Jonas Tesarz ist Facharzt für Innere Medizin und Psychosomatik und Professor am Universitätsklinikum Heidelberg. Um die psychischen Folgen der Coronaviruspandemie abzuschätzen, tauscht er sich intensiv mit chinesischen Medizinerinnen aus.
Krank durch die Krise
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Durch Corona könnte es zu mehr psychischen Erkrankungen kommen, warnt der Mediziner für Psychosomatik Jonas Tesarz. Die Krise sei eine enorme psychische Belastung. Er warnt vor Stigmatisierung Erkrankter und einem Anstieg häuslicher Gewalt.
Steigende Infektionszahlen, Kontaktbeschränkungen, Hamsterkäufe - für Menschen mit seelischen Traumatisierungen sind das Coronavirus und seine Begleiterscheinungen in der Gesellschaft eine große Belastung. Beispielsweise könnten Patientinnen und Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen jetzt wieder die für ihre Erkrankung ursächlichen Symptome erneut erleben, sagt der Mediziner für Psychosomatik Jonas Tesarz.
Das Coronavirus führe zu einer enormen psychischen Belastung der Betroffenen. Wenn die Verbreitung des Virus steige, könne es auch zu einer Stigmatisierung der Opfer und Schuldgefühlen bei den Erkrankten kommen, warnt Tesarz.
Andere Menschen reagierten mit Ängsten, Schlafstörungen oder depressiven Symptomen auf die Situation. Ein Sechstel der Patientinnen und Patienten habe auch körperliche Beschwerden, wie zum Beispiel Herzschmerzen oder Luftnot. Dies sei für die Medizin ein zusätzliches Problem bei der Diagnose, weil diese Symptome auch durch das Coronavirus direkt hervorgerufen werden können.
Häusliche Gewalt gegen Kinder könnte steigen
Auch könne es zu mehr häuslicher Gewalt kommen, weil im Zuge der Kontaktsperre mehr Menschen zu Hause bleiben. Besonders für Kinder sei dies ein Risiko: "Wir haben im Augenblick keine Zahlen, aber wir wissen aus ähnlichen Situationen – zum Beispiel nach einem Tsunami oder im Rahmen der Ebolakrise – dass das Risiko für häusliche Gewalt steigt, vor allem für die vulnerablen Gruppen wie zum Beispiel Kinder." Die Fachgesellschaften für Kinderschutz arbeiteten deswegen gerade intensiv daran, um Schutzkonzepte zu entwickeln.
Andererseits zeigten erste Erfahrungen aus China, dass jüngere Menschen relativ wenig Probleme mit den psychischen Folgen einer Quarantäne hätten: "Weil die natürlich über die Sozialen Medien einen Vorteil haben, um in Kontakt zu bleiben."
Offene Fragen bei psychotherapeutischer Versorgung
Durch die Situation werde absehbar der Bedarf nach psychotherapeutischen Behandlungen steigen. Allerdings fragt sich Jonas Tesarz, selbst Oberarzt an einer Klinik für Psychosomatik, wie die Versorgung für psychisch Erkrankte aufrecht erhalten werden kann. "Es gibt eine Fokussierung der Ressourcen auf die intensivmedizinische Betreuung der drohenden Welle der intensivpflichtigen Patienten durch Coronavirus." Gleichzeitig würden psychotherapeutische Angebote eingeschränkt: "Psychosomatische Therapie und Psychotherapie funktioniert ganz wesentlich über Beziehungen und Gruppentherapie." Diese Angebote würden nun wegen der Kontaktsperren ausgesetzt. Hier gebe es noch viele offenen Fragen.
Eine weitere Herausforderung sei die Betreuung von Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind und durch die Isolierung von der Familie psychische Probleme entwickeln, die behandelt werden müssten. Es werde viel Energie in die Entwicklung neuer Angebote gesteckt, so Tesarz, aber das brauche natürlich Zeit. In Erwartung steigender Patientenzahlen in allen Bereichen sei die Stimmung an den Krankenhäusern angespannt: "Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm."
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Um die Gefahr von Erkrankungen zu reduzieren, hilft es, das Immunsystem zu stärken. Dafür sei neben regelmäßiger Bewegung auch ausreichend Schlaf wichtig, so Tesarz. Diesen einfachen Rat habe ihm auch ein chinesischer Arzt aus der besonders vom Virus betroffenen Stadt Wuhan gegeben.
Für die psychische Gesundheit sei es außerdem wichtig, auch Abstand vom Nachrichtengeschehen zu nehmen: "Dass man sich nicht rund um die Uhr Nachrichten anschaut, sondern zweimal am Tag. Damit das Thema Corona nicht zu viel Energie zieht."