Daniel Ris ist Schauspieler, Regisseur, Autor, Berater und Intendant. Er hält einen Master Kulturmanagement der Universität Zürich und ist zertifizierter systemischer Coach. Seither ist er auch als Berater für verschiedene große Kulturinstitute tätig. Von 2016 bis 2021 war er Intendant der Burgfestspiele Mayen und ist jetzt designierter Intendant der "Neuen Bühne Senftenberg".
Zwangspause mit Lerneffekt?
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Sexismus, Rassismus, Machtmissbrauch: Die Unternehmenskultur an deutschen Theater sei problematisch, findet der Regisseur Daniel Ris. Die coronabedingte Zwangspause biete ihnen eine Chance, nachhaltige Veränderungen in die Wege zu leiten.
Der Ergebnisdruck an unseren Häusern war vor Corona unerhört groß. Die Spirale drehte sich viele Jahre lang immer weiter. Mit immer weniger personellen Ressourcen wurde ein immer höherer Output erzwungen. Es fehlte nahezu allen Häusern an Zeit und/oder an Geld, um unter diesem Druck noch wirklich verantwortungsvoll arbeiten zu können. An den öffentlich-rechtlichen Bühnen ist diese Spirale durch Corona dann plötzlich angehalten worden. Kurzarbeit!
Aber war dieses Ausgebremst werden auch eine Chance zum Innehalten? Denn unter dem vorher herrschenden massiven Ergebnisdruck ging es immer um das, "was" gearbeitet wird, aber viel zu selten auch um das "wie".
Grundsätzliche Misere der Kulturunternehmenskultur
Auch während und nach dem kompletten Kultur-Lockdown wurden fortgesetzt immer neue Skandale über die Art und Weise des Arbeitens an unseren Theatern laut: Sexismus, Rassismus und Machtmissbrauch in einem "toxischen Arbeitsklima". Diese krassen Fälle sind Ausdruck einer grundsätzlichen Misere und insofern nur die Spitzen der Eisberge. Die Unternehmens-"Kultur" unserer "Kultur"-Unternehmen ist oft bedauerlich. Teilhabe und Partizipation in hierarchisch flachen Strukturen – das sind für viele Theater immer noch absolute Fremdworte.
Bereits bei der Auswahl der Theaterleitenden fehlt es bis heute an Transparenz und Verantwortungsbewusstsein vonseiten der Träger. Wenn in vielen Ausschreibungen Teambewerbungen von vornherein ausgeschlossen werden und bei der Entscheidung die Kompetenzen in Personalführung, Kommunikations- und Teamfähigkeit gar keine Kriterien sind, zeigt sich, dass immer noch ein weiter Weg zu gehen ist. Die meisten öffentlichen Verwaltungen, die diese Auswahl maßgeblich entscheiden, sind selbst letzte Bastionen eines streng hierarchischen Systems. Aber es tut sich was!
Initiativen zum Abbau von Diskriminierungen
Angetrieben durch die verschiedensten Netzwerke und Initiativen von Künstlerinnen und Künstlern hat sich an vielen Häusern bereits etwas verändert. Am Theater Krefeld Mönchengladbach hat sich beispielsweise das Schauspielensemble selbst einen neuen Direktor gewählt. Und was macht die Arbeitgebervertretung? Der Deutsche Bühnenverein ist durchaus ein schwieriger Hybrid, weil sich hier sowohl die Träger als auch die Intendanten gleichzeitig nebeneinander organisiert haben. Doch auch hier hat man sich trotzdem auf den Weg gemacht. Der 2018 formulierte "Wertebasierte Verhaltenskodex" wird derzeit weiterentwickelt und um konkrete Handlungsempfehlungen zur Umsetzung ergänzt.
Und die Senatsverwaltung Kultur in Berlin hat das Modellprojekt "FAIRSTAGE" zur strukturellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zum Abbau von Diskriminierungen an Berliner Sprechtheater-Bühnen ins Leben gerufen.
Anschub für notwendige dauerhafte Veränderungen
Grundsätzlich hoffe ich, dass vielleicht auch an jenen Häusern, die bisher keine Prozesse in dieser Richtung begonnen haben, die Corona-Pause auch dafür genutzt wird, um kurz innezuhalten und zu fragen, wie wir denn künftig arbeiten wollen, wenn die Theater jetzt wieder hochfahren.
Bisher habe ich in meinem Leben zweimal eine Fastenkur gemacht. Aber eine dauerhafte Veränderung, eine Ernährungsumstellung, habe ich nicht daraus abgeleitet. Die durch Corona verursachte "Fastenkur" könnte für die Theater auch ein weiterer Anschub für dringend notwendige, dauerhafte Veränderungen sein.