Coronatalk in Sachsen

Der Ministerpräsident sucht das Gespräch

05:25 Minuten
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Er sucht das Gespräch: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild / Robert Michael
Von Alexander Moritz |
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Die Corona-Infektionszahlen sind in Sachsen nach wie vor hoch. Und der Frust ist groß. Deshalb diskutierte Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Bürgerinnen und Bürgern. Doch viele Fragen im Chat blieben vorerst unbeantwortet.
"Namen und Nachnamen nennen. Sie bekommen maximal eine Minute Zeit. Kurze Fragen wären wichtig. Und haben Sie Verständnis, dass wir uns vorbehalten, das Mikro abzuschalten."
Die Regeln bei der Videokonferenz sind klar. Pöbler haben bei der virtuellen Veranstaltung keine Chance, können sich lediglich in den Kommentarspalten auslassen.

Neben Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sind vier weitere Gäste als Antwortgeber zugeschaltet, unter anderem der Vorsitzende der Sächsischen Impfkommission und der Oberbürgermeister von Zittau. Coronaleugner sitzen nicht auf dem virtuellen Podium, dafür die Leiterin eines Pflegeheims in Görlitz.
Sie sagt: "Wir haben gedacht, wenn uns das trifft, dann sind wir gut vorbereitet und stehen das durch. Aber das war leider nicht so. Man muss sich das vorstellen: Das war wie so eine Welle, die hat uns erfasst und mitgerissen." Nach einem Ausbruch von Covid-19 ist in den vergangenen Wochen jeder dritte Bewohner ihres Heims gestorben.

Die Kommentarspalten sind voll

So eindrücklich manche Schilderung der Podiumsteilnehmer ist – ein Dialog kommt zunächst nicht in Gang. Stattdessen: vorbereitete Fragen vom Moderator.
Währenddessen prasseln in den Kommentarspalten des Livevideos längst die Fragen nieder:
Hätte man nicht im Sommer bessere Schutzmaßnahmen entwickeln müssen, um den Lockdown im Winter zu vermeiden? Wie soll Familien geholfen werden, in denen zwei Kinder im Homeschooling sind und zwei Eltern im Homeoffice?
Schnell sammeln sich über 100 Fragen. Nur ein Drittel wird im Laufe der zweistündigen Veranstaltung vom Moderator aufgerufen: "Von Dorit Biehler an den Ministerpräsidenten: Warum kann ich beim Döner mein Essen telefonisch bestellen und abholen, im Fachgeschäft ist das aber nicht erlaubt, sondern das soll ich mir vom Postmann liefern lassen oder von Amazon."
Ein anderer, Friedrich Hoge, klagt: "Ich und meine Generation, wir werden langsam mürbe. Was wird für die junge Generation getan? Gerade so etwas wie die Ausganssperre ist das, was uns trifft."
Sarah Hahn ergänzt: "Dass man jetzt nicht mal woanders spazieren gehen kann. Am Ende ist es doch egal, ob ich 15 Kilometer oder 50 Kilometer weiter spazieren gehe, solange ich alleine spazieren gehe."

Coronaleugner waren auch eingeladen

Kretschmer rechtfertigt, erklärt, gibt auch Schwierigkeiten zu, etwa bei der Abstimmung mit dem Bund oder den Nachbarländern.
Romy Kreienberg zeigt sich ebenfalls frustriert und fragt: "Ich habe sieben Kinder, darunter mehrere behinderte Kinder. Warum war es nicht möglich, in der zweiten Welle die behinderten Kinder, die wirklich extrem auf den Austausch mit anderen Kindern, mit Erziehern angewiesen sind, in eine Einrichtung geben zu können? Warum mussten die ebenfalls zu Hause bleiben? Und die dritte Frage: Wie ich das meinen Kindern erklären kann mit diesen ganzen B96-Gegnern, die halt dieses ganze Problem Covid-19 noch extrem in die Höhe schießen lassen. Das fällt mir als Mutti sehr schwer, das meinen Kindern zu erklären."
Kretschmer sitzt vor einer Regalwand, nippt an seinem Saftglas und nickt. Es bleibt ein Frage-Antwort-Spiel. Einen Schlagabtausch mit Coronaleugnern gibt es nicht.
Dabei hatte Kretschmer sie direkt eingeladen, als vor drei Wochen eine Gruppe Coronaleugner vor seinem Privathaus aufgetaucht war und ihn in ein Gespräch verwickeln konnte. Linke, SPD und Grüne hatten kritisiert, dass Kretschmer mit seiner Einladung ein falsches Signal sende. Grundsätzlich ist die Videokonferenz über Zoom, Youtube und Facebook für alle offen. Über 800 Menschen sehen zu.

Keine Diskussion über medizinische Tatsachen

Dass auch in dieser Diskussion niemand bezweifelt, dass das Virus tatsächlich existiert, führt im Chat zu einiger Unzufriedenheit. Manche zweifeln an der Aussagekraft der Coronatests. "Ist das hier eine Werbesendung für Kretschmer?", schreibt einer. Andere fordern dagegen ein noch viel stärkeres Runterfahren der Kontakte.
Nur einmal ist in einer Wortmeldung so etwas wie grundlegender Frust zu erkennen: "Und zwar bin ich der Meinung, dass mit diesem Konzept bisher kein zielführender Dialog zustande kommen konnte, weil es bei der Auswahl der Experten oder Gäste keine paritätische Verteilung unterschiedlicher Meinungen gegeben hat. Einen solchen Dialog hat der Ministerpräsident aber schon häufiger versprochen. Ich wollte fragen, ob Sie und wann Sie das umsetzen werden."
Kretschmer antwortet darauf nicht. Über die medizinische Tatsache des Virus will auch der sächsische Ministerpräsident nicht mehr diskutieren. Videokonferenz mit dem Ministerpräsidenten – das klingt nach politischer Diskussion. Doch die zwei Stunden zeigen deutlich die Grenzen des Formats: Fünf Personen auf dem Podium sind zu viel, Nachfragen sind nicht zugelassen.

Kretschmer sucht das Gespräch

Das Forum ist ein Versuch, politische Diskussion zu ermöglichen. Das ist Kretschmers politischer Stil, sagt Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden: "Das zeichnet ihn aus, das Gespräch zu suchen. Auch da, wo es wirklich stinkt und raucht."
Doch bleibt davon mehr als nur ein Zeichen des guten Willens? Wird hier Partizipation nicht nur vorgegaukelt? Um Menschen wirklich an politischen Prozessen teilhaben zu lassen, schlägt Vorländer andere Modelle vor. Bürgerdialoge zum Beispiel, zu denen Menschen nach einem Zufallsverfahren eingeladen werden.
"Weil man dann einen Querschnitt der Bevölkerung bekommt, sodass man nicht nur eine Gruppe adressiert", sagt der Politikwissenschaftler. "Und dann kann man auch auffordern, in Planspielen zu versuchen, solche Probleme selbst einmal zu lösen und Strategien zu entwickeln, um auf diese Art und Weise zu verdeutlichen, wie schwierig es ist, in sich schlüssige Strategien zu entwickeln. Und auch das Bewusstsein und die Verantwortung innerhalb der Bürgerschaft zu stärken für die Lösung solcher Probleme."
Die Debatte um die Coronapolitik wird nicht enden. Auch nicht, wenn irgendwann wieder Normalität eintritt. Der Ministerpräsident sagt dazu: "Deutschland muss nach dieser Krise, glaube ich, auf die Couch. Wir müssen das verarbeiten."
Die übrig gebliebenen Fragen von der Veranstaltung will die Landesregierung schriftlich beantworten.
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