Die Pandemie kam, der Sport ging
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Viele sportliche Jugendliche sind in der Coronapandemie zum Nichtstun verdammt. Darunter leidet die Psyche der Heranwachsenden, mit Folgen vielleicht auch nach der Pandemie. Ein Familienbesuch.
"Ich habe drei Mal die Woche Fußball und dazu zwei Mal die Woche Basketball gespielt. Dazu dann noch Spiele an den Wochenenden", sagt Sebastian. Von sechs, sieben Mal Sport die Woche mit einem Schlag auf null. In der Anfangszeit des ersten Lockdowns ging Sebastian noch mit seinen Brüdern auf Fußball- oder Basketballplätze, bis auch die geschlossen wurden. "Dann hatte ich keine Lust mehr und es ist dazu gekommen, dass ich nichts mehr gemacht habe."
Computer statt Sport
Sebastian treibt nun nicht nur keinen Sport mehr, sondern sieht auch seine Freunde nicht mehr. Der Computer wird zur Hauptbeschäftigung und zur nahezu einzigen Verbindung nach draußen. Seine Mutter Sandra beginnt sich Sorgen zu machen:
"Dann bin ich natürlich immer wieder dahin und hab gesagt: Komm, wir gehen mit dem Hund raus. Oder ich hab ihn gefragt, ob er mit mir laufen geht. Weil ich halt auch regelmäßig draußen laufe. Aber das hört dann irgendwann auf. Das ist immer sehr anstrengend. Versuch mal, einen 14-Jährigen zu motivieren, irgendwas zu tun, der wirklich völlig lethargisch in seinem Zimmer sitzt, weil er sagt: Irgendwann will ich mit meinen Freunden unterwegs sein und nicht mit meiner Mutter", erzähl Sandra.
Sie, ihr Ehemann und die drei Brüder leben in einer Kleinstadt im Westen der Republik, in einem Haus mit Garten, schon mal ein kleines Privileg in der Pandemie. Aber Sebastian bringt das wenig:
"Er ist nicht nur motiviert, nicht rauszugehen – also natürlich, ich scheuche ihn mittags mit dem Hund, das muss er tun", sagt Sandra. "Dieses Lethargische zieht sich auch auf andere Bereiche. Das heißt, er ist völlig unmotiviert und unzuverlässig geworden, was die Schule angeht. Das geht in eine kindliche Depression rein, also wir sind da tatsächlich auch so weit, dass wir uns psychologische Unterstützung holen werden."
Fehlt der Sport, fehlt auch der Stresspuffer
Es sind körperliche und psychische Folgen, die der Sportentzug mit sich bringt. Franziska Lautenbach, Juniorprofessorin für Sportpsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagt: "Sport hat auch Effekte, dass er Stress puffert, dass ich da auch besser mit umgehen kann, weil ich durch den Sport ganz viele körperliche, aber auch persönliche Ressourcen aufbaue. Ich habe da meine Freunde, meine Bindungen."
Zudem verbessere der Sport bei Heranwachsenden Gehirnstrukturen, die Kognition und auch schulische Leistungen: "Das ist wichtig, dass sich gerade in diesem frühen Stadium auch rausstellt, wer dann später auch noch Sport macht. Gerade in der Kinder- und Jugendzeit wird entschieden, ob ich mein Leben lang Sport treibe. Es gibt Forscher, die davon ausgehen, dass wir das in den nächsten 20 Jahren sehen werden, dass diese Corona-Generation weniger Sport macht", sagt Lautenbach.
Sandra schafft es nicht mehr, ihren Sohn zum Sport zu motivieren. Nebenbei muss sie wie auch ihr Mann im Homeoffice arbeiten und nebenher die Familie managen: "Natürlich bin ich für meine Kinder da und betreue das Homeschooling, aber ich kann nicht zwei, drei Mal die Stunde in sein Zimmer gehen und sagen: Sebastian, steh jetzt auf! Oder: Sebastian, mach jetzt dies, Sebastian, komm mal aus dem Quark, Sebastian, geh mit dem Hund! Das kann ich nicht, ich weiß auch nicht, ob es zielführend wäre, sodass ich irgendwann gesagt habe: Der muss mal hier raus. Der muss aus seinem Bett raus, der muss aus seinem Zimmer raus."
Endlich Ferien - endlich Bewegung
Auch wenn sich Sandra und ihre Familie an alle Regeln halten, die die Pandemie erfordert, entscheiden sie sich spontan dafür, in den Osterferien in den Urlaub zu fliegen. Bekannte runzeln die Stirn, aber Sandra ist sicher, dass es anders nicht mehr geht.
Es war die richtige Entscheidung: "Wir sind laufen gegangen, wir sind schwimmen gegangen, wir sind ins Fitnessstudio gegangen, wir haben Fahrradtouren gemacht, wo er sich wirklich auspowern konnte. Seitdem spricht der wieder mit mir. Das mag sich ein bisschen banal anhören, aber wenn man mit einem 14-Jährigen spazieren geht, der keine ganzen Sätze mehr spricht, der nur mit einer leichenbitteren Miene spazieren geht und auf nichts mehr antwortet, dann ist man froh, wenn er hinterher ganze Geschichten erzählt."
Langsam gibt es auch Hoffnung auf mehr Normalität. Vielleicht kann Sebastian bald wieder Fußball mit seinen Kumpels spielen. Doch wie es weitergeht mit Sport, ist ungewiss. Sportpsychologin Lautenbach befürchtet, dass es ganze Mannschaften nach der Pandemie nicht mehr geben könnte:
"Viele Trainer, mit denen ich gesprochen habe, machen sich Sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen nicht mehr in die Vereine zurückkommen. Da wäre es gut, jetzt schon Eltern an die Hand zu nehmen und zu sagen: Freut Euch darauf und unterstützt und motiviert. Treibt Eure Kinder liebevoll an, dann wieder zurückzukehren zum Sport", so Lautenbach.