Corona-Impfung oder nicht

Keine Glaubenskriege!

Eine Krankenpflegerin zieht eine Spritze mit Corona-Impfstoff auf.
Corona-Impfung © imago images / NurPhoto / Artur Widak
Ein Kommentar von Stanislaw Strasburger |
Es ist zur Gretchenfrage dieser Tage geworden: Geimpft oder nicht? Aber in einer Welt voller Ambiguitäten brauchen wir offene Kommunikation und keine Glaubenskriege, meint der Schriftsteller und Publizist Stanislaw Strasburger.
Nach zwei Jahren der Covid-19-Krise werden hierzulande die sogenannten Verschwörungstheoretiker entweder als Staatsfeinde oder als Dummköpfe abgestempelt. Autoren angesehener Tageszeitungen überlegen, wie man “Aussteiger“ psychologisch unterstützen kann, sich doch noch impfen zu lassen. Oder geben Ratschläge: “Mein Partner ist Corona-Leugner – was tun?“ Stirbt ein infizierter Impfgegner, so wird bei ihm gerne der Glaube an das Wundermedikament Bleichmittel heraufbeschworen.
Was soll das? Bei allem Respekt frage ich mich, müssten wir dann nicht auch Berichte darüber lesen, dass ein Katholik an Darmkrebs gestorben ist, obwohl er bis zuletzt versucht hatte, mit seinen Gebeten den Tod abzuwenden? Am besten begleitet von einer scheinbar beiläufigen Bemerkung: Der Verstorbene hatte daran geglaubt, dass der regelmäßige Konsum von Brotstücken, mitunter aus gebleichtem Mehl, ein ewiges Leben im Jenseits verspricht.

Über die Heilfunktion von Brotstücken

Glücklicherweise erschweren wir heute niemandem mehr die Teilhabe am öffentlichen Leben, abhängig davon, welche Vorstellungen er oder sie von der Heilfunktion von Brotstücken hat. Wir verlangen auch nicht nach Loyalitätsbekundungen von, sagen wir mal, Flugzeugpiloten, die an das ewige Leben glauben und im Ernstfall vielleicht nicht mit allen Kräften eine Katastrophe des von ihnen gesteuerten Flugzeuges abzuwenden versuchen würden.
Wir müssen das Miteinander-Sprechen für uns dringend wiederentdecken. Aber nicht etwa mit der Absicht, über Glauben zu reden, sondern darüber, wie jeder und jede von uns seine Bindungen als Mitglied diverser, sich überlappender Gemeinschaften versteht, sei es in einem gemeinsamen Wohnhaus, in derselben Stadt, als deutscher Staatsbürger oder als Europäer.

Wo sind die Ähnlichkeiten?

Eine funktions- und nicht werteorientierte Kommunikation fokussiert nicht auf Unterschieden, sondern auf Ähnlichkeiten. Die einen haben Angst davor, dass ihre älteren Angehörigen wegen einer Pandemie zu früh sterben könnten, und die anderen davor, dass sie und ihre Liebsten einem gewinnorientierten Pharmaexperiment ausgesetzt sein könnten. Beides ist letztlich Konjunktiv.
Belehrende, besserwisserische Ansätze in Medien und Politik verkennen auch einen weiteren Aspekt der Kommunikation: die Leerstellen. Es gibt zahlreiche Forschungen dazu, dass erfolgreiche Kommunikation nicht auf dem exakten Dekodieren der durch Sprache vermeintlich transportieren “Inhalte“ beruht. Im Gegenteil, die Reduzierung auf nur “verständliche“ Aspekte lässt natürliche Ambiguität als Mangel erscheinen, den es zu überkommen gilt. So werden Missverständnisse gefördert und Frust gesät. Denn unsere Welt ist nun mal voller Ambiguität. Ungewissheiten und Unsicherheiten gehören einfach dazu.
In einem Land, in dem zahlreiche Menschen an Zusammenhänge jenseits wissenschaftlicher Diskurse glauben, empfinde ich es als inakzeptabel, staatliche Leistungen oder auch bürgerliche Rechte daran zu knüpfen, wie Politiker oder auch mediale Influencer über die einzelnen Glaubenssätze urteilen. Glauben ist Privatsache. Alles andere führt zu Glaubenskriegen.

Stanislaw Strasburger ist Schriftsteller, Publizist und Kulturmanager. Seine Schwerpunkte sind Erinnerung und Mobilität, er sucht nach der EUtopie und schätzt die Achtsamkeit. Sein aktueller Roman “Der Geschichtenhändler“ erschien 2018 auf Deutsch (2009 auf Polnisch und 2014 auf Arabisch). Der Autor wurde in Warschau geboren und lebt abwechselnd in Berlin, Warschau und diversen mediterranen Städten. Zudem ist er Ratsmitglied des Vereins “Humanismo Solidario“.

Mehr zum Thema