Coronakrise

Nachdenken über das Leben mit dem Impfstoff

06:57 Minuten
Eine FFP2-Maske (l-r), eine Alltagsmaske und eine OP-Maske hängen nebeneinander an einer Garderobe in einer Wohnung.
Auch mit der Impfung wird der Alltag mit Maske zunächst erst einmal weitergehen. © picture-alliance/Daniel Karmann
Christoph Möllers im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
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Dass durch die Möglichkeit einer baldigen Coronaimpfung in naher Zukunft eine "Zweiklassengesellschaft" entstehen könnte, hält der Staatsrechtler Christoph Möllers für unwahrscheinlich. Das würde die notwendige Disziplin in der Gesellschaft untergraben.
Die Sehnsucht nach einem normalen Alltag ohne Einschränkungen ist groß. Ein schnelles Ende der Coronapandemie ist nach der Einschätzung aller Experten aber nur möglich, wenn ein Impfstoff gegen das Virus auf dem Markt ist, den möglichst dann viele Menschen verabreicht bekommen. Nun sieht es so aus, als ob die ersten Impfstoffe bald auf den Markt kommen.

Sorge vor einer Zweiklassengesellschaft

Doch nicht nur die logistische Herausforderung ist groß. Es beginnt auch das Nachdenken darüber, was es in naher Zukunft bedeutet, wenn es in der Gesellschaft Geimpfte und Nicht-Geimpfte geben wird. Gibt es eine berechtigte Sorge vor einer "Zweiklassengesellschaft" und möglichen Privilegien für Menschen, die bereits geimpft wurden?


"Ich bin da skeptisch", sagt unser Studiogast, der Staatsrechtler Christoph Möllers. "Damit würde man den Druck auf das System nochmal massiv erhöhen." Wenn es einen ganz harten Anreiz gebe, ein besseres Leben zu führen, wenn man geimpft sei, dann würden die Verteilungskämpfe und Gerechtigkeitsprobleme noch massiver.

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte daran erinnert, dass es bald rund eine Million Deutsche gebe, die bereits infiziert gewesen seien und dadurch immun gegen das Virus. Nach Empfehlungen des Robert Koch Instituts müssten sie auch als Kontaktperson nicht wieder in Quarantäne. Spahn forderte deshalb eine offene Debatte über diese Fragen des Umgangs mit bereits geimpften Personen.
Christoph Möllers, im Anzug und mit Brille, lächelt in die Kamera.
Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.© Christoph Möllers

Warnung vor neuem Konflikt

Möllers sieht das kritisch: Er sagt, dass von der Gesellschaft bis zum Sommer noch ein großes Maß an Disziplin erwartet werde. Diese Disziplin und eine Akzeptanz des Wartens auf den Impfstoff ließen sich nur durchsetzen, wenn man die Anreize für eine Impfung nicht zu hoch setze. Er warnte davor, Menschen in diejenigen einzuteilen, die wieder ein normales Leben führen dürften und den Anderen. "Dann hat man von vorneherein einen neuen Konflikt in der Gesellschaft, den man wirklich nicht braucht."
Aus Möllers Sicht stehe man auch im privaten Umfeld nicht vor der Frage, ob man nur Leute einlade, die immun seien. Diese Debatte gebe es nicht.

In der Coronakrise sei zwar ein massives Maß an Bewegungsfreiheit verloren gegangen. Andererseits sei es wichtig, sich klarzumachen, dass da nicht etwa der anonyme Staat agiere, sagt Möllers, der sich in seinem neuen Buch " auch den Folgen der Pandemie widmet. Stattdessen habe sich die überwiegende Mehrheit in einer demokratischen Entscheidung dazu entschieden, sich auf ein Verhalten einzulassen, weil man glaube, dass es besser sei. "In der Demokratie ist das eine freiwillige Einschränkung, der wir unterliegen - auch wenn sie hässlich ist."

Christoph Möllers: Freiheitsgrade. Elemente einer liberalen politischen Mechanik
Suhrkamp Verlag 2020
343 Seiten, 18 Euro

Christoph Möllers lehrt als Professor Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Seit April 2012 ist er "Permanent Fellow" am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Der Staatsrechtler ist wissenschaftlicher Leiter des Berliner Seminarprogramms "Recht im Kontext", das sich im akademischen Jahr 2020/2021 mit der Frage nach den Auswirkungen krisenhafter Entwicklungen wie der Covid-19-Pandemie oder langfristiger Entwicklungen wie Umweltzerstörung und dem Klimawandel befasst. 2016 wurde er mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

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