anderer Länder
Dabei gibt es Erhebungsmethoden, die man sich von anderen Ländern abschauen könnte – beispielsweise den Niederlanden, wo Proben aus dem Klärwasser entnommen und auf Coronaviren und Mutationen hin überprüft werden. „So kriegt man ein sehr aktuelles und sehr schnelles Bild davon, wie die Pandemie sich gerade entwickelt, kann sehr früh reagieren und ist völlig unabhängig von jeder Teststrategie“, unterstreicht Datenjournalist Schwentker. In Deutschland gebe es dazu bislang nur Testprojekte.
Um herauszufinden, welche Maßnahmen gegen Corona tatsächlich helfen, bräuchte es aber noch mehr. „Etwas, wie es zum Beispiel in Großbritannien jetzt schon seit langer Zeit erfolgreich praktiziert wird, nämlich eine sogenannte Längsschnittstudie, wo man sich eine große, repräsentative Gruppe der Bevölkerung nimmt und die immer wieder testet - auch ganz egal, ob die jetzt Symptome haben oder nicht. So kann man nämlich hochrechnen auf die wirklichen Fallzahlen ohne Dunkelziffer.“ Auf Grundlage der soziodemografischen Angaben, die dort ebenfalls erhoben wurden, zum Impfstatus und den ergriffenen Maßnahmen, ließe sich dann eine valide Bewertung vornehmen.
Daten wichtig für lebendige Demokratie
Was resultiert aus den Versäumnissen der Politik? Welche gesellschaftlichen Folgen ergeben sich daraus?
„Ohne Daten können weder wir Journalist:innen noch die Menschen die Politik hinterfragen und zur Rechenschaft ziehen“, gibt Schwentker zu bedenken. „Politik agiert in so einer Situation oft kurzsichtig, nach eigenen Interessen oder Partikularinteressen. Aber eben nicht im Sinne der Mehrheit.“ Problematisch sei dies jedoch nicht nur in Bezug auf die Coronapandemie.
„Künftig werden auch viele relevante Fragen durch Daten verstanden werden: die Inflation, die jetzt hochkommt, Gasversorgung, Klima“, warnt der Journalist. „Je weniger öffentliche Daten wir haben, desto weniger Demokratie können wir leben, mit desto mehr Fremdbestimmung durch irgendwelche willkürlichen politischen Entscheidungen müssen wir leben. Und weniger Daten heißt am Ende dann immer für uns weniger Freiheit.“