Corona weltweit: Chile

Die Kluft wächst und das Referendum muss warten

04:23 Minuten
Alltag am Morgen des ersten Tags der Quarantäne in Santiago de Chile, dem 16. Mai 2020. Die Menschen am Vega-Zentralmarkt tragen Masken und folgen damit den Auflagen.
Vega-Zentralmarkt in Santiago de Chile: Am ersten Tag der vollständigen Quarantäne in der Hauptstadt tragen die Menschen, die rund um den Markt arbeiten, Masken. © NurPhoto
Von Ernesto Gonzalo Cáceres |
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Keine Proteste mehr, kein Referendum, gute Gesundheitsversorgung nur für die Reichen: Die Pandemie vergrößert die soziale Kluft in Chile, schildert Ernesto Gonzalo Cáceres. Und die drängenden sozialen und politischen Fragen bleiben vorerst ungelöst.

Monatelang protestierte die chilenische Bevölkerung vergangenes Jahr gegen soziale Ungerechtigkeit und den Kurs der konservativen Regierung von Präsident Sebastián Pinera. Mit einem Referendum sollte im April der Weg für eine neue Verfassung geebnet werden. Jetzt hat die Corona-Pandemie das ganze Land lahmgelegt. Deutschlandradio-Redakteur Burkhard Birke hat Gonzalo Ernesto Cáceres in Chile kontaktiert, der aus seinem Alltag mit der Pandemie berichtet.


Ich bin Ernesto Gonzalo Cáceres, Vorsitzender einer Nachbarschaftsorganisation von kleinen Landbesitzern in Curacaví. Der Ort liegt in Zentralchile, ungefähr auf halbem Weg zwischen Santiago und Valparaiso.

Stadt und Land

Hier in den Bergen auf dem Land gibt es noch keine Ausgangssperre oder Quarantänemaßnahmen. Aber wir haben als Nachbarschaftsgemeinde selbst Aktionen ergriffen. Wir achten natürlich vor allem auf Rentner. Sie machen 62 Prozent der Bewohner aus. Das Problem sind nicht die Menschen hier, sondern die Besucher, vor allem solche, die aus großen Städten wie Santiago kommen.
Um einkaufen zu gehen, müssen wir ins Dorf fahren. Das ist ungefähr 20 Kilometer weit entfernt. Wir haben da keine größeren Probleme: Weil wir auf dem Land leben, sind wir dran gewöhnt, für längere Zeiträume einzukaufen. In den Städten ist die Lage natürlich anders. Die Geschäfte sind offen, die Schulen sind zu, die Behörden funktionieren nur noch eingeschränkt. Und ja, es gibt eine Pflicht, Masken zu tragen.

In Armenvierteln kein Geld für Schutz

Die Regierung hat über viele Gebiete eine Quarantäne verhängt. In den großen Städten hat sich das Leben komplett verändert, vor allem in der Hauptstadt Santiago. Das hat große Auswirkungen, denn es sind Städte mit massiven Problemen, mit vielen Armenvierteln, wo die Menschen gar keine Mittel haben, sich gegen das Virus zu schützen. Viele leben dort ohne ausreichend Geld und auf engstem Raum. Das ist jetzt natürlich doppelt verheerend.
Ernesto Gonzalo Cáceres hat weißes Haar und trägt Vollbart. Er hat ein Basecap auf dem Kopf. im Hintergrund sind Bäume ohne Laub und eine Gebirgslandschaft zu sehen.
Ernesto Gonzalo Cáceres ist Vorsitzender einer Nachbarschaftsorganisation auf dem Land in Chile.© Ernesto Gonzalo Cáceres
Die Virusgefahr ist überall, auch hier ganz in der Nähe der Gemeinde hat sich eine siebenköpfige Familie angesteckt und die Zahl der Infektionen steigt. Da gibt es schon über 300 Infizierte. Jetzt, drei Monate später, hat man endlich mal eine Quarantäne angeordnet, aber nur für zwei Wochen.

Ein Desaster für die Armen

Im Vergleich mit anderen Ländern Lateinamerikas ist das Gesundheitssystem Chile für die Reichen, die es sich leisten können, und es ist schlecht für die Armen, weil im Grunde alles in privaten Händen ist. Das öffentliche Gesundheitswesen ist zusammengebrochen. Schon in normalen Zeiten ist dort die Versorgung schlecht. Jetzt ist alles natürlich noch viel schlimmer. Die Regierung hat ein paar Investitionen gemacht, um den Opfern der Pandemie zu helfen. Aber grundsätzlich ist das System völlig unzureichend.
Das Leben der Armen ist so schon ein Desaster und es wird immer schlimmer. Die Infektionszahlen steigen. Die Wirtschaft wird hart getroffen und die Wachstumsprognosen sagen eine schlimme Zukunft voraus, vor allem für die Armen und hier vor allem in den Städten.

Referendum verschoben

Viele glauben, dass die Rechte, die hier an der Regierung ist, kein Interesse an einem Referendum hat; auch dass die Pandemie eine willkommene Ausrede war, um das Referendum zu verschieben. Die Gefahr war groß, dass die Regierung das Referendum verliert, denn sie ist politisch extrem geschwächt. Wenn es jetzt Wahlen gäbe, würde sie wohl abgewählt werden.
Die Pandemie ist keine Gefahr für die Demokratie. Das Problem für die Demokratie sind wie überall in die Welt die Ultrarechten und dass es in Chile manchmal sehr, sehr schwierig ist, die Gemäßigten und die Ultrarechte zu unterscheiden.
Die Proteste waren eine Antwort auf die Ungerechtigkeiten eines Systems. Die großen Demonstrationen sind jetzt nicht mehr zu sehen. Aber das kommt wieder! Die Unzufriedenheit mit einem ultraliberalen System, die Ablehnung einer ultraliberalen Politik, sind immer noch da.
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