Ein Schlag ins Gesicht für die Live-Kultur
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Die Corona-Notbremse verbietet ab einer Inzidenz von 100 pauschal alle Kulturveranstaltungen – sogar draußen und mit Hygienekonzept. Ein herber Schlag für die Live-Branche, meint Kulturjournalist Dirk Schneider.
Dass das Fusion-Festival im März mit einem beeindruckenden Konzept für ein pandemiegerechtes Open-Air-Festival an die Öffentlichkeit ging, war möglicherweise eher ein symbolischer Akt – der Aufwand mit eigens eingerichteten Covid-Testzentren wäre immens, aber im Bereich des Möglichen. Das Echo auf den Vorstoß war erstaunlich gering, wurde hier doch vorgerechnet, dass eine sichere Freiluftveranstaltung mit mehreren Zehntausend Menschen in der Pandemie denkbar ist.
Auch draußen gilt das Verbot
Auch nachdem vor einer Woche führende Aerosol-Forscherinnen mit Nachdruck darauf hingewiesen hatten, dass die größte Ansteckungsgefahr mit dem Covid-19-Virus in Innenräumen herrscht, gab es kaum Konsequenzen.
Nun wurde die Corona-Notbremse durch den Bundestag gewunken. Bei einer Inzidenz von über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen sollen so gut wie alle kulturellen Veranstaltungen verboten werden, egal ob draußen oder drinnen. Es wundert einen nicht, dass den Veranstalterinnen und Veranstaltern die Galle hochkommt.
Hygienekonzepte werden ignoriert
Von "Kulturverbot" und "Offenbarungseid" spricht die Fachgruppe Veranstaltungswirtschaft der Berlin Music Commission. Überzeugende Hygienekonzepte für Open-Air-Veranstaltungen liegen inzwischen viele vor, aber jede Planungssicherheit ist jetzt dahin. Währenddessen drängen sich in den frühlingshaft überfüllten Parkanlagen die winter- und coronamüden Menschen – ganz ohne Hygienekonzept. Wie viele sich dazu noch in privaten Innenräumen drängen, um dem nachzugehen, was seit jeher zum Leben gehört: Gesellschaft, Rausch, gemeinsame Ausgelassenheit, das sehen wir nicht.
Nicht nur für die Menschen, deren Lebensunterhalt an der Veranstaltungsbranche hängt, muss sich die Corona-Notbremse anfühlen wie der letzte Schlag ins Gesicht kurz vor dem Knock-out. Ganz ohne Pathos kann man sagen, dass vor allem junge Menschen mit diesem Gesetzentwurf in die Illegalität getrieben werden, und in die Krankheit. Noch eine Open-Air-Saison ohne Feiern und gemeinsame Kulturerlebnisse – ein Luxusproblem? Angesichts der bestehenden, und, das sei betont, pandemiegerechten Möglichkeiten, ist es ein Hohn.
Hoffnung auf Unterstützung durch eine neue Stiftung
Heute ist auch eine neugegründete Stiftung namens LiveKultur an die Öffentlichkeit gegangen. Die Stärkung, wenn nicht die Rettung der Klubkultur hat sie sich vorgenommen – die Pläne dazu stammen noch aus der Zeit vor der Pandemie. Spekulation, steigende Mieten, Lärmschutzbestimmungen: Die Klubkultur ist bereits schwer angeschlagen in die Pandemie gegangen. Sie ist ein Risikopatient. Der viel beschworene Schutz der Schwachen in der Corona-Krise, ihr wird er nun versagt.