Corona-Demonstrationen

Eine Demokratie muss Widerspruch aushalten

04:12 Minuten
Die Zeitung "Demokratischer Widerstand" mit der Überschrift "Corona ist nicht das Problem" beim Prostest der "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand" in Berlin.
Blatt der Gruppe "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand", die dem Bundestag vorwirft, ein "Ermächtigungsgesetz" wegen der Pandemie beschlossen zu haben. © Imago/Seeliger
Ein Kommentar von René Schlott · 15.05.2020
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Zehntausende demonstrieren mittlerweile gegen die Anti-Corona-Auflagen. Wer diese Menschen nur als Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker abtue, mache es sich zu leicht, meint der Historiker René Schlott.
Die Kritik ist zurück. Medien nehmen ihre Korrektiv- und Beobachterfunktion endlich wieder wahr. Aber leider recht einseitig: Überbietungswettbewerbe bei den Lockerungen werden kritisiert, Handschläge von Bundesligaspielern skandalisiert und Demonstrierende pauschal als Verschwörungstheoretiker diffamiert und Demonstrationen mit "Après Ski Partys" in Ischgl verglichen. Und darin liegt ein gravierendes Problem.
Ich habe keinerlei Sympathie für die "Bill Gates will die Weltherrschaft"-Gläubigen, aber das Recht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 unseres Grundgesetzes kennt keine Gesinnungsprüfung. Es lautet in Absatz 1 schlicht und einfach: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers hat die Versammlungsfreiheit zusammen mit der Meinungsfreiheit vor kurzem als die demokratienächsten Grundrechte bezeichnet.
Stärke und Überlegenheit einer Demokratie und der offenen Gesellschaft zeigen sich gerade daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht und auch daran, dass sie sowohl Demonstrationen von Neonazis, wie von Impfgegnern aushält und bei Bedarf auch polizeilich schützt.

Menschen machen von ihren Rechten Gebrauch

Wenn es um Corona geht, prügeln einige Medien in einer Art und Weise verbal auf die Kritiker*innen der Pandemiebeschränkungen ein, als sei der Gegner nicht mehr das Virus, sondern die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Die FAZ wirft ihnen vor, sie würden ihr Demonstrationsrecht auf dem "Rücken anderer" austragen, die Süddeutsche Zeitung spricht sarkastisch vom "Grundrecht auf einen frühen Sonnenbrand im Mai" und im Berliner Tagesspiegel war von den "geradezu idiotischen Massendemonstrationen" zu lesen.
Dabei machen die Menschen nur von ihren Grundechten Gebrauch, die 1948/49 im Parlamentarischen Rat aus guten historischen Gründen als Abwehrrechte gegen einen übermächtigen Staat formuliert worden sind. Ich glaube aber je mehr man die Demonstrierenden attackiert, desto mehr Öl gießt man ins Feuer und verstärkt deren Rückzug in die Echokammern des Internets.

Pöbelnd gegen Demonstrierende

Es ist schlimm genug, wenn ein bayerischer FDP-Politiker die Teilnehmer einer von der Münchener Polizei als "grundsätzlich friedlich" beschriebenen Demonstration als "Vollpfosten" beschimpft, die bayerischen Grünen, eine Oppositionspartei, ein härteres Durchgreifen der Polizei fordern, und der Vizepräsident des Bayerischen Städtetages sarkastisch den Einsatz von Wasserwerfern ins Spiel bringt. "Wenn jemand schön nass geworden ist, der kommt vielleicht nicht wieder."
Das alles wird in Medien wiedergegeben und bei Twitter mit dem Hashtag "Covidioten" versehen, doch anstatt den Rücktritt des SPD-Politikers zu fordern, sekundieren ihm Journalist*innen.
Dabei wäre es vielmehr an der Zeit für eine selbstkritische Befragung der vierten Gewalt – auch danach welchen Anteil sie daran trägt, dass auch noch die unsinnigsten Verschwörungstheorien gerade wieder fröhliche Urständ feiern können.

Nichts rechtfertigt Übergriffe gegen Medienvertreter

Auch im persönlichen Gespräch mit Journalisten merke ich, dass sie mit einigem Unwohlsein auf ihre eigene Rolle in den letzten Wochen zurückblicken. Um nicht falsch verstanden zu werden, mir geht es nicht um eine moralische Verurteilung. Journalisten und Journalistinnen sind keine abgeschlossene Kaste, wie es die AfD immer wieder darzustellen versucht, sondern Teil dieser Gesellschaft, Menschen mit Zukunftsängsten oder Sorgen um erkrankte Angehörige.
Und um auch das klarzustellen: Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt gewalttätige Übergriffe gegen Medienvertreter. In unserer Gesellschaft zählt allein das Wort als "Waffe" und die Kraft des besseren Arguments. Auf dieses "Wagnis der Öffentlichkeit", so nannte es Hannah Arendt, sollten wir uns alle wieder einlassen. Es lebe die politische Urteilskraft! Ihre Rezipienten damit auszustatten, sollte das Ziel aller Medienschaffenden sein. Oder wie es der französische Philosoph und Aufklärer Voltaire einst formulierte: "Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen."

René Schlott studierte Geschichte, Politik und Publizistik. Seit 2014 arbeitet er am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und ist Habilitationsstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er ist Initiator der Aktion "Grundgesetz a casa", zur Stärkung der Grundrechte."


© Angela Ankner/anknerfotografie
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