Eine Mischung aus Logistik und Menschlichkeit
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In Berlin werden nun die Hochbetagten geimpft. Gerhard Machut gehört zu ihnen. Im Impfzentrum trifft der 91-Jährige auf motivierte Helfer, die sich für mehr als nur das medizinische Prozedere verantwortlich fühlen.
Ein Taxi nach dem anderen fährt im Impfzentrum in der Arena-Treptow vor. Der Einweiser zeigt den Parkplatz. Die Türen öffnen sich langsam und vorsichtig, zittrige Hände und Füße tasten sich ins Freie. Bis die Fahrgäste das Auto verlassen haben, dauert es einige Zeit. Sie sind alle über 90 Jahre alt. Einige kommen im Rollstuhl, andere mit Rollator. So wie auch der 91-jährige Gerhard Machut, seine 89-jährige Ehefrau Ursula begleitet ihn an diesem Vormittag. Das Taxi spendiert der Senat.
Machut fühlt sich "altersgerecht". Sorgen vor der Impfung? - "Nein. Wir haben uns informiert, in der Presse, im Fernsehen. Waren anfangs zögerlich, sind aber jetzt bereit. Und der Arzt hat auch gesagt: 'Das ist eine gute Sache, wenn wir das jetzt machen.'"
Sorgsam in eine Klarsichthülle geschoben sind die Einladung, der Anamnese-Bogen und der kleine gelbe Impfpass. Die letzten Monate waren wenig erquicklich. Gerhard Machut hatte vor gut einem Jahr einen Schlaganfall, er kann nur schwer laufen und sich kaum noch artikulieren. Ursula Machut unterstützt ihren Mann, so gut sie kann.
Ihre Kinder, Enkel und Urenkel haben die beiden schon lange nicht mehr persönlich getroffen. Angst vor der Ansteckung? "Sorgen macht man sich schon bei so einer Sache. Es ist immer im Hinterkopf: Geht es an Dir vorbei oder bist Du auch dabei?"
In der Hauptstadt haben die mobilen Teams fast alle Bewohnerinnen und Bewohner der Altersheime bereits einmal geimpft. Die über 90-Jährigen, die noch zu Hause leben, haben als erste eine schriftliche Einladung ins Impfzentrum erhalten.
Als nächstes sind die 80- bis 90-Jährigen dran, auch bei ihnen liegt inzwischen ein Brief mit einem Zahlencode zu Hause. Damit können sie sich online zwei Impftermine buchen. Oder sie rufen bei der Hotline an, die die Termine bucht. Viele Hochbetagte lassen sich dabei von Freunden, Nachbarn oder Angehörigen helfen.
Der Berliner Weg: Zur Impfung per Einladung
Das läuft nahezu problemlos, berichtet SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci: "Es war gut und richtig, diesen Weg des Einladungswesens zu gehen, weil es dann geordnet zugeht mit der Terminierung."
Erst anrufen und einen Termin vereinbaren, wenn die Einladung im Briefkasten liegt – das ist die klare Vorgabe in Berlin. In anderen Bundesländern läuft es weniger geordnet. Thüringen impft zunächst das medizinische Personal in den Krankenhäusern. Die Hochbetagten, die noch zu Hause leben, erhalten dort keine schriftliche Einladung – sie müssen sich selber um einen Impftermin kümmern. In Brandenburg brach die Hotline zeitweise wegen Überlastung zusammen, inzwischen geht es auch dort voran.
"Wir haben in anderen Bundesländern gesehen: Wenn man das für alle Zielgruppen öffnet, dann kann es zu Staus kommen. Das haben wir in Berlin vermeiden können, indem wir je nach Verfügbarkeit des Impfstoffs tranchenweise einladen", sagt die Berliner Gesundheitssenatorin Kalayci.
Zurück ins Impfzentrum Arena. Vor dem Eingang stehen nicht nur die mit Termin, auch andere kommen im Laufe des Tages vorbei, fragen nach, ob nicht jemand ausgefallen sei, ob sie nicht vielleicht einspringen könnten?
Sorge um die Mutter, die ins Krankenhaus muss
Frank Meier wartet schon länger: "Weil ich versuche, für meine Mutter einen Termin zu bekommen, ich weiß, dass manche Leute nicht kommen, und die Überlegung ist einfach, dass meine Mutter geimpft wird, bevor sie ins Krankenhaus kommt."
Er hat Angst, dass sich seine Mutter im Krankenhaus mit Corona infizieren könnte. Deshalb versucht er es auf diesem Weg. Vergeblich, sagt Mario Czaja, Präsident des Roten Kreuzes Berlin. Die Hilfsorganisation koordiniert die Impfzentren in der Hauptstadt: "Es macht keinen Sinn, sich vor ein Impfzentrum zu stellen. Die zentrale Terminvergabe findet durch den Senat statt. Und dort werden die zentralen Einlasscodes vergeben."
Wie überall ruckelte es auch beim Impfstart in Berlin. Anfangs kamen weniger Altenpflegerinnen und -Pfleger in die Arena als erwartet, tatsächlich mussten einige wenige Dosen Biontech-Impfstoff weggeworfen werden. Das passiert jetzt nicht mehr, versichert Czaja. Damit der aufgetaute Impfstoff nicht verfällt, würden die Impfzentren jetzt leicht überbucht: "Bei uns arbeiten auch Mitarbeiter von Easy Jet und der Lufthansa, die dies auch aus ihren Systemen kennen. Auch Ärzte kennen das gut. Und wir haben dazu Abstimmungen mit dem Senat."
Bei Impfling Gerhard Machut wird jetzt Fieber gemessen, er muss seine Hände desinfizieren, wird registriert. An jeder Station stehen Helfer bereit, die Wasser anbieten, Informationen und nicht zuletzt Zuwendung. Menschen wie der Softwareunternehmer Gabriel Yoran: "Man hat ja nicht so oft die Möglichkeit, an etwas mitzuarbeiten, was einerseits eine große gesellschaftliche Bedeutung hat und andererseits jeder einzelnen Person, der man hilft, ganz unmittelbar das Leben verbessert."
Eine neue Aufgabe für den Softwareunternehmer
In seiner Softwarefirma ist gerade nicht so viel zu tun, deshalb hat sich Gabriel Yoran beim Roten Kreuz registriert, zusammen mit Hotelfachleuten, Eventmanagerinnen, Filmproduzenten, also all denjenigen, bei denen gerade Flaute ist. In den Impfzentren wird nicht nur medizinisches Personal benötigt: "Es ist eine Mischung aus einer generalstabsmäßigen, ausgefuchsten Planung auf der einen Seite, sehr viel Logistik, und auf der anderen Seite die schiere Menschlichkeit der Helfer und Helferinnen."
Wer die Nachrichten verfolgt, sagt der promovierte Philosoph Yoran mit der grünen Helferweste und dem blau-orangefarbenen Basecap, der bekommt den Eindruck: Wir kriegen das nicht hin. Wer allerdings im Impfzentrum arbeitet, sieht das anders.
"Natürlich haben wir Probleme, natürlich haben wir noch nicht genug Impfstoff, aber es arbeiten so viele engagierte, fähige Leute an der Lösung dieser Probleme, natürlich kriegen wir das hin."
Nach einer guten halben Stunde im Impfzentrum hat es Gerhard Machut geschafft. Von einem Bundeswehrsoldaten begleitet, schiebt er vorsichtig seinen Rollator hinaus an die frische Luft. Ende Januar hat er seinen zweiten Impftermin, auch seine Frau Ursula weiß schon, wann sie an der Reihe sein wird. Sind beide zweimal geimpft, müssen sie noch eine Woche warten. Dann kann das Lehrerehepaar – seit 66 Jahren verheiratet - endlich wieder die elf Urenkel in die Arme schließen:
"Gut gelaufen, sehr gut. Hochachtung, wie das hier passiert ist, da bin ich wirklich sehr beruhigt. Wir werden das weitergeben. Wir haben viele Freunde, die auch demnächst geimpft werden, die beruhigt hierherkommen können. Muss ich wirklich sagen."