Wie ein Urlaubsziel um Gäste kämpft
09:06 Minuten
Drei Landesregierungen regeln die Hygienekonzepte im Harz. So prallten verschiedene Vorschriften aufeinander. Drüben öffneten die Restaurants, hüben blieben sie zu. Bei Gastronomen in Sachsen-Anhalt sorgt dies immer noch für Ärger.
"Guten Morgen!"
"Guten Morgen. Das ist ja ein Service. Sie holen mich ab?"
"Mit Tür auf, ja. Kommen Sie rein!"
"Guten Morgen. Das ist ja ein Service. Sie holen mich ab?"
"Mit Tür auf, ja. Kommen Sie rein!"
Sie freut sich über jeden Besucher: Christiane Hopstock, ehrenamtliche Bürgermeisterin von Schierke, der 540-Seelen-Gemeinde am Fuße des Brockens, des höchsten Gipfels im Harz. In Zeiten wie diesen. "Wir haben in Schierke keinen Corona-Fall", stellt die CDU-Frau klar.
Es ist Dienstagmorgen, kurz nach halb zehn. Und damit: Zeit für Kaffee. Filterkaffee. Den Kaffee hat die Frau im rosa Pullover selbst gemacht, außer ihr ist niemand im historischen Rathaus. "Wir sind nicht weg vom Fenster", sagt Hopstock.
Zutritt nur aus Sachsen-Anhalt
Die letzten Wochen und Monate, sie waren nicht einfach. Die Walpurgisfeier Ende April, zu der normalerweise Tausende strömen: abgesagt wegen Corona. Die Übernachtungs-Zahlen: im Keller. Im April betrug das Minus neunzig Prozent.
Und dann noch die Sache mit dem Sachsen-Anhalter-Sonderweg: Bis Ende Mai durften Corona-bedingt nur Besucher aus Sachsen-Anhalt nach Schierke reisen, für alle anderen galt: Zutritt verboten.
"Uns sind ganz viele Gäste weggebrochen, die jetzt über Himmelfahrt und Pfingsten kommen wollten", erzählt Christiane Hopstock. "Die jetzt auch sagen: Oh! Was ist denn hier los? Was hat denn Sachsen-Anhalt hier gemacht? Man hat das dann auch am Telefon gehört: Dieses Unverständnis. Und dann kamen auch so ein paar dumme Sätze: ‚Na ja, ihr Ossis werdet's auch noch lernen.' Also, es war schon sehr, sehr schwierig, sich auch mit den Gästen am Telefon zu unterhalten. Viel Unverständnis. Logisch."
Darüber, dass Schierke die Luken dicht machte. Und dass keine zehn Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Brockens, im niedersächsischen Braunlage, alles anders war. Dass sich Besucher aus ganz Deutschland dort frei bewegen und dass Restaurants und Cafés schon Mitte Mai wieder öffnen konnten.
"Dann durften die Leute aus Niedersachsen nicht auf den Brocken", sagt Hopstock. "Also, das war für mich wie ein Schock. Ich wollte es gar nicht glauben. Aber es haben mir eben viele Touristen erzählt, dass sie kontrolliert worden sind. Im Wald! Das kann nicht mehr sein. Ich glaube, die Zeiten sollten wir längst hinter uns haben."
Totholz bis zum Brocken hoch
Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung. - Gemächlich schlängelt sich die Kalte Bode durch Schierke, vorbei an aufwendig renovierten Gründerzeit-Hotels und der nagelneuen Eislaufarena. Schon schön hier, diagnostiziert Hopstock nach einer zehnminütigen Autofahrt über Stock und Stein am Rande des Stadtwaldes. Wenn da nicht die zweite Plage wäre, die den Harz heimgesucht hat:
"Wir sehen eben wirklich, welche Ausmaße der Borkenkäfer, die Trockenheit - was hier verursacht worden ist. Wir sehen hier alle Berge, die ringsherum sind, bis zum Brocken hoch sehen wir nur Totholz. Also, tote Bäume. Und es ist ein Anblick, ja, ich sag mal - fast wie nach dem Atomkrieg."
"Gut ausgebucht?"
"Ja, das noch nicht."
"Kommt."
"Ja, es kommt."
"Ja, das noch nicht."
"Kommt."
"Ja, es kommt."
Im "Hotel Villa Bodeblick" schaut die Bürgermeisterin häufiger vorbei. Bis vor ein paar Jahren gehörte ihr das 35-Betten-Haus, jetzt schmeißt Daniel Rejn den Betrieb. Unter besonderen Vorzeichen.
Mehr Arbeit für weniger Gäste
"Wir haben eine Komplett-Maske", sagt Rejn. "Weil es angenehmer ist, damit zu sprechen. Zu kommunizieren. Man sieht die Mimik. Ja, deswegen haben wir uns dafür entschieden."
Es sei nicht die einzige Corona-Schutzmaßnahme im Hotel und dem hauseigenen Restaurant. Am Tag eins der Wiedereröffnung:
"Es wird jede Stunde die Toilette desinfiziert. Alle Griffe werden desinfiziert. Nach Hygiene-Plan. Tische werden nach dem Gast sofort desinfiziert. Viel, viel Arbeit. Für weniger Gäste."
Der Mittvierziger ist heilfroh, dass er sein Hotel wieder hochfahren konnte. Nach elf Wochen Lockdown und Kurzarbeit für seine sieben Angestellten. 15.000 Euro Soforthilfe hat er vom Land Sachsen-Anhalt bekommen. Und sich geärgert, dass er im Mai fünfzig potenziellen Gästen sagen musste: Tut mir leid, aber bei uns dürfen nur Sachsen-Anhalter übernachten. Der Hotelier gibt sich einen Ruck. Wird schon. Es muss.
Wochenlang ein Geisterort
Das Corona-Virus hat nicht nur Schierke wochenlang zum Geisterort gemacht. In der niedersächsischen Nachbargemeinde Braunlage war es nicht viel besser, bestätigt Meik Lindberg, Besitzer des "The Hearts Hotel", einer Hipster Herberge, ausstaffiert mit dänischen Designer-Möbeln und alten Wanderstöcken. Aber der Mann, der lange in Kalifornien lebte, hat aus der Not eine Tugend gemacht – und sein verwaistes 69-Betten-Hotel vorübergehend zu einer Art Homeoffice für Startup-Leute umfunktioniert, denen zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist.
"Es hat sich ein Produkt entwickelt durch die Not", sagt Lindberg. "Und das ist dieses Hotel-Office-Produkt. Es ist auch eine Chance. Wenn man's so sehen will. Ich sehe immer alles positiv. Man hat auf einmal etwas entdeckt, mit dem man vorher so nicht gerechnet hat."
Elf Wochen Shutdown: Für Meik Lindberg bedeutete das unterm Strich einen Verlust von 160.000 Euro. Einen Teil kann er kompensieren. 20.000 Euro gab es vom Land Niedersachsen als Liquiditätshilfe, 50.000 Euro als Darlehen von der KfW-Bank. Und ansonsten gilt das Prinzip Hoffnung.
Hygiene-Konzept treibt Kosten hoch
Pfingsten waren sie ausgebucht, allerdings nur bei sechzig-prozentiger Auslastung. Mehr erlaubt das Land Niedersachsen nicht. Der Hotelier verzieht das Gesicht. Hundert Prozent wären ihm lieber gewesen, klar, schließlich treibe das neue Hygiene-Konzept die Kosten in die Höhe:
"Das sind natürlich Mehrkosten. Erhebliche Mehrkosten. Das fängt ja schon an mit der Beschaffung von Masken. Die Masken werden ja nicht gerade zu einem günstigen Kurs verkauft. Das heißt, allein der Maskenbedarf: Das ist schon ein vierstelliger Wert pro Monat."
"Oh! Das ist ja toll!"
"So. Bitte schön."
"Ich danke."
"So. Bitte schön."
"Ich danke."
Die Corona-Krise: Sie hat den Alltag durcheinander gewirbelt. Bürgermeister Wolfgang Langer grinst. Früher hätte er seinen knapp 6000 Braunlagern die Gelben Säcke wohl eher nicht höchstpersönlich in die Hand gedrückt, mit spitzen Fingern, draußen, am Eingang des Rathauses. Doch außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
"Von Normalität sind wir noch relativ weit entfernt", konstatiert der Parteilose auf dem Weg in sein Büro. Hinter Langer liegen anstrengende Wochen. Wenig Schlaf, viel Stress. Und die Erkenntnis, dass 3000 Zweitwohnungen und 13.000 Gästebetten normalerweise die Kassen seiner Kämmerin klingeln lassen, nur nicht in Corona-Zeiten.
Der Bürgermeister kann auch Nein sagen
"Wir sind Touristik-Kommune", sagt Langer. Das heißt, hier sind von einem Tag auf den anderen beispielsweise die Gästebeiträge, also die frühere Kurtaxe, weggebrochen. Allein in den Monaten des kompletten Shutdowns etwa 350.000 Euro."
Die Einbrüche bei den Gästebeiträgen, der Einkommens- und Grundsteuer: Das geht nicht spurlos vorüber. Eine halbe Million Euro dürfte das Minus betragen, mindestens: Wolfgang Langer macht sich da keine Illusionen. In Braunlage sind sie voll des Lobes über den 50-jährigen. Seine besonnene Art. Dass er auch Nein sagen kann, wenn ihm wieder mal ein Gastronom den Floh ins Ohr setzen will, spätestens in den Sommerferien wieder richtig durchzustarten.
"Da ist es schon so, dass die Leute hier - tatsächlich nicht auf den Straßen aber vor bestimmten Event-Gastronomien - sozusagen ja auch feiern", sagt Langer. "Klar! Das sind so Dinge. Dass ein DJ jetzt draußen Musik macht. Oder Live-Musik: Das ist erstmal noch nicht erlaubt. Ich denke mal, wir kommen jetzt vielleicht mit zwei tiefblauen Augen davon. Aber: Noch ein Lockdown wäre sicherlich eine Katastrophe."