Nordischer Hotspot statt Musterland
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Das einstige Corona-Vorbild Norwegen hatte in der letzten Augustwoche den höchsten Inzidenzwert aller nordischen Länder. Vor allem unter Jugendlichen kommt es seit Schulbeginn Anfang September zu einem rasanten Anstieg der Infektionen. Was tun?
Sie ist ganz die Alte geblieben. Anne-Kari Holm, die Bürgermeisterin der südnorwegischen Grenzstadt Halden. Immer freundlich, immer auf die Minute pünktlich.
Auch ihren Humor hat die Konservative nicht verloren. Sie sei heil durch die Pandemie gekommen, ergo: Überlebende. Eine doppelt Geimpfte noch dazu. Meint die Frau lachend, der man ihre 76 Jahre nicht ansieht, ehe sie sich erschöpft auf einen der Stühle des Erlandsens Cafés in der Fußgängerzone der 30.000-Einwohnerstadt fallen lässt. Hinter Anne-Kari liegt schon ein kleiner Marathon.
"Es muss einfacher werden, die Grenze zu überqueren"
Zusammen mit ihrem Stellvertreter und dem Stadtdirektor war sie morgens in Oslo, der Hauptstadt. Anderthalb Autostunden hin, anderthalb Stunden zurück, plus Stau. Zur Audienz im Justizministerium.
"Sie haben sich unser Anliegen angehört. Viele Leute in Halden haben Familie in Schweden. Oder Arbeit. Es muss wieder einfacher werden, die Grenze zu überqueren. Du musst ja nachweisen, dass Du geimpft bist oder frisch getestet. Die Leute nervt das. Und dass nur zwei von fünf Grenzübergängen wieder offen sind. Das ist zu wenig", sagt sie.
"Vor Corona spielte die Grenze bei uns hier keine Rolle, Norwegen und Schweden: Das war irgendwie eins. Und jetzt kann es dir passieren, dass du bis zu sechs Stunden am Grenzübergang feststeckst, um von Schweden wieder nach Norwegen einzureisen."
Eine halbe Stunde hat sich der Staatssekretär im Justizministerium Zeit für Anne-Kari genommen – und sie vertröstet. Man werde sich kümmern. Sich kümmern. Haldens Bürgermeisterin schüttelt den Kopf. Da hatte sie sich mehr erhofft.
"Die Leute werden ungeduldig"
Nach all den Entbehrungen, ihrem vorbildlichen Verhalten. Nur vier Corona-Tote hat die Gemeinde zu beklagen, das Infektionsgeschehen weitestgehend in Schach gehalten.
"Die Leute in Halden haben die staatlichen Corona-Vorgaben sehr respektiert. Wir in Norwegen tun, was der Staat uns sagt. Deshalb ist unsere Corona-Todesrate auch eine der niedrigsten weltweit. Lange Zeit hatten wir alles unter Kontrolle. Aber das ändert sich gerade", berichtet Anne-Kari.
"Die Leute werden ungeduldig. Sie wollen wieder ihr normales Leben zurück, mehr Freiheiten. Und bei uns in Halden kommt hinzu: Viele wollen endlich wieder nach Strømstad, unsere schwedische Nachbarstadt, um billigeren Wein und billigeres Bier zu kaufen. In Strømstad ist ja alles billiger."
Anne-Kari schaut verwundert hoch: Cappuccino? Doch nicht für sie, sie trinkt ihren Kaffee schwarz. Sverre Stang, der Betreiber des Erlandsens, sollte das eigentlich wissen. Schließlich kennen sie sich schon eine halbe Ewigkeit. Sein plüschiges Café – das älteste Norwegens – liegt nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt.
Kein griesgrämiges Gesicht wegen Corona
Das Geschäft laufe viel besser als letztes Jahr, frohlockt der Mann mit dem Faible für bunte Hemden. Geöffnet hat Sverre sieben Tage die Woche. Freizeit? Er hebt theatralisch die Hände: gab es genug während der Lockdowns, als sie zu hatten. Und dass jeder einfach so in sein Café kann, ohne Maske, ohne Impf- oder Test-Nachweis macht ihm nichts aus.
"Du musst das Leben nehmen, wie es kommt, dich jeder Herausforderung stellen. Was hilft es mir und meiner Kundschaft, wenn ich wegen Corona ein griesgrämiges Gesicht mache?", fragt er.
"Stattdessen lächele ich und sage: 'Was hätte die Dame oder der Herr denn gerne? Aha, so so. Selbstverständlich, wird erledigt.' Ein Lächeln hat noch nie geschadet. Das ist besser, als wenn du deine Mundwinkel nach unten ziehst. Das bringt doch nichts."
Selbstmitleid ist auch nichts für die Bürgermeisterin. Lieber widmet sich Anne-Kari den "Positiv-Daten", wie sie das nennt.
Norwegen – vom Corona-Schock erholt?
Die Arbeitslosigkeit etwa: letztes Jahr lag sie noch coronabedingt bei sechs Prozent. Jetzt hat sie sich wieder halbiert. Die Papier- und Verpackungsindustrie hat sich vom Corona-Schock erholt. Und sie selbst? Hält es mit Sverres Mantra: Zähne zusammenbeißen. Und lächeln. Selbstverständlich ist das nicht.
Da ist ja nicht nur die Sache mit den Grenzübergängen. Ihren Geburtstag hat sie wieder nur in kleinem Rahmen feiern können, wegen der Corona-Auflagen. Und dann erst die Teams-Sitzungen! Das Stadtoberhaupt verdreht die Augen: Neun Stunden hat die letzte virtuelle Ratssitzung gedauert, sie selbst am Ende keine Stimme mehr gehabt – nachdem sie alle 39 Ratsmitglieder einzeln aufrufen musste.
Und als wenn das alles nicht schon stressig genug wäre, steht ihr in ein paar Tagen auch noch ein Umzug ins Haus.
"Warum wir umziehen? Mein Mann ist krank und kann nicht mehr laufen. Deshalb der Umzug. Das Haus ist nicht altersgerecht, zu viele Etagen, zu viele Stolperfallen. Samstag ist es soweit", sagt sie.
"Ich mag gar nicht daran denken: Ich muss noch so viel packen und vorbereiten. Wir leben auf einem Bauernhof, der seit Generationen in Familienbesitz ist. Das Haus, die Ställe, die Felder. Das alles aufzugeben, ist schon ziemlich traurig."
Mit Umzügen kennt sich auch Mona Schau aus – Personalchefin beim Verpackungshersteller VPK Peterson im Industriepark unweit der Grenze. Die mehrere Fußballfelder große Fabrik existiert erst seit März 2020.
Maske auf. Das war letztes Jahr noch anders. Die 38-jährige zuckt mit den Schultern. So sind nun mal die Unternehmensregeln. Dafür findet das Interview diesmal nicht zwischen Tür und Angel statt, sondern im Besprechungsraum im vierten Stock.
Verpacken im Lockdown – ein Erfolgsrezept
Durch ein Fenster kann man runter in die Fabrik schauen, auf Riesen-Papierwalzen. Und eine einsame Arbeiterin, die ein bisschen wirkt wie eine Spielzeugfigur. Doch das sei um diese Zeit normal, meint Mona. Mittagspause.
Das Geschäft brummt, nicht zuletzt wegen der gestiegenen Nachfrage nach Verpackungsmaterialien während der Lockdowns. Alles prima, wenn da nur nicht die Bürokratie wäre.
Wer von den ausländischen Wartungs- und Walz-Experten wann wie einreisen darf: ob geimpft, getestet oder beides – mittunter kann sich das von Tag zu Tag ändern.
Über 150 Mal ändern sich die Einreiseformalitäten
Über 150 Mal – hat Mona recherchiert – sollen sich seit dem März letzten Jahres die Einreiseformalitäten an der norwegischen Grenze geändert haben.
"Wir hatten viele Scherereien. Einer der Experten für den Aufbau unserer neuen Fabrik kommt aus Japan. Den wollten sie vor ein paar Monaten gar nicht erst einreisen lassen. Schon am Flughafen in Japan hieß es: 'Nach Norwegen reisen? Nein, das geht nicht.'", erzählt sie.
"Es war ein einziges Hin und Her. Wir mussten von Norwegen aus die Fluglinie anrufen. Und die wiederum die norwegische Grenzpolizei, bevor es endlich grünes Licht gab. Es ist schon ein wahnsinniger, bürokratischer Aufwand", meint die Frau in der cremefarbenen Bluse mit den stilisierten Pferden, nur um schnell hinzuzufügen: Nein, die Papierwalzen hätten kaum stillgestanden. Trotz ein paar Corona-Fällen in der Fabrik.
"Impfen hat etwas mit Verantwortung zu tun"
Mona selbst hat sich nicht infiziert. Sie hat aufgepasst, selbst im Frühling, als die Infektionszahlen in Norwegen europaweit mit am niedrigsten waren. Schon damals stand für sie fest: Wenn ihre Altersgruppe dran ist, lässt sie sich impfen.
"Ja, klar, absolut. Ich sehe das so: Wenn du dich impfen lässt, trägst du mit dazu bei, dass sich das Leben in Norwegen wieder normalisieren kann. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun", meinst sie.
"Ich weiß noch: Bei der ersten Impfung bin ich ganz euphorisch gewesen – und der Ärztin im Impfzentrum fast um den Hals gefallen. Für mich war es selbstverständlich mich impfen zu lassen. Allein schon, damit das Leben wieder in normalen Bahnen läuft."
Auch er ist immer noch ganz der Alte: Bjørn Guldvog, der Direktor des "Nationalen Instituts für Gesundheit" in Oslo, so etwas wie die norwegische Variante des Robert Koch-Instituts. Draußen ist es trübe, drinnen der drahtige Glatzkopf bestens vorbereitet.
Norwegen steht im Kampf gegen das heimtückische Virus besser da als letztes Jahr, viel besser sogar. Für Guldvog ist das keine steile These, sondern Fakt. Wie zum Beweis rattert der Instituts-Direktor im minimalistisch eingerichteten Besprechungsraum die Eckdaten der "Erfolgsgeschichte" in einem Tempo herunter, dass einem fast schwindelig werden kann.
Hohe Impfquote, niedrige Sterberate
Mit die höchste Impfquote weltweit, über neunzig Prozent der erwachsenen Norweger und Norwegerinnen sind mindestens einmal geimpft. Mit die niedrigste Corona-Sterberate weltweit, aktueller Stand: weniger als 830 Todesfälle.
Position eins beim "Covid Resilience Ranking", der Rangliste der Wirtschaftsnachrichten-Agentur Bloomberg, die sich angeschaut hat, welche Länder das Virus am effektivsten bekämpft haben, ohne das wirtschaftliche und soziale Leben abzuwürgen. Guldvog lächelt. Noch Fragen?
"Unser Grundprinzip lautet nach wie vor: testen, isolieren, nachverfolgen und Quarantäne. Wobei wir das mit der Quarantäne etwas gelockert haben. Man kann sich jetzt nach einiger Zeit freitesten", sagt er.
"Statt viele Leute in Quarantäne zu schicken, setzen wir weiter auf ein aggressives Test-Regime. Die Tests sind nach wie vor kostenlos. Das ermöglicht es uns, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zu behalten. Nach wie vor das A und O, auch an den Schulen."
Der Schulbeginn als Sündenfall
Anfang des Monats hat die Schule in Norwegen wieder begonnen – und wenn man so will, ist das auch die Achillesferse, das muss selbst Guldvog zugeben. Noch sind längst nicht alle 16- und 17-Jährigen geimpft, von den 12- bis 15-Jährigen ganz zu Schweigen.
Das hat Folgen: Oslo, Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens, Trondheim im Norden – überall schießt die Zahl der Neuinfektionen unter Kindern und Jugendlichen durch die Decke, mussten ganze Schulen schließen.
In der letzten Augustwoche hatte Norwegen den höchsten Inzidenzwert aller nordischen Länder. Natürlich wurmt das den Direktor des Nationalen Gesundheitsinstituts, auch wenn Guldvog das diplomatisch verpackt.
Die Jugendlichen auch per Tiktok erreichen
Ja, man habe die Gefahr für Kinder und Jugendliche unterschätzt. Und ja, sein Institut müsse es besser schaffen, die jungen Leute zu erreichen. Zur Not per Tiktok. Bei den Erwachsenen habe das ja auch ganz ordentlich geklappt. Schiebt er hinterher.
"Wir sind ausgesprochen erfolgreich darin, mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Auch über Unwägbarkeiten. Wir waren da ganz offen. Wenn wir uns unsicher waren, haben wir das auch so gesagt", erklärt er.
"Beim Impfen etwa war unser Standpunkt: Wenn die Regierung zum Schluss kommt, dass die Impfstoffe verhältnismäßig sicher und effektiv sind, dann unterstützen wir das. Wir haben nicht schon im Vorfeld gesagt, dieser oder jener Impfstoff ist sicher, den empfehlen wir. Wir haben der Bevölkerung nichts vorgemacht. Ich denke, das hat mit dazu beigetragen, das Vertrauen in die Regierung zu stärken."
95 Prozent der Norweger sind für die Impfkampagne
Guldvog schaut verstohlen auf seine Armbanduhr. Es wird Zeit. Er muss zurück an den Schreibtisch, Studien wälzen. Auch in Norwegen planen sie jetzt, die 12- bis 15-Jährigen zu impfen. Und gefährdete Personen wie Alte und Vorerkrankte ein drittes Mal, möglichst bald.
Groß in Frage gestellt wird das nicht. In Umfragen befürworten 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung die Impfkampagne. Und der Rest? Norwegens Christian Drosten hebt die Hände. Macht sich manchmal Luft bei ihm.
"Wir haben verschiedene Drohungen erhalten, aber ich will das nicht überbewerten. Ich persönlich habe keine konkrete Todesdrohung bekommen. Aber natürlich können diese E-Mails und Kommentare ganz schön drastisch sein", erzählt er.
"Doch alles in allem bin ich sehr dankbar, wie mich Medien und Bevölkerung behandelt haben. Es kommt inzwischen häufiger vor, dass mich Leute auf der Straße ansprechen, um sich bei mir zu bedanken. Also das ist alles wirklich sehr wohlwollend."
Ein neuer Tag, eine andere Ecke der norwegischen Hauptstadt. Und damit zu ihm: "I’m state secretary for Covid 19 issues in Norway. So the sole thing I work with is the pandemic." "Covid-Zar". So nennen sie im Land der Fjorde und Seen manchmal spaßeshalber Saliba Andreas Korkunc, den Staatssekretär für Corona-Fragen im Gesundheitsministerium.
Norwegen hat kollektiv und schnell reagiert
Der junge Konservative ist zwar erst seit Februar im Amt, doch auch schon letztes Jahr drehte sich bei ihm, dessen christliche Eltern in den 80er Jahren aus religiösen Gründen aus der Türkei nach Norwegen flüchteten, alles um Corona. Auch er stellt seinen Landsleuten ein gutes Zeugnis aus. Im Abwehrkampf.
"Die Norweger und Norwegerinnen haben kollektiv reagiert – und zu Beginn der Pandemie das gesellschaftliche Leben gestoppt. Niemand hat sich mehr getroffen", sagt er.
"In den Altenheimen galt Besuchsverbot. Die Grenzen waren dicht. Hinzu kommt, dass Norwegen nicht besonders dicht besiedelt ist. Außerhalb der Großstädte leben die Leute weit verstreut. Da ist es leichter, Abstand zu halten."
Korkunc trägt einen sorgsam gestutzten Fünf-Tage-Bart und keine Maske. Der Jung-Politiker lacht. In Oslo ist das nicht vorgeschrieben, anders als in Bergen. Jede Kommune entscheidet das eigenständig. In der "Regen-Hauptstadt Norwegens" hat er vor seiner Zeit in Oslo zehn Jahre lang studiert und gearbeitet.
"Die Pandemie wurde im Wahlkampf nicht politisiert"
Und unter normalen Umständen wäre er jetzt auch auf Wahlkampftour, schließlich ist ja Parlamentswahl. In den Umfragen liefern sich seine Konservativen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemokraten. Doch statt potentielle Last-Minute-Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, brütet er die meiste Zeit im Büro über den neusten Corona-Regeln, nimmt den Wahlkampf nur am Rand wahr.
"Corona ist kein großes Thema im Wahlkampf. Wir haben die Pandemie nicht politisiert. Die meisten Parteien stimmen mit dem Regierungskurs überein, auch die Opposition. Mit ausschlaggebend ist, dass wir als Regierung dem Experten-Rat gefolgt sind", meint er.
"Deshalb geht es im Wahlkampf auch nicht um Corona, sondern um andere Themen: Was für ein Gesundheitssystem wollen wir? Was für Schulen? Wie hoch soll die Steuerlast sein? Der Klimawandel. Das sind die Hauptthemen."
Na bitte. Es geht doch. Letzten September stand Svenn-Erik Mamelund noch im weißen Bademantel verdattert an der Eingangstür seines Hauses in Skedsmokorset, einem verschlafenen Nest eine halbe Autostunde von Oslo entfernt, weil er den Termin mit dem Journalisten aus "Tyskland" – aus Deutschland – vergessen hatte.
Doch dieses Mal ist der 52 Jahre alte Wissenschaftler von der Städtischen Universität Oslo bereits angezogen – und bestens präpariert.
Erst mal einen Kaffee. Schnellen Schrittes eilt der Wuschelkopf in die Küche, vorbei an zwei ausgestopften Vögeln. Die hat sein Schwiegervater erlegt. Svenn-Erik grinst. Der alte Herr müsste eigentlich gerade wieder auf Pirsch sein.
"Ich will mich und meine Familie schützen"
Letztes Jahr hat er ihn monatelang nicht gesehen, obwohl er nur die Straße runter wohnt. Aus Sicherheitsgründen. Wegen der Ansteckungsgefahr. Doch das ist jetzt anders, der Schwiegervater ist geimpft. Genau wie der Schwiegersohn. Heute vor zwei Wochen hat der Experte für die Spanische Grippe seinen zweiten Piekser bekommen. Eigentlich könnte er es jetzt lockerer angehen lassen, Kollegen an der Uni treffen. Verreisen. Doch Svenn-Erik ist nicht danach.
"Es ist zwei Jahre her, dass ich das letzte Mal außer Landes war. Ich will mich und meine Familie schützen. Während der Lockdowns konntest du ja so oder so nicht reisen. Und danach?", fragt er.
"Letztes Jahr im Sommer sind viele ins Ausland gereist und was war das Ende vom Lied: Sie haben die Krankheit mit nach Norwegen geschleppt. Und prompt hatten wir im Herbst die zweite Welle, wegen der Grenzöffnungen."
Mit Impfen auf Nummer sicher gehen
Auf Nummer sicher gehen. Für Svenn-Erik hieß das auch, sich impfen lassen. Seine Frau und seine zwei erwachsenen Kinder sehen das genauso. Eigentlich die ganze Familie, mit einer Ausnahme.
"Eine meiner Schwestern will sich nicht impfen lassen. Sie ist voll auf dem Verschwörungstrip. Es ist schwierig. Du kannst mit jemanden, der an diese Verschwörungsmythen glaubt, nicht normal reden, geschweige denn überzeugen, dass das Müll ist. Das führt zu nichts", sagt er.
"Ich habe meine Schwester in der Pandemie ein paar Mal gesehen, bei Familienfeiern und Konfirmationen. Ich versuche einen Bogen um das Thema zu machen. Nur nicht darüber reden! Ansonsten endet es in Geschrei. Ehrlich gesagt setzt mir das ziemlich zu."
Noch zwei Pandemien in diesem Jahrhundert?
Mit Verschwörungsmythen kennt sich der Wissenschaftler aus, schließlich ist sein Forschungsschwerpunkt nicht umsonst die verheerende Spanische Grippe von 1918-20, sozusagen die Urmutter aller Pandemien.
"Bei der Spanischen Grippe war es so: die Schweden haben es die 'norwegische Krankheit' genannt. Weil sie dachten, es kommt aus Norwegen. Vom Feind. In Polen hieß sie die 'bolschewistische Krankheit'. Weil die Leute in Polen die sowjetischen Bolschewisten noch lieber loswerden wollten als die Krankheit", sagt er.
"Bei Pandemien kursieren immer Verschwörungsmythen. Bei der Spanischen Grippe hieß es sogar zeitweise, sie sei eine von den Deutschen entwickelte Waffe. Also, das gab es immer schon."
Nächstes Jahr, hofft er, könnte der Spuk vorbei sein, zumindest in Europa. Und dann heißt es warten und bangen.
"Wenn wir uns die Geschichte anschauen, sollten wir uns noch auf mindestens zwei weitere Pandemien in diesem Jahrhundert einstellen. Also zwei: Das ist das Minimum."