Was Zahlen zu Covid-19 aussagen - und was nicht
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Reproduktionsfaktor und Infektionsrate: Derzeit werden Entscheidungen oft auf Basis dieser Zahlen getroffen. Auch wenn sie auf wackligen Füßen stehen. Politik und Medien sollten das besser kommunizieren, sagen Katharina Schüller und Hinnerk Feldwisch.
Sicherheit suggerieren, wo es gar keine gibt: Nach Ansicht der Statistikerin Katharina Schüller und des Wissenschaftsjournalisten Hinnerk Feldwisch-Drentrup haben Politik, Experten und Medien in der Coronakrise Kommunikationsfehler gemacht. Vor allem, indem oft nicht deutlich wurde, dass die meisten Zahlen im Zusammenhang mit der Coronapandemie auf Schätzungen beruhen und entsprechend mit großer Unsicherheit behaftet sind.
Eigentlich wisse man nach wie vor wenig über die Verbreitung von Covid-19, betonen sie. Das fängt an bei den gemeldeten Fallzahlen, die nicht den tatsächlich Infizierten entspricht, sondern lediglich den positiv Getesten. Gleichwohl wurde die Zahl der positiv Getesteten häufig so kommuniziert, als entspräche sie der tatsächlichen Fallzahl, beklagt Wissenschaftsjournalist Feldwisch.
Möglicherweise haben wir so ein grundlegend schiefes Bild über den Verlauf der Coronapandemie in Deutschland bekommen. Die Statistikerin Katharina Schüller vermutet jedenfalls, dass es sich bei dem starken Anstieg der Coronafälle im März mindestens zum Teil um ein statistisches Artefakt handelt: "Weil wir eben gerade am Anfang angefangen haben, immer mehr und mehr und mehr zu testen und der Anstieg der Infektionen gerade zu Beginn wahrscheinlich deutlich überschätzt wurde", betont sie. "Das heißt, so hoch, wie dieser Berg suggeriert, waren wir meiner Meinung nach in Wirklichkeit nie."
Politiker sollten die unsichere Datenlage ehrlich kommunizieren
Dennoch halten sowohl Schüller als auch Feldwisch die Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung für richtig. Sie kritisieren lediglich die Art und Weise, wie beispielsweise das Robert Koch-Institut die bekannten Fallzahlen kommuniziert hat, als handele sich dabei um präzise, verlässliche Daten. "Und da glaube ich, müssen wir Statistiker, aber auch Epidemiologen und Politiker lernen sich hinzustellen und zuzugeben, dass die Daten nicht mehr hergeben, aber dass trotzdem diese Entscheidung vermutlich richtig ist, weil alles andere zu einer Katastrophe führen kann."
Um ein besseres Bild von der Krankheit und ihrer Ausbreitung zu bekommen, helfen nach Ansicht der Statistikerin nur Untersuchungen mit bevölkerungsrepräsentativen Stichproben. Genau das habe das RKI aber anfang offenbar nicht für notwendig erachtet: "Das RKI hat ja damals auch noch kommuniziert, wir sehen keinen Wert in repräsentativen Stichproben, was wir erheben ist alles gut und genau genug. Ich glaube, das fällt ihnen jetzt schon auf die Füße", sagt Schüller mit Blick auf Kritik in manchen Foren, die Bundesregierung hätte den Shutdown im März trotz einer unter dem kritischen Wert liegenden Reproduktionszahl beschlossen.
"Weil man natürlich im Nachhinein den Eindruck hat, die wussten ja immer alles ganz genau, die hatten ja angeblich immer ganz tolle Zahlen, warum haben sie dann nicht vorher schon gesehen, dass wir eigentlich schon wieder im ‚grünen Bereich‘ sind mit einer relativ niedrigen Reproduktionszahl", so die Statistikerin. "Das ist natürlich gefundenes Fressen für kritische Menschen bis hin zu Verschwörungstheoretikern, die halt sagen: Die Regierung hat uns hier verarscht."
"Daten alleine sind es eben auch nicht"
Auch die Medien haben in der Vermittlung der Coronakrise unglücklich agiert. Überrascht habe ihn beispielsweise eine Meldung der Tagesschau, die einen Beitrag mit der Nachricht aufgemacht habe, dass es in Italien jetzt mehr Coronatote als in China gebe, kritisiert Hinnerk Feldwisch. "Derartige Vergleiche machen da wenig Sinn, und es entsteht teils ein falsches Bild beim Zuschauer über die Situation." Journalisten sollten insofern besser überlegen, ob die Meldung einer Zahl wirklich zum besseren Verständnis der Lage beiträgt oder nicht.
Allerdings fehlt es Journalisten oft an Datenkompetenz, etwa wenn Prozent und Prozentpunkte verwechselt werden oder man sich nicht darüber im Klaren ist, dass man mit der Angabe absoluter oder relativer Häufigkeiten ganz unterschiedliche Effekte erzielen kann.
Die Statistikerin und der Wissenschaftsjournalist sehen die Coronakrise insofern auch als Lehrstück im Umgang mit Daten und Zahlen. Deren Aussagekraft ohne den dazugehörigen Kontext oft begrenzt ist, was im "Datenhype" der letzten Jahre kaum beachtet zu werden scheint.
"Ich halte es für problematisch, wenn es sich so entwickelt, dass wir immer eine Zahl brauchen, immer eine möglichst konkrete Zahl, um dann sagen zu können: diese Statistik zeigt aber das, und deswegen ist es alternativlos, so und so zu handeln", sagt Schüller. "Ich glaube, von dieser Entwicklung müssen wir wegkommen, wieder mehr dahin zu sagen: Daten sind eine Hilfe, ein Mittel zur Entscheidungsfindung, aber Daten alleine sind es eben auch nicht."
(uko)