"Bleib mir fern, du Fischkopp!"
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Lübeck - das steht für Hansestadt-Idylle pur. Aber auch die beschauliche Stadt an der Trave hat Probleme mit coronaüberdrüssigen Feierwütigen. Sicherheitskonzepte an zentralen Party-Hotspots sollen helfen. Doch die sind durchaus umstritten.
Constantin Teichert steht am Tresen und zapft Bier. In seinem Fischrestaurant ist viel los. Der junge Gastronom hat auch einen Außerhausverkauf und einen Kiosk direkt am Drehbrückenplatz. Das ist einer der Hotspots, wo noch in der vergangenen Woche auf den Treppen vor der Untertrave am Rande der Lübecker Altstadt 200 Jugendliche ohne Abstand gefeiert hatten.
Teilweise gab es Randale – Ermahnungen der Polizei wurden missachtet, erinnert sich Teichert: "Die Abijahrgänge sind zu Ende und junge Leute wollen natürlich feiern gehen. Und dann war es die eine oder andere lauwarme Nacht mal passiert, dass die Jugendliche auf dem Platz waren und die Coronaregeln nicht eingehalten wurden, außerdem haben sich Anwohner wegen Lärmbelästigung beschwert und wir hatten auch ein Müllproblem."
Viel los an den Kneipen- und Party-Hotspots
Noch weniger Abstand hielten die Jugendlichen in einer nahegelegenen Straße. Da waren auf einer 30 Meter langen und sieben Meter breiten Kneipengasse mehrere hundert Studenten und junge Leute, die gefeiert haben. Abstand halten? Unmöglich! Das ging Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau zu weit. Deshalb sein Erlass vergangene Woche: An den Hotspots dürfen sich zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens nur eine bestimmte Anzahl an Menschen aufhalten: am Drehbrückenplatz 100 und in der Clemensstraße 55.
"Natürlich dürfen auch Gruppen bis zu zehn Personen sich gemeinschaftlich treffen. Aber die Gruppen müssen ebenfalls das 1,50-Meter-Abstandsgebot einhalten und wenn sie das nicht tun, würden wir keine Ermahnungen aussprechen, sondern sofort Bußgelder auferlegen", sagt Lindenau. Doch auf die erst angekündigte Maskenpflicht verzichtet der Bürgermeister nun vorerst: "Von einer Maskenpflicht sehen wir gegenwärtig ab, unser oberstes Ziel ist es, dass sich die Menschen nicht ansammeln. Da gibt es keine veränderte Situation bei Menschen mit Masken. Oberstes Ziel bleibt, Menschen auf den Plätzen zu reduzieren."
"Wir wollen niemanden verschrecken"
Auch der Gastronom am Hotspot sah Handlungsbedarf und so klebte Teichert in Absprache mit der Stadtverwaltung selbst gebastelte Schilder an die Treppen vor dem Fluss. Aufschrift: "Bleib mir fern, du Fischkopp"
Teichert sagt dazu: "Ja genau! Wir haben in Rücksprache mit der Stadt versucht, etwas Humorvolles zu machen, denn wir wollen niemanden verschrecken, aber etwas humorvoll darauf hinweisen, auf dem Platz Rücksicht zu nehmen."
Am vergangenen Wochenende blieb es vergleichsweise ruhig und es waren auch nur wenige Jugendliche am Drehbrückenplatz und in der Clemensstraße. Die Ansagen und die Polizeipräsenz haben offenbar Wirkung gezeigt. An keinem Hotspot kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Feiernden, die rund 50 Beamten verteilten auch keine Bußgelder – die etwa 80 Jugendlichen hielten die Abstände auch nach 22 Uhr ein.
"Das Ordnungsamt ist überall unterwegs, und ich finde auch, dass das sinnvoll ist." – "Wir haben es jetzt selbst in der Hand, ob die Maßnahmen länger laufen oder nicht. Ich glaube, dass das wichtig ist, dass mal geguckt wird." – "Ja ich finde es auch sinnvoll, Hauptsache, wir müssen nicht mit Masken draußen rumlaufen." – "Man muss auch in Pandemiezeiten Rücksichtnahme betreiben."
Jugendliche meutern
Doch es gab auch einige Jugendliche, die diese Zugangsbeschränkung für übertrieben halten. "Ich finde es auch ein bisschen sehr streng, weil das ist quasi sooon einziger Ort den wir haben, die Clubs haben ja auch zu und deshalb chillen wir hier, weil das Wetter gut ist. Und ... das finde ich ein bisschen doof, dass sie uns das noch nehmen wollen." – "Wo sollen die Leute sich denn treffen und hingehen, wenn alles zu hat und der Drehbrückenplatz ist ja draußen, wir haben also frische Luft und wenn sich alle vernünftig benehmen würden, müsste es die Zugangsbeschränkung von hundert Personen auch nicht geben. Ich finde das ein bischen übertrieben, nachdem jetzt so hart durchgegriffen wird, aber ist in Ordnung."
Kritik an den Zugangsbeschränkungen kommt auch von einigen kleineren Fraktionen der Lübecker Bürgerschaft wie zum Beispiel von der Linken. Die innenpolitische Sprecherin Katjana Zunft sagte, auf sie wirke die massive Polizeipräsenz zu martialisch. Sie hält die Zugangsbeschränkungen für falsch.
"Wenn wir sagen: Hey, Leute – wir geben euch hier mehr Raum, und dann bitte haltet euch an die Abstandsregeln, dann wären mehr Leute auch einsichtiger, als wenn wir hier sehen: massenweise Polizei, die immer wieder vorbeigeht. Ich finde das einschüchternd und macht keine Lust auf einfachen draußen sein und Freizeit haben."
Mehr Platz für Begegnungen schaffen
Ihrer Ansicht nach müssten mehr Flächen für die Jugendlichen zum Feiern zur Verfügung gestellt werden. "Das heißt für mich, hier vor Ort: Parkplätze räumen, die Untertrave einfach großzügiger gestalten und den Menschen einfach den Platz geben, den sie jetzt auch brauchen."
Dem widerspricht Bürgermeister Lindenau: "Also, ich weiß nicht, ob wir darüber nachdenken müssen, die Stadt hat so viele schöne Plätze, entlang der Trave, entlang des Kanals und deshalb ist diese Konzentration auch nicht zwingend erforderlich."
Er fühlt sich durch den Erfolg am vergangenen Wochenende mit seinem Konzept bestätigt: "Wir haben in erster Linie auch Präsenzkontrollen mit Polizei und Ordnungskräften gehabt, und möglicherweise ist das auch ein Signal: wenn festgestellt wird, dass Kontrollen durchgeführt werden, dass dann entsprechend die Regeln auch eingehalten werden."
Im August wird neu verhandelt
Für Teichert ist es so eine Sache: Einerseits bedeuten weniger Menschen für ihn weniger Umsatz, dennoch ist der junge Unternehmer nicht unzufrieden mit der jetzigen Regelung. "Es ist auf jeden Fall - im Verhältnis dazu, dass der Platz nun ganz gesperrt werden könnte oder auf dem Platz Maskenpflicht wäre - ist es dahin gehend auf jeden Fall die bessere Lösung. Zumal die Sperre erstmal nur bis Anfang, Mitte August gilt und dann wird neu verhandelt. Also wir gehen damit - es ist alles in Ordnung."
Das Gute für den Gastronomen: Weniger Menschen am Drehbrückenplatz bedeuten auch KEINE schärferen Maßnahmen. Denn Bürgermeister Lindenau verfolgt das Konzept nur so lange, wie es funktioniert: Wenn in Zukunft die bestehenden Zugangsbeschränkungen nicht eingehalten werden, dann kommt wahrscheinlich das Thema Maskenpflicht im Freien wieder auf den Tisch.