Coronasommer in Griechenland

Trübe Aussichten auf Kreta

14:47 Minuten
Ein weitgehend leerer Pool in der Hotelanlage des Iberostar Kreta Marine Hotels auf Kreta.
Leere am Pool: Griechenland ist gut durch die Coronakrise gekommen. Trotzdem kommen kaum Touristen ins Land. © pictrue alliance / Norbert Schmidt
Von Julia Amberger |
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Auf den griechischen Inseln gab es nur sehr wenige Coronafälle. Trotzdem sind ganze Dörfer verlassen, auch auf Kreta. Große Hotels hoffen zu überleben, aber kleine Familienbetriebe können nicht mithalten. Sie müssen schließen - manche für immer.
Emmanuel Giannoulis führt über die leere Terrasse des Cavo Spada Resorts, seinem Fünf-Sterne-Hotel im Nordwesten Kretas, seine Schultern hängen. In dem 2000-Quadratmeter-Pool vor ihm sollte sich jetzt eigentlich das schwedische Olympia-Team vom Training erholen. Stattdessen sammeln sich Blätter in einer dreckigen Pfütze. Fast alle Buchungen für das Jahr 2020 wurden wegen der Coronapandemie storniert.

Ein riesiger Strand ohne Menschen

Giannoulis, er ist auch Vizepräsident des griechischen Hotelierverbandes, will sein Hotel jetzt trotzdem öffnen. Er hofft auf den August und ist vorbereitet.
"Dazu müssen wir bestimmte Abstandsregeln befolgen. Die Pool- oder Strandaufsicht wird darauf achten, dass sie eingehalten werden. Außerdem werden wir Plakate mit den Vorschriften aufhängen, damit die Gäste informiert sind. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muss auf sich und die anderen achten. Nur so überwinden wir diese Hygienekrise. Das hier ist der Strand. Ein riesiger Strand. Aber keine Menschen."
Kreta wirkt in diesen Tagen wie eine Filmkulisse ohne Schauspieler: Die Sonne knallt vom Himmel, aber die Strände sind menschenleer und ganze Dörfer sind geschlossen. Ausgestorben. Die griechischen Inseln leben vom Tourismus, Kreta zu knapp 50 Prozent, und wenn keiner kommt, dann ist die Existenz vieler Einwohner bedroht.
Leerer Pool im Cavo Spada Resort auf Kreta
Kein Badespaß im Pool: Auch beim Cavo Spada Resort wurden fast alle Buchungen storniert.© Deutschlandradio / Julia Amberger
Seit dem ersten Juli dürfen nun wieder Urlauber einreisen. Auf Kreta gab es zwar bislang nur 44 Coronafälle, trotzdem trifft man dort kaum Touristen. Der erhoffte Schub für die Wirtschaft blieb bislang aus.
Griechenland hat sich gerade erst von der Finanzkrise erholt. Jetzt folgt der nächste Schlag. Emmanuel Giannoulis versucht, gute Laune zu behalten.
"Die Ankunft der ersten Touristen hat alle glücklich gemacht. Die Menschen reisen wieder, das stimmt uns hoffnungsvoll. Wir versuchen, optimistisch zu sein. Obwohl wir uns einer extrem schwierigen Saison stellen. Ende Februar haben wir einen neuen Besucherrekord erwartet. Wir rechneten mit noch mehr Gästen als im letzten Jahr, die Buchungen für Griechenland und insbesondere den Nordwesten von Kreta waren so hoch, wie nie zuvor. Aber nach dem 20. März, innerhalb von drei Wochen, war plötzlich alles anders und der Tourismus ging zurück auf Null – was unglaublich ist, für jede Branche."

Griechenland – vorbildlich durch die Pandemie

Im Gegensatz zu Spanien und Italien meisterte Griechenland den Kampf gegen die Coronapandemie: Sofort nach dem ersten Infektionsfall ließ Premier Mitsotakis die Karnevalsumzüge verbieten und zwei Wochen später schickte er das Land in den Lockdown. Anfang Juli zählte Griechenland nur knapp 3500 Fälle und 192 Tote. Die Inseln waren kaum betroffen.
Giannoulis hofft, dass die griechische Tourismusbranche von dem guten Image profitiert – und dass die klassischen Spanien- oder Italienurlauber jetzt nach Griechenland kommen.
"Griechenland hat sich während der Covid-19-Pandemie extrem gut verhalten. Das ist unser Kapital. Ich hoffe, dass wir diesen Erfolg in den verbleibenden Sommermonaten kapitalisieren können – und vor allem in den nächsten zwei Jahren."
Die Regeln für alle Reisenden sind streng: Jeder Tourist muss 24 Stunden vor Einreise ein Onlineformular ausfüllen und bekommt einen QR-Code zugeschickt. Der Code entscheidet, wer am Flughafen getestet wird. Um Covid-19-Ausbrüche zu vermeiden, hat die Regierung auch ein 18-seitiges Hygieneprotokoll für Hotels verfasst. Demnach müssen alle Mitarbeiter ein viertägiges Coronaseminar erfolgreich bestehen.
Giannoulis mit seinen 100 Mitarbeitern und 150 Zimmern kommt mit den Auflagen halbwegs klar, im Gegensatz zu vielen Familienhotels.

Kein Geld für zusätzliches Personal

Sandra blickt besorgt auf die frisch gestrichene Fassade ihres Hotels: Rund 50 einfache Zimmer für knapp 30 Euro die Nacht inklusive Frühstück, eingepfercht zwischen Souflaki-Grills und Pensionen in der Nähe von Rethymnon.
Seit 15 Jahren betreibt die Deutsche das etwas abgelebte Hotel mit ihrem griechischen Mann und den Schwiegereltern. In diesem Jahr wollten sie 30-jähriges Jubiläum feiern. Stattdessen machen sie dicht. Möglicherweise für immer.
"Wir hätten extra Personal einstellen können, die mit den Leuten zum Buffet gehen oder ihnen das Frühstück auf dem Zimmer oder am Tisch servieren. Aber das ist auch mit Personal und ganz viel Aufwand verbunden. Die Reiseveranstalter, die haben ja auch Verpflichtungen den Gästen gegenüber, und deswegen ist das alles ziemlich schwierig. Weil: Wir wären dafür verantwortlich gewesen, dass alles so läuft, wie es laufen soll."
Leerer Strand von Sougia auf Kreta
Nur wenige Touristen sonnen sich am Strand von Sougia.© Deutschlandradio / Julia Amberger
Ihr richtiger Name darf nicht genannt werden, denn was sie erzählt, beschädigt den Ruf ihrer Partner: Große Reiseveranstalter wie Rainbow und DER Touristik, eine Tochter von Rewe.
Die mieten bisher einen Großteil ihrer Zimmer pauschal für 22 statt 27 Euro pro Nacht - während der gesamten Saison. Ein günstiger Rabattpreis, aber für Sandra und ihren Mann rechnet sich das. Denn egal, ob das Kontingent ausgeschöpft wird oder nicht: Der Veranstalter zahlt. Jedes Jahr kommt die Familie so auf rund 200.000 Euro. Wegen der Coronakrise wurden die Verträge aber für nichtig erklärt und die monatlichen Zahlungen gestoppt.
"Und da es dann ja keinen Vertrag mehr gibt zwischen dem Reiseveranstalter und dem Hotelier haben die uns angeboten, einen neuen Vertrag zu unterschreiben, zu gleichen Preisen, also zu den günstigen Garantiepreisen."
Allerdings: Laut dem neuen Vertrag gibt es zwar die alten Rabatte, aber keine Kontingente mehr. Sandra würde nur bezahlt, wenn ein Zimmer belegt ist. Sandra legt den Vertrag auf den Tisch und zeigt auch ihren Mailverkehr mit dem Reiseveranstalter. Einer forderte sogar bereits überwiesene Vorauszahlungen zurück.

Knebelverträge von Reiseveranstaltern

Sandra weigert sich, die Knebelverträge zu unterschreiben. Sie fürchtet Verluste. Hotels hingegen, die von einem einzigen Reiseveranstalter abhängen, haben oft keine Wahl, erzählt Sandra. Sie müssen unterschreiben, denn sie werden quasi erpresst.
"Das war das Druckmittel von vielen Reiseveranstaltern: Wenn die Hotels jetzt nicht zustimmen, dass dann auch die anderen Verträge von deren Seite aus gecancelt werden."
Und so schiebt einer die Last auf den nächsten bis zum Ende der Kette. Für das Jubiläumsjahr hat Sandras Familie eine Grundrenovierung begonnen. Jetzt sitzt sie auf 80.000 Euro Schulden fest. Auch die Schwiegereltern sind ohne Arbeit. Und die Familie fragt sich, wie sie finanziell durch die Saison kommt und den Winter übersteht.
"Wir haben im April einmal noch ein kleines Arbeitslosengeld, ein Extra bekommen. Und das war es. Seit April hat man hier kein Geld mehr – und die sind sich immer noch nicht einig, was sie jetzt mit uns machen. Wir sollten jetzt Kurzarbeitergeld bekommen. 530 Euro pro Person im Monat für vier Monate, was ja auch nicht reicht. Nicht, um die Familie zu ernähren. Es gibt viele Hotelangestellte, die jetzt auch nichts mehr zum Essen haben. Denen wird der Strom abgestellt, die können ihre Miete nicht mehr zahlen. Das ist heftig, was hier passiert."

Touristen bringen das Virus mit

Im Minimarkt im Bergdorf Afrata riecht es nach Oregano und Desinfektionsmittel. Aristea Rethemiotaki hängt gerade den zwölften Kräuterstrauß auf eine Leine, die sich über die Regale mit Olivenöl, Raki und Honig spannt. Es bleibt kaum mehr Platz für weitere Gläser und Sträuße, weil niemand kauft.
"Im Juli halten normalerweise jeden Tag ein oder zwei Busse in Afrata. Viele Touristen besuchen unsere kleine Bucht oder verbringen ihren Urlaub hier. Die Häuser sind voll, das Dorf ist voller Leben. Jetzt ist nichts los. Das ist schwierig für mich. Ich fühle mich traurig und leer."
Aristea Rethemiotaki in ihrem Minimarkt im Bergdorf Afrata auf Kreta
Auch der Minimarkt von Aristea Rethemiotaki bleibt meist leer.© Deutschlandradio / Julia Amberger
Rethemiotaki ist eine Frau, die ihre Kunden gerne umarmt. Jetzt weicht sie zurück und schiebt sich nervös ihre FFP3-Maske über Mund und Nase. Jeden Monat zahlt sie rund 500 Euro für Gas, Strom und Steuern, für ihren kleinen Laden und die Wohnung im ersten Stock. Aber seit Monaten nimmt sie nichts ein.
"Wir haben zwei Probleme: Wenn keine Touristen kommen. Und auch, wenn Touristen kommen, weil sie krank sein könnten. Ich sehe jeden Tag neue Covid-Kranke im Fernsehen. Gestern hieß es in den Nachrichten, dass sich innerhalb von nur zwei Tagen 32 Menschen infiziert haben. Und die meisten Fälle sind Touristen."
Allein in den ersten beiden Juliwochen zählte Griechenland 540 Neuinfektionen, 15 davon auf Kreta. Das sind mehr als im gesamten Juni und fast doppelt so viele wie im Mai. Die Reproduktionszahl liegt zwar immer noch bei 0,3, demnach ist die Epidemie unter Kontrolle. Aber die Zahlen bestätigen, was Fachleute befürchten: Die Urlauber schleppen auch das Virus ein.
Ist der Preis für die Öffnung zu hoch? Rethemiotakis Mann hat Multiple Sklerose. Sie kennt die Probleme des griechischen Gesundheitssystems gut. "Ich habe Angst, um meine Familie und meine Kinder. Angst vor dem Tod."
Bei vielen Griechen mischt sich die Angst vor dem Virus mit der Wut auf die Regierung oder auf diejenigen, die so tun, als hätte das Virus nie existiert.

Krisenstimmung unter Jugendlichen

Kurz vor der Mittagspause, während Rethemiotaki den Verkaufstresen desinfiziert, stolpert ihr Sohn Kostas die Treppen herunter, sein Gesicht ist vom Schlaf verknautscht. Der 25-Jährige hat gerade sein Touristikstudium abgeschlossen und sollte jetzt in einem Hotel arbeiten. Stattdessen schläft er sich aus und hilft im Laden mit.
"Ich hab zwar keine Arbeit, die mir Selbstbewusstsein gibt. Aber manche Leute haben nicht mal Familie, was sollen die nur tun? Ich schätze mich glücklich, weil mein Vater dieses Haus und alles drumherum aufgebaut hat, für seine Zukunft, seine Kinder, für uns alle. Ich habe einen Ort, an den ich zurückkehren kann und an dem ich etwas tun kann, auch wenn uns ein Coronavirus oder eine Krise trifft."
Der Lockdown brachte ihn dazu, über seine Zukunft nachzudenken und er entwickelte eine neue Idee: Er würde gerne im Agrotourismus arbeiten, anstatt in einem Hotel Karriere zu machen.
"Ich würde gerne selbst etwas auf die Beine stellen, einen botanischen Garten, und mit Minimärkten kooperieren, damit die Urlauber sehen, woher die Produkte, die sie kaufen, kommen. Das sind harte Zeiten für den Tourismus. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns davon erholen."
Im Agrotourismus könnte er sich selbst versorgen – und wäre unabhängig von der Regierung, von Reiseveranstaltern und von einem Arbeitgeber.
"Stell dir vor, du hast eine Familie, lebst in einer Stadt – und dein Arbeitgeber sagt, wir können diese Saison nicht öffnen. Du hast zwei Kinder, eine Miete, die du zahlen musst. Du bist ruiniert. Von einem Tag auf den anderen wirst du auf der Straße landen."
Kostas folgt damit vielen jungen Griechinnen und Griechen, die in der Finanzkrise die Landwirtschaft für sich entdeckt haben. Zurück zu den Wurzeln – in der Hoffnung, dass sich dieser Trend auch im internationalen Tourismus durchsetzt.
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