Corona und die neuen Regeln - was ist sinnvoll, was übertrieben?
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer am Sonnabend von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Arzt Christoph Specht und der Historikerin Ute Frevert. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.
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Was ist sinnvoll, was übertrieben?
76:36 Minuten
Steigende Coronazahlen heißt verschärfte Schutzmaßnahmen, mehr Maske tragen und weniger Reisen. Es kommen entscheidende Monate auf uns zu. Sind wir bereit mitzuziehen, und rechtfertigt die Angst vor einem erneuten Lockdown alle Mittel?
Man kann ihnen kaum ausweichen, den Hiobsbotschaften rund um das Coronavirus: täglich neue Rekordzahlen in Deutschland und weltweit. Verschärfte Verhaltensregeln sollen helfen, die Verbreitung des Virus hierzulande einzudämmen: Für die Hotspots heißt das: erweiterte Maskenpflicht, Sperrstunden in der Gastronomie, eingeschränkter Alkoholverkauf, reduzierte Zahlen bei Familienfeiern und Veranstaltungen. Ausgerechnet bei dem umstrittenen Beherbergungsverbot konnten sich die Länderchefinnen- und Chefs nicht einigen. Jetzt klären es die Gerichte; in den ersten Bundesländern ist es bereits gekippt.
Das Regelchaos sorgt für Frust
"Das Beherbergungsverbot ist nicht sinnvoll, weil es nicht das bringt, was wir uns davon erhoffen. Der Individualtourismus ist nicht entscheidend für die Pandemie", sagt Dr. Christoph Specht, Arzt und Medizinjournalist. "Die Menschen stecken sich im privaten Umfeld an, bei Feiern in geschlossenen Räumen. Und da ist es egal, ob es eine Rave-Party ist oder eine Goldene Hochzeit. Da denken alle: Wir sind ja eine Familie, da können wir die Masken ruhig weglassen."
Das Regelchaos um die innerdeutschen Reisebeschränkungen sorge nur für Frust bei den Menschen. Die Politik laufe Gefahr, dass sie dadurch auch die sinnvolleren Maßnahmen infrage stellten.
Warnung vor Schwarz-Weiß-Denken
Auch Angst oder Panik zu schüren, sei fehl am Platze, so der Mediziner. Wichtiger sei Information. "Wir müssen uns klarmachen: Die Anzahl der Infizierten, der Erkrankten, der Schwererkrankten – und auch der Toten – wird in den nächsten Monaten steigen; mit oder ohne Corona-Maßnahmen. Die Frage ist nur, wie wir den Anstieg begrenzen."
Das verbreitete Schwarz-Weiß-Denken – ´Bist du für oder gegen Coronamaßnahmen?´ – sei fehl am Platze. "Es ist ein großer Fehler, wenn wir meinen, wir müssten uns für eine Seite entscheiden. Die Pandemie gibt es, und sie ist definitiv gefährlich. Trotzdem sollten wir die Maßnahmen kritisch überprüfen."
Corona und die Gefühle
"Das war keine Glanzleistung", so lautet der spontane Kommentar der Historikerin Ute Frevert zu den neuen Coronaregeln. "Einerseits ist der Föderalismus ein wichtiges Gut, Flächenstaaten und Stadtstaaten haben unterschiedliche Probleme. Zugleich geht es nicht an, dass man innerhalb des eigenen Landes auf einmal Grenzzäune hochzieht. Es gibt eine Gesamtverantwortung für die Bürger, die in den Nationen zusammenleben, und man darf sie nicht aufspalten."
Die geschäftsführende Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung leitet den dortigen Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle". Gefühle spielten beim Umgang mit der Pandemie eine nicht zu unterschätzende Rolle: Angst, Vertrauen, Unmut, Solidarität – sie alle trügen dazu bei, wie wir mit der Situation umgehen. Darauf müsse auch die Politik achten, wenn sie Maßnahmen beschließt.
Die geschäftsführende Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung leitet den dortigen Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle". Gefühle spielten beim Umgang mit der Pandemie eine nicht zu unterschätzende Rolle: Angst, Vertrauen, Unmut, Solidarität – sie alle trügen dazu bei, wie wir mit der Situation umgehen. Darauf müsse auch die Politik achten, wenn sie Maßnahmen beschließt.
Ihre Erfahrung: "Im März haben wir uns einigermaßen darangehalten. Wir haben die Zähne zusammengebissen und haben gelernt. Wir können lernen – und das Leben ist nicht unmöglich geworden. Wir Älteren können gelassen sein und sollten auch gelassen sein. Und bei den Jungen: Die sind ohnehin eine digitale Generation und müssen es jetzt für ein halbes Jahr weiter so machen. Es wird wahrscheinlich im nächsten Jahr vorüber sein, und das kann man schaffen, ohne den Staatsnotstand auszurufen."
(sus)