Coronaalltag in einer Arztpraxis

Die Ruhe im Sturm

06:31 Minuten
Eine Sprechstundenhilfe und eine Arzthelferin der Praxis Heinert im badischen Bahlingen sitzen hinter dem Anmeldungstresen. Sie tragen Mundschutzmasken.
Immer schön die Ruhe bewahren: Sprechstundenhilfe und Arzthelferin in der Praxis von Martin Heinert. © Uschi Götz / Deutschlandradio
Von Uschi Götz · 09.04.2020
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Martin Heinert und seine Kollegen halten als Allgemeinärzte im badischen Bahlingen die Stellung. Die Patienten sind dankbar. Denn trotz starker Einschränkungen und Schutzanzügen lautet in der Praxis die Devise: Bloß nicht den Humor verlieren.
In pinkfarbenen Sportschuhen und grünem T-Shirt flitzt Arzthelferin Anja Jösslin von der Praxistheke ins Labor und wieder zurück. Kaum sitzt sie, läutet ein kleines Glöckchen. Schnellen Schrittes geht sie jetzt in Richtung eines zur Straße offenen Fensters.
Sie sagt: "Die Leute sehen ja, dass das Fenster offen ist und dann klingeln die da und dann wissen die, wir halten Abstand. Dann holen wir die Rezepte, Überweisungen oder was der Patient halt bestellt hat, und dann ist es erledigt."
Die Gemeinschaftspraxis in der Innenstadt von Bahlingen nahe Freiburg dürfen seit Beginn der Coronapandemie nur noch vorangemeldete Patienten betreten. Doch das Helferinnenteam um Anja Jösslin hat sich schnell umgestellt, die Stimmung ist entspannt, der Ton regelrecht herzlich.

Maskenmodelle für den Winter

Nicht weit von der Theke entfernt, steht Martin Heinert, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geriatrie vor einem gefüllten Schrank mit Schutzkleidung und Schutzmasken. Eine große Packung mit Masken kommt aus China, das ist an der Schrift zu erkennen.
"Wir haben hier verschiedene Modelle und wir kannten uns auch alle damit gar nicht aus, dass es so viele verschiedene Dinger gibt", erzählt er. "Das hat ja fast schon modische Aspekte. Die hier sind schön warm für den Winter, dickes Material FFP3."

Als über die ersten Coronafälle in Bayern berichtet wurde, fing Dr. Heinert an, den Vorrat an Schutzkleidung aufzustocken: "Da dachte ich, vielleicht übertreibst du jetzt selber. Da haben wir noch etwas Ausrüstung nachbestellt, es war noch etwas Material vorhanden, von den letzten Schweine- und Vogelgrippepandemien und das haben wir nochmal aufgestockt."
Drei Ärzte in heller Schutzkleidung stehen in einem Behandlungszimmer. Es die die Praxis Martin Heinert in Bahlingen.
Vermummt von Kopf bis Fuß - nur so kann das Ärzteteam der Praxis Heinert weiter für die Patienten da sein.© Uschi Götz / Deutschlandradio
Als die Coronafallzahlen weiter stiegen, meldeten die Ärzte ihre Praxis freiwillig als Coronaschwerpunkt an. Das bedeutet Sondersprechstunden und verschärfte Hygienebedingungen. Im Gegenzug gibt es als Coronaschwerpunktpraxis von der Kassenärztlichen Vereinigung zusätzliches Material. Bis jetzt reicht es.

"Arbeitsschutz ist extrem wichtig"

Mittlerweile ist auch Heinerts Kollegin gekommen. Ein fröhliches Ankleiden der Schutzausrüstung bei Wahrung des Mindestabstands beginnt. Stephanie Hoormann, auch sie Fachärztin für Allgemeinmedizin und Notfallmedizinerin, desinfiziert ihre Hände.
Sie deutet auf eine Checkliste an der Tür. Wie Piloten vor dem Start gehen die Mediziner diese Liste durch. "Klar, weil, Arbeitsschutz ist extrem wichtig, wenn wir hier ausfallen oder in Quarantäne müssen, ist die Versorgung der Leute nicht machbar."
Über ihre weißen Shirts und Hosen streifen sich die Ärzte gelbe Schutzkittel, setzen Masken und Schutzbrillen auf. Am Ende überprüfen sie sich gegenseitig.
Bis auf die Augen und den langen, blonden Pferdeschwanz ist von der Ärztin nichts mehr zu sehen. In der normalen Sprechstunde geht jeder in sein Behandlungszimmer, dort behandeln die drei Mediziner normalerweise mindestens 50 Patienten pro Tag. Das ist nun anders.
Stephanie Hoormann sagt: "Eigentlich ist es viel geplanter und viel ruhiger. Wir haben jetzt so ein Zeitkontingent von zehn Minuten – stimmt, Martin, oder so ungefähr? Da sind die Leute einbestellt. Die haben angerufen oder sich über eine Hotline gemeldet und die Helferinnen sortieren natürlich. Und wenn das jetzt so ein bisschen Grippesymptome sind, Verdacht natürlich immer auf Covid-19, dann werden die einbestellt."

Gestresst ist hier niemand

Die Ärztin setzt sich jetzt auf ihre Schutzbrille noch einen Helm mit Visier auf. Im Sprechzimmer setzt sich auch Dr. Heinert nun an den PC. Stephanie Hoormann erläutert: "Wir haben im Moment noch den Luxus, dass wir das auch zu zweit machen. Einer dokumentiert und einer ist am Patienten. So ist der in dem unsauberen, infektiösen Bereich nochmal besonders exponiert, und der bleibt dann in dem Zimmer."
Ein junger Mann ist jetzt an der Reihe, aus beruflichen Gründen lässt er sich testen. Von zehn Getesteten sind mittlerweile acht positiv. Stephanie Hoormann misst Temperatur und mit einem Pulsoxymeter am Finger die Sauerstoffsättigung. Alles unauffällig.
"Rauchen Sie?" – "Ja." – "Das ist nicht gut!"
Die Ärztin macht jetzt einen Rachen- und Nasenabstrich: "Mund bitte mal aufmachen." Der Abstrich wird in einem Röhrchen verstaut. "Das Ergebnis haben wir so in ein bis vier Tagen, je nach Laborkapazitäten."
Der Mann bedankt sich höflich und geht. Die beiden Ärzte reden ein bisschen miteinander, gestresst ist hier keiner, betont Martin Heinert:
"Dadurch, dass wir die Einbestellpraxis so machen, dass die Mitarbeiterinnen da vorne das alles auch sehr strukturiert hinbekommen, haben wir eigentlich eine sehr ruhige, strukturierte Sprechstunde. Und die Patienten sind fast überraschend diszipliniert und machen da auch in dieser Struktur sehr gut mit hier."

Auf Osterurlaub wird klaglos verzichtet

Draußen klingelt das Telefon, immer noch hört man die Helferinnen fröhlich sprechen. Wie lange der Ausnahmezustand noch dauert, weiß keiner. Der Osterurlaub ist erst einmal abgesagt. Klaglos nehmen das alle hin. Hier ist man sich sicher, gerade jetzt an der richtigen Stelle zu sein, sagt Heinert:
"Wir machen genau das, was wir gut können, und für uns ist das ganz klar. Und so können wir auch, wie viele andere gerade da draußen, hier etwas bewirken."
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