Corona und Sprache
Unter manchen Stickern stecken sogar Rasierklingen. Wer versucht, sie zu entfernen, kann sich schwer verletzen. © imago / Hanno Bode
Der Sticker- und Graffiti-Krieg
08:47 Minuten
Linguisten aus Hamburg untersuchen, wie Corona unsere Sprache prägt. Im Fokus: Schilder, Plakate, Sticker und Graffitis. Mittlerweile sei ein regelrechter „Sticker-Krieg“ zwischen Impfgegnern und -Befürwortern entbrannt, berichten die Forscher.
Aprilwetter mitten im Februar: erst Regen, dann Sonne, dann wieder Regen bei halben Orkan-Böen: in Hamburg nichts Ungewöhnliches. Jannis Androutsopoulos kennt das schon. Er sei Sprachwissenschaftler an der Universität Hamburg, erzählt er. „Und wir befinden uns jetzt gerade in Barmbek.“
Der gebürtige Grieche, der schon länger in der Hansestadt forscht, ist von seinem Institut nach Barmbek geradelt, das alte Arbeiterviertel. Trotz Regen. Der Mann in der schwarzen Regenjacke ist da hart gesotten.
Graffitis als Forschungsobjekte
Jannis tut das, was Linguisten so tun: Sprache analysieren. Oder um genauer zu sein: Er forscht über die „Sprachlandschaft im öffentlichen Raum“, seit vier Jahren schon.
Er archiviert auf „LinguaSnappHamburg“ – seiner App – das, was ihm und seinen Studierenden auffällt, in der Sprachlandschaft. „Graffiti, Aufkleber, aber auch Transparente auf Demos.“ Mehr als 700 Fotos sind so zusammengekommen, viele mit Corona-Bezug.
Corona bestimmt unsere Sprache
Corona hat nicht nur unser Leben grundlegend verändert, sondern auch unsere Sprache. So sieht Jannis das. Den Anfang machten Verbote und Hinweise. Schilder, auf denen stand: Der und der Park ist jetzt wegen Corona gesperrt, das Geschäft XY vorübergehend geschlossen. 2020 war das, im ersten Lockdown.
Es folgten: Durchhalteparolen. „Die Sprüche der ersten Stunde waren allesamt Sprüche der Ermutigung“, sagt Androutsopoulos. „Haltet durch! Wir vermissen Euch! Wir schaffen das!“ So etwas hätten die Leute sich an Fenster geklebt oder auf den Bürgersteig gemalt. „Im Laufe der Zeit haben sich diese Sprüche dahingehend geändert, dass sie umgeschlagen sind: von Sprüchen der Ermutigung hin zu Sprüchen des Protestes.“
Sprüche des Protests
Polizei-Einsatz in Barmbek: Das kommt in letzter Zeit häufiger vor, seitdem sich die Querdenker-Szene hier breitmacht, auf ihren Spaziergängen. Meist ist der Spuk nach zwei, drei Stunden vorbei, doch ihre Spuren lassen sich nicht so einfach wegwischen. Androutsopoulos deutet auf eine: „Wir haben hier direkt unter der Brücke, am Kanal ein Graffito: Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke. Gesund ist krank. Das lässt Sie an Corona denken, näh?!“
Jannis dreht sich zur Seite. Links prangt noch ein weiterer Spruch. Nur zwei Wörter in schwarzen Lettern, auf weißem Hintergrund: Covid 1984. Orwell. „Das ist dann generell das Orwellsche Konzept des verkehrten Sprechens und der Verkehrung der Begriffe, wo Freiheit eigentlich Sklaverei bedeutet, und eben Krankheit Gesundheit bedeutet.“ Diese Begriffsumkehrung sei zu einem rhetorischen Mittel bei Impfgegnern und Querdenkern geworden. „Und ein zentrales Konzept in dieser Begriffsumkehrung ist ja die Idee der Diktatur. Wir geraten in ein diktatorisches Regime und Covid sei sowohl Anlass als auch Mittel der Durchsetzung von Diktatur.“
Fehlgeleitet, aber kreativ
Selbst mit irgendwelchen Corona-Leugnerinnen und Querdenkern geredet, hat Jannis noch nicht. Er verzieht im Hinterhof einer kleinen Druckerei, wo es halbwegs windstill ist, das Gesicht. Muss nicht sein. Schließlich ist er kein Soziologe, sondern Sprachwissenschaftler. „Mich frappiert die Anzahl, die Vielfalt und auch die fehlgeleitete semiotische Kreativität der Schwurbler-Aufkleber“, sagt er. „Die sind auch kreativ, fehlgeleitet kreativ. Aber da hat man die Kombination von Symboliken aus verschiedenen Bereichen. Da sind Grafikdesigner am Werk.“
„LinguaSnappHamburg“ – Jannis’ App: Sie ist voller solcher Beispiele. Ein paar besonders eklatante hat der Wissenschaftler extra ausgedruckt, für seine Vorlesung dieses Semester – über „Sprache im öffentlichen Raum“.
„Das ist eins, was ich interessant fand, was die visuelle Rhetorik der Impfgegner ausmacht“, zeigt er auf eines der Beispiele. „Das kombiniert, visualisiert zwei Diskurse: Sie sehen die Idee der unaufhörlichen Verimpfung, die denn auch tödlich oder schädlich endet. Das ist das TÜV-Zeichen. Und: Booster ab, nächste Ladung. Und Sie sehen die Idee der Diktatur hier angedeutet über den Scheitel. Den sie einem Lauterbach’schen Gesicht verpasst haben. Das ist besonders pervers.“
Bundesgesundheitsminister Lauterbach als personifizierter Adolf Hitler: So etwas findet sich in Hamburg nicht nur an Häuserwänden, sondern auch als Aufkleber auf Autos von Impfgegnern: den Schwurblern.
Schwurbeln und Ent-Schwurbeln
Laut Duden bedeutet Schwurbeln „Unsinn reden“. „Wir haben sehr viel über schwurbeln gehört. Das sind die Schwurbler sozusagen. Und es gibt jetzt die Gegensicht: Die Ent-Schwurblung. Nicht die Ent-Schwurblung der Köpfe, sondern die Ent-Schwurbler der Stadt“, erzählt SprachwissenschaftlerAndroutsopoulos. „Das Anliegen ist, rauszugehen und solche Sticker zu entfernen, wegzukratzen.“ Solche Ent-Schwurbel-Aktionen werden dann wiederum in verschiedenen Foren im Internet gezeigt. „Menschen posten Fotos von solchen Stickern und sagen: Gesehen und entfernt! Und auch dadurch entstehen Vernetzungen von gleichgesinnten Menschen.“
Ein indirekter, symbolischer Dialog
Die analoge Welt und die virtuelle: Im Kampf um Dominanz im öffentlichen Raum sind beide Welten eng miteinander verflochten. Hier sorgt das Internet für zusätzliche Reichweite. Hier beobachtet die eine Seite genau, was die andere postet.
Androutsopoulos spricht von einem „indirekten, symbolischen Dialog“. „Das ist keine direkte Begegnung. Die überkleben sich. Die überschreiben sich. Die kratzen sich weg und überkratzen sich“, konstatiert der 54-Jährige, der inzwischen nicht mehr in Hamburg wohnt, sondern im benachbarten Lüneburg, in Niedersachsen. Dort sind nicht nur die Mieten günstiger als an der Elbe, sondern auch: nicht so viele Schwurbler unterwegs.
In Athen, seiner Geburtsstadt, ist das genauso. Zwar gebe es in Griechenland auch Proteste gegen die Coronapolitik, das schon, meint Jannis auf dem Weg zurück zu seinem Fahrrad, doch das sei nichts im Vergleich zu dem, was in Hamburg passiere. Auch sprachlich.
Graffitis jenseits der Konventionen
Er bleibt stehen. Da. Schon wieder ein Graffiti. Ein harmloses allerdings. Es entpuppt sich als das Werk eines Skaters, keines Schwurblers. „Ich denke, diese Covid- oder Schwurbler-Graffiti funktionieren auch ein bisschen anders als die klassischen Graffiti. Es geht darum, Botschaften auf transgressive Weise schnell zu verbreiten.“ Transgressiv bedeutet, dass man sich über Konventionen und Gesetze hinwegsetzt. „Bei der Graffiti-Kultur ist es ja so: Je waghalsiger der Ort, der Standort des Graffitis, desto mehr Reputation gewinnt man dazu. Ich glaube nicht, dass es bei den Covid-Leugnern ähnlich funktioniert.“
Jannis schnappt sich seinen Rucksack, ehe er noch einmal innehält, um in seinen Kopien zu blättern. Das hätte er jetzt fast vergessen. Den Aufkleber eines Impfgegners, eines besonders perfiden. „Hier haben Sie diese Aneignung des Juden-Sterns“, zeigt er auf das Bild. Unter dem Aufkleber versteckt sei eine Rasierklinge.
„Das ist eigentlich total krass: Jene, die solche Aufkleber anbringen, machen das so, dass diejenigen, die versuchen zu entschwurbeln, sich dann schlimm verletzen können.“ Aber wer beim Entfernen auf einen solchen Aufkleber stoße, würde alle anderen informieren, vorsichtig beim Abziehen dieser Aufkleber zu sein. „Es ist ein Sticker-Krieg.“