Corona-Impfstoff aus Russland

Putins riskante Strategie

07:56 Minuten
Nahaufmen eines Mannes im Anzug, der in seinen händen ein kleines Fläschchens hält, die Kappe des rechten ist blau, die des linken rot.
Solte der jetzt in Russland zugelassene Impfstoff gegen Covid-19 wirksam sein, sei das angesichts der Vorgeschichte "ein absolutes Ausnahmeglück", sagt der Mediziner Joerg Hasford. © picture alliance / dpa / Press Service of the Ministry of Health of the Russian Federation
Joerg Hasford im Gespräch mit Julius Stucke |
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Russland hat den weltweit ersten Impfstoff gegen Covid-19 registriert. Auf die sonst übliche dritte Testphase wurde dabei verzichtet. Der Münchner Mediziner Joerg Hasford hält diese "hochpolitisch aufgehängte" Zulassung für höchst gefährlich.
Es ist die Nachricht, auf die viele Menschen seit Monaten gewartet haben: Ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus ist entwickelt und kann eingesetzt werden. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin diese Nachricht nun verkünden konnte, sorgte weltweit für Aufsehen.
Die Zulassung des in Russland entwickelten Impfstoffs bringe jedoch erhebliche Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung mit sich, sagt der Mediziner Joerg Hasford von der Universität München. Zudem seien bei der Entwicklung fundamentale ethische Grundsätze missachtet worden, so Hasford, der dem Arbeitskreis medizinischer Ethikkommissionen vorsitzt.

Zu wenige Testpersonen, zu kurze Laufzeit

Die Zahl der Personen, an denen der neue Impfstoff getestet wurde, liege nach den bisher zugänglichen Informationen unter 100. Auf einen sonst üblichen dritten Testlauf an tausenden Beteiligten über mehrere Monate hinweg sei in Russland verzichtet worden. "Es wäre ein absolutes Ausnahmeglück, wenn das zu einem wirksamen und verträglichen Impfstoff führen würde", so Hasford.
Mit der vorgezogenen Zulassung des Arzneimittels verfolge Russland "eine sehr riskante Strategie", so Hasford. Die gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung seien immens. Denn "gravierende unerwünschte Wirkungen" könne in einzelnen Fällen selbst ein sorgfältig getesteter Impfstoff verursachen, wenn er an Hunderttausenden eingesetzt werde.

Medizinische Risiken, ethische Abgründe

Hinzu komme das Risiko, dass Personen, denen man durch eine Impfung den Eindruck vermittle, geschützt zu sein, dazu neigen, sich unvorsichtiger zu verhalten. Dabei sei für den russischen Impfstoff bisher nicht einmal geklärt, "dass dieser Impfschutz, sofern er überhaupt vorhanden ist, auch über eine gewisse Zeit lang anhält."
Das Foto zeigt eine Forscherin in einem Labor, im Schutzausrüstung und mit Reagenzgläsern in den Händen.
Durchbruch mit vielen Fragezeichen: Forscherin in einem Moskauer Institut, das den von Russland zugelassenen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus entwickelt hat.© picture alliance / XinHua
Auch ethische Kriterien seien bei der Entwicklung des Impfstoffs übergangen worden. Soweit bisher bekannt wurde, seien die Versuchspersonen Beschäftigte der Forschungseinrichtung sowie Angehörige des russischen Militärs gewesen. "Das sind ja keine Menschen, die eine freiwillige, informierte Zustimmung geben können", betont Hasford.

Wettlauf mit dem Westen

Präsident Wladimir Putin habe die Entwicklung des Impfstoffs "hochpolitisch aufgehängt" und "zu einem Wettlauf mit dem Westen erklärt", sagt Hasford. Medizinische wie ethische Standards würden diesem Ziel offenbar untergeordnet.
Dabei habe die Geschichte der Medizin, etwa beim Kampf gegen Malaria oder das HIV-Virus, immer wieder gezeigt, "wie unglaublich schwierig die Impfstoffentwicklung ist", so Hasford. Wie genau der Mechanismus eines wirkungsvollen Impfstoffs gegen Covid-19 beschaffen sein müsste, sei bis heute nicht bekannt.
(fka)
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