Corona-Pandemie in Portugal

Außergewöhnliche Solidarität mit dem Klinikpersonal

05:42 Minuten
Ein Krankenpfleger verabschiedet sich von einer Covid-19 Patientin in einer Sportarena, die zu einem Krankenhaus umfunktioniert wurde. Portimao in Portugal, 9. Februar, 2021.
Portugals Kliniken sind im Ausnahmezustand: Die Menschen helfen den Beschäftigten zum Teil auf sehr kreative Weise. © AFP/Patricia De Melo Moreira
Von Tilo Wagner |
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Portugal ist von der Pandemie besonders schwer betroffen. Die Krankenhäuser sind voll, das Gesundheitssystem überlastet. Um Beschäftigten in Medizin und Pflege zu helfen, startet die Bevölkerung ungewöhnliche Solidaritätsaktionen.
Tânia Neves schließt die Tür von einem Wohnmobil auf, tritt hinein und verstaut ein paar Lebensmittel in den Schränken. Der Wagen steht nicht am Strand und nicht auf einem Campingplatz, sondern an einer Straße direkt vor dem größten Lissabonner Krankenhaus Santa Maria.

Wohnmobile für Medizin- und Pflegepersonal

"Unsere Idee war, den Menschen, die in den Krankenhäusern arbeiten, einen Rückzugsort zur Verfügung zu stellen. Viele wollten nicht jedes Mal den langen Heimweg auf sich nehmen. Und sie wollten auch deshalb nicht nach Hause, weil sie Angst hatten, ihre Familien anzustecken", sagt Neves.
"Dort sind die Kinder, die jetzt digitalen Schulunterricht haben, und wahrscheinlich auch die Lebensgefährten, die im Homeoffice arbeiten. Wir dachten: Wenn wir die Wohnmobile direkt vor den Krankenhäusern parken, dann können Ärzte und Krankenschwestern ein kurzes Mittagsschläfchen machen, bevor sie in die nächste Schicht müssen."
Was Tânia Neves und ihre Freunde aber nicht hatten, waren Wohnmobile. Deshalb starteten sie einen Hilferuf im Internet. Gemeldet hat sich Luísa Ferreira von einem Lissabonner Wohnmobilverleiher. Seit November standen die Wagen von Ferreiras Freunden unbenutzt auf einem Parkplatz – die zweite Corona-Welle hat seit Ende November auch die letzten Portugal-Reisenden vergrault.
"Wir haben gedacht, bevor die da nur rumstehen, helfen wir lieber", erzählt Ferreira. Die junge Frau hatte wie so viele Portugiesen mitbekommen, dass das Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Notkrankenhäuser sind in den vergangenen Wochen in Sporthallen und in Militärkasernen hochgezogen worden, um die sehr hohe Zahl von Covid-19-Patienten unterzubringen. Das medizinische Personal muss seitdem tagtäglich viele Überstunden machen, um die Versorgung der Kranken zu garantieren.

Freiwillige spenden Lebensmittel und Getränke

Mitte Januar fuhr Luísa Ferreira mit ihren Freunden die Wohnmobile zum Krankenhaus Santa Maria.
"Wir sind mit unseren vier bunten Wohnmobilen auf den Parkplatz des Krankenhauses gefahren", erzählt sie, "aber der Sicherheitsdienst wusste von nichts und hatte keine Ahnung, wo wir parken sollten. Irgendwann haben wir uns an die Straße vor dem Krankenhaus gestellt, obwohl hier eigentlich gar kein Wohnmobil hinpasst. Dann kamen die Leute von der Hilfsaktion und haben gesagt: Luisa, keine Sorge, wir machen jetzt ein paar Telefonate und dann wird das alles klappen. Und so war es dann auch."
Lagebesprechung vor den vier bunten Wohnmobilen am Straßenrand: Tânia Neves unterhält sich mit weiteren Freiwilligen. Hunderte von Portugiesen haben sich gemeldet, um die Hilfsaktion zu unterstützen. Und über 400 Wohnmobilbesitzer wollen ihre Wagen zur Verfügung stellen. Die Helfer, viele von ihnen arbeitslos oder unterbeschäftigt, sind täglich vor Ort, um Spenden entgegenzunehmen, und sie dann an das Krankenhauspersonal weiterzugegeben.
Eine Frau mit blauer Mund-Nasen-Maske hält ein Tütchen mit zwei kleinen Kuchen in der Hand, daran hängt ein grüner handgeschriebener Zettel mit der Aufschrift "Obrigada" (Portugiesisch: "danke").
Süßer Dank: die ehemalige Pflegerin Joana Gabirra mit ihrem selbstgebackenen Honigkuchen.© Deutschlandradio / Tilo Wagner
Am Straßenrand hält ein Auto. Ein älteres Ehepaar steigt aus und holt aus dem Kofferraum große Plastiksäcke. Joana Gabirra hat bis zu ihrer Pensionierung im Santa-Maria-Krankenhaus als Pflegerin gearbeitet.
Jetzt nutzt sie die Wohnmobile, um kleine Leckereien und Getränke für ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen abzugeben. Heute bringt sie kleine Kuchenstückchen mit, individuell verpackt, an jedem hängt ein handgeschriebener Zettel: "Obrigada", "Danke" steht darauf.
"Meine Schwägerin und ihre Freundinnen wollten auch helfen", sagt Joana Gabirra. "Also haben sie mir diese zwei Säcke mitgegeben: zwei riesige Säcke voller Honigkuchen. Alles gestern selbst gebacken."

"Sie arbeiten für uns, wir für die Allgemeinheit"

Die Verpflegung ist mittlerweile das Hauptgeschäft der Hilfsaktion. In den Wohnmobilen schläft kaum noch jemand, seit das Projekt im Internet sogar kostenlose Zimmer und Wohnungen in der Nähe der Krankenhäuser an das medizinische Personal vermittelt. An den bunten Wohnmobilen halten trotzdem viele an.
José Francisco, der in der Leichenhalle des Krankenhauses arbeitet, parkt sein Auto in der zweiten Reihe und wuchtet ein paar Paletten Wasserflaschen hinüber in seinen Kofferraum.
"Das ist ein großartiges Projekt", sagt er. "Wir haben einfach keine Zeit mehr für gewisse Dinge. Und die Leute hier sind unsere rechte Hand geworden. Sie arbeiten für uns, und wir arbeiten für die Allgemeinheit. Das ist eine runde Sache."
Francisco steigt in sein Auto, winkt den Helfern zu und fährt in Richtung Leichenhalle. Ein leichter Nieselregen setzt ein. Tânia Neves zieht sich ins Wohnmobil zurück. Sie zeigt auf eine angetrocknete Rose, die über der Spüle hängt. Ein Zeichen der Dankbarkeit von einer Floristin.
"Ich hatte Zeit und Lust, mitzumachen", sagt Neves. "Ich wusste, dass ich hier nützlich sein kann. Es ist unglaublich. Und ich bin froh, dass ich an einem Projekt teilhabe, das wirklich gerade den Unterschied macht."
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