Corona

Wie uns das Virus respektvoller und demütiger macht

03:58 Minuten
Zwei Ellenbogen werden zum Coronagruß sachte aneinander gestoßen.
An die Stelle des Handschlags ist in Zeiten von Corona der sogenannte "Elbow Bump" getreten. © Unsplash / Noah Matteo
Von Konstantin Sakkas |
Audio herunterladen
Die sich ausbreitende Epidemie verändert nicht nur, wie wir uns im Alltag begegnen. Sie drängt uns auch fundamentale Fragen auf - nach dem, was uns wichtig ist, was wir füreinander sind und was wir sein wollen, meint der Publizist Konstantin Sakkas.
Man ist respektvoller geworden. Ja, die Gefahr, die Möglichkeit, am Coronavirus schwer zu erkranken und zu sterben, ist ein großer Gleichmacher. Seit einigen Tagen gehen die Menschen spürbar takt- und respektvoller miteinander um, selbst im notorisch rauen Berlin.
Es beginnt beim Corona-Gruß, der anstelle des Handschlags getreten ist, der etwas Niedliches hat in seiner juvenilen, sportsmännischen Trotzigkeit und der zudem auf anheimelnde Weise an die geballte Faust des sozialistischen Grußes erinnert. Der Gang zum Bäcker, in den Supermarkt, auf die Post: all die alltäglichen, oftmals nervigen, selten bereichernden Verrichtungen bekommen auf einmal einen höheren Ernst.

Die ernste Sorge um die Anderen

Mit der hygienischen Sensibilität kommt auch die emotionale: das "Bleib gesund" als Abschiedsgruß an den Kellner in meinem Stammcafé – vor zwei Wochen noch hätte es etwas Gönnerhaftes, etwas "von oben herab" gehabt. Heute ist es ernst gemeint, mitfühlend, ehrlich bekümmert um die Gesundheit des anderen, die auf einmal ungewöhnlich fragil und gefährdet erscheint.
Wenn ich die chinesische Bankerin, mit der ich befreundet bin und die letztes Jahr Mutter wurde, per WhatsApp frage, ob sie und ihr Familienkreis denn auch gesund seien, so ist das auf einmal mehr als bloßer Smalltalk; ich bin ehrlich besorgt um sie, ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt. Und den mazedonischen Kellner bei meinem Stammitaliener frage ich selbstverständlich, wie die Lage in seinem Heimatland sei, wie viele Infizierte es dort gebe undsoweiter, und etwas sarkastisch witzeln wir darüber, dass dank Corona Juventus Turin wenigstens diese Saison auf den bereits zur Gewohnheit gewordenen Meistertitel womöglich werde verzichten müssen, weil nämlich der Spielbetrieb eingestellt wird.
Einem Journalistenkollegen, der kürzlich zur großen Raffael-Jubiläumsausstellung in Rom war und nun von seinem Chefredakteur zwei Wochen Homeoffice verordnet bekommen hat, biete ich selbstverständlich an, für ihn Kurierdienste zu erledigen.

Es geht nicht um Status und Macht

Meine Generation ist die Generation der Seriengucker, der Cineasten. "The Walking Dead", "Resident Evil", die Netflix-Filme "Bird Box" oder "Annihilation" gehören zu unserem kulturellen Kanon. Wenn wir an die Gruppe denken, die isoliert im Katastrophengebiet überleben muss, dann haben die meisten von uns sofort Bilder im Kopf. Nun, so weit ist es bei uns noch nicht. Corona wird – hoffentlich – nicht die Zivilisationskatastrophe sein wie die Spanische Grippe, der Schwarze Tod oder die Justinianische Pest.
Aber dennoch: Bei Corona geht es um das Leben. Wo es aber um das Leben geht, geht es auch um die Haltung, mit der wir durch – und in letzter Konsequenz auch aus – diesem Leben gehen wollen. War ich neulich in dieser oder jener Situation ungerecht? Zu nörglerisch? Zu egoistisch, zu herrisch, zu fordernd? Der Daseinskampf des Alltags wird plötzlich überlagert von jenem Kampf ums Dasein, der ungleich höher potenziert ist, in dem es nicht um Status und Macht geht, sondern um Respekt, Würde und, ja: Tugendhaftigkeit.
Corona wird nicht der Weltuntergang sein. Aber Corona wird seine tödliche Ernte halten wie jede Epidemie, wie jedes Unglück – und uns so vielleicht an eine alte Tugend gemahnen, die wir längst vergessen haben: Demut. Pan estin anthropos symphore – gänzlich ist der Mensch Schicksal, heißt es bei Herodot, dem Vater der Geschichtsschreibung. Es ist vielleicht nicht ganz verkehrt, wenn sich eine Welt, für die Egoismus, Dominierung anderer und zügelloses Gewinnstreben zur Norm geworden sind, auf diese ewig gültigen Worte besinnt. Dann hätte selbst das Virus sein Gutes gehabt.
Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte und schloss sein Studium 2009 an der Freien Universität Berlin mit einer Magisterarbeit über Hannah Arendt ab. Er lebt und arbeitet als Publizist und Kommunikationsberater in Berlin.
Konstantin Sakkas
© privat
Mehr zum Thema