Thorsten Faas, geboren 1975 in Idar-Oberstein, ist Professor für Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin. Faas sitzt im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung.
Corona
Keine andere Maßnahme wurde so unterschiedlich bewertet wie die Pflicht zum Tragen einer Maske, sagt Thorsten Faas. © IMAGO/Michael Gstettenbauer
Auch Maßnahmen-Skeptiker verdienen Respekt
Forschende der FU Berlin haben gefragt, was Menschen übers Maskentragen und Impfen denken. Die Ergebnisse haben zum Teil überrascht. Eins sei aber auch klar, sagt Politologe Thorsten Faas, Menschen sind nicht gleich Querdenker, wenn sie mal zweifeln.
Ob uns im Herbst und Winter eine neue Corona-Welle bevorsteht, weiß man derzeit nicht. Klar aber ist: Ohne oder gar gegen die Bevölkerung kann eine Pandemie nicht erfolgreich bekämpft werden. Es sind schließlich die Menschen, die Maßnahmen einhalten oder sich impfen lassen.
Dass dabei längst nicht alle mitgemacht haben, haben wir in den Corona-Jahren immer wieder erlebt. Und es waren längst nicht nur sogenannte „Querdenker“ oder Menschen, die dem Staat und der Politik grundsätzlich misstrauen.
Überraschende Studienergebnisse
Können wir verstehen und erklären, wer Corona-Maßnahmen unterstützt und befolgt? Wer dagegen demonstriert? Wer sich impfen lässt? Und wer nicht? Wir an der Freien Universität Berlin haben die Pandemie über lange Strecken mit sozialwissenschaftlicher Forschung begleitet.
In einem groß angelegten Projekt haben wir seit 2020 einen identischen Kreis von über 2000 Personen insgesamt vier Mal befragt, um so die Dynamik der Pandemie aus Sicht der Bevölkerung sichtbar zu machen, etwa bezogen auf die Corona-Maßnahmen.
Überraschend waren die größten Aufreger gar nicht die sehr weitreichenden, einschneidenden Maßnahmen, die das Leben vieler Menschen massiv beeinflusst haben – Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen etwa.
Es ist die Pflicht zum Tragen einer Maske, die die größten Kontroversen ausgelöst hat. Keine andere Maßnahme wurde so unterschiedlich bewertet wie die Pflicht zum Tragen dieses kleinen Stückchen Stoffs, keine andere Einzelmaßnahme prägt das Gesamtbild des Bündels an beschlossenen Maßnahmen mehr.
Maßnahmenbewertung wird politisch „aufgeladen“
Dass bei der Bewertung der Corona-Maßnahmen eigene Betroffenheit eine untergeordnete Rolle spielt, sieht man auch an anderer Stelle. Wir finden zwar gewisse Unterschiede, die auf eigennütziges Verhalten in der Pandemie hindeuten: Wer etwa zu einer Risikogruppe gehört oder Menschen aus diesen Risikogruppen kennt, der unterstützt Corona-Maßnahmen etwas stärker als andere.
Aber all das ist kein Vergleich zu den viel größeren Unterschieden, die wir etwa zwischen den Anhänger:innen verschiedener Parteien oder auch den Nutzer:innen verschiedener Medien finden. Die Unterschiede in der Bewertung der Maßnahmen ergeben sich nicht natürlich, sondern werden politisch und symbolisch „aufgeladen“.
Vereint in der Abneigung für einander
Noch etwas haben wir gesehen: Viele Diskussionen in der Pandemie verliefen asymmetrisch: Mehr Menschen im Land waren für eine Impfpflicht als dagegen, auch im Bundestag war das bei der entscheidenden Abstimmung der Fall. Doch dem klaren, lauten, eindeutigen Nein zur Impfpflicht stand ein diffuses, leises „Ja“ gegenüber, das sich am Ende aber nicht durchsetzen konnte.
Eine andere Asymmetrie hat uns noch mehr überrascht: Menschen, die die Maßnahmen unterstützen, stehen Menschen, die dies nicht tun, skeptisch gegenüber – und umgekehrt. In Umfragen messen wir da ein erhebliches Maß an gegenseitiger Abneigung, wir nennen es „affektive Polarisierung“. Aber trotzdem fällt diese nicht symmetrisch aus: Tatsächlich sind es Menschen, die die Corona-Maßnahmen mit Nachdruck unterstützen, die auf Maßnahmen-Gegner:innen verachtend herabschauen. Umgekehrt ist das nicht in gleichem Maße der Fall.
Solche Muster sollten Politiker:innen mit Blick auf eine vielleicht kommende nächste Corona-Welle berücksichtigen. Menschen müssen erreicht werden, mitgenommen werden – auch mit Informationen versorgt werden. Sie müssen Dinge verstehen, auch wenn sie hochkomplex sind.
Das gilt für eine Pandemie ebenso wie für den Klimawandel. Das ist keine Selbstverständlichkeit – und daher gilt: Wer unsicher ist und zweifelt, sucht vielleicht auch nur Orientierung. Solche Menschen sind nicht gleich Querdenker. So sollte man sie auch nicht behandeln. Und schon gar nicht auf sie herabsehen.