Corona, Krisen, Gleichberechtigung
Rollenmodelle: ein ewiges Thema. Ein Gespräch über die Funktionsweise der patriarchalen Gesellschaft. © imago / Ikon Images / Katie Edwards
Die Wut der Frauen
56:06 Minuten
Krisen sind Brenngläser – auch für Ideale wie Gleichberechtigung und Solidarität. Die überkommene Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau feiert unfröhliche Urständ. Mareike Fallwickl schrieb dazu einen Roman, Sabine Rennefanz ein Sachbuch – sie ergänzen sich.
Mit einem Selbstmord beginnt der Roman „Die Wut, die bleibt” (Rowohlt Verlag) von Mareike Fallwickl: Die dreifache Mutter Helene hält dem Druck von Job und häuslicher Arbeit (Care-Arbeit) nicht mehr stand und stürzt sich ohne ein Wort vom Balkon.
"Du musst dein Leben ändern"
Sabine Rennefanz schrieb eine Familienkolumne in der „Berliner Zeitung“, die bald zur „Corona-Frust-Kolumne“ wurde. Die Pandemie, sagt die Journalistin, habe ihr die Augen über die Funktionsweise der patriarchalen Gesellschaft geöffnet. Sie beginnt, das Buch „Frauen und Kinder zuletzt” (Links Verlag) zu schreiben, ändert ihr Leben und gibt die feste Anstellung auf.
Auf die dramatische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern lässt sich nicht (nur) kühl und sachlich reagieren – nicht im Roman, nicht im Sachbuch, erst recht nicht im Leben. Die Österreicherin Fallwickl und die Deutsche Rennefanz sind sich im Gespräch im Literaturhaus Berlin bemerkenswert einig.
Mareike Fallwickl findet, dass sich Roman und Sachbuch gut ergänzen: „Ich glaube, man kann sie parallel oder hintereinander gut lesen. Bei vielen Sachbüchern, die jetzt erscheinen, also etwa dem von Sabine Rennefanz oder auch 'Die Erschöpfung der Frauen' von Franziska Schutzbach, habe ich das Gefühl, als wäre meine Fiktion nun eingebettet – als würde ich Bestätigung erhalten, belegt mit Zahlen und Fakten.“
Sabine Rennefanz erging es bei der Lektüre des Romans „Die Wut, die bleibt“ ganz ähnlich: „Diesen Satz 'Dann springe ich vom Balkon!' habe ich sehr oft gehört. Die erste Seite des Romans hat mich daher total geflasht", sagt die Journalistin.
"Ich finde, ein Roman öffnet einfach noch mal einen ganz anderen Raum, wenn man über die Pandemie spricht. Was lernen wir daraus? Was machen wir damit? Was können wir tun? Und auch die Frage stellt sich: Haben wir zu wenig protestiert, haben wir uns zu wenig gewehrt? Das hat mich beschäftigt, es beschäftigt mich immer noch, und Mareike Fallwickl hat interessante Antworten, Versuchsanordnungen gefunden.“
Verteilung der Care-Arbeit
Das Gespräch fragt nach der politischen Wirkung von – fiktiver und nicht-fiktiver – Literatur, nach den alten und den neuen Rollenmodellen der Geschlechter in der DDR und der BRD, nach der Verteilung der Care-Arbeit innerhalb von Familien, nach dem „Mental Load“ der Frauen selbst dann, wenn die Männer aufgeschlossen, modern und emanzipiert sind.
Zudem fragt es nach dem eigenen, nicht immer rühmlichen Verhalten in den letzten Monaten und Jahren. Ein ganz und gar nicht erschöpftes Gespräch über die Erschöpfung von Frauen und die Erschöpfung von Überzeugungen, Idealen und Verhaltensweisen, weiblichen wie männlichen.
(pla)