Warum Isolation künstlerisch produktiv sein kann
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Das Coronavirus sorgt für leere Straßen, Einkaufszentren und Theater. Der Kulturtheoretiker Bazon Brock sieht in der kollektiven Abschottung, ganz wie in Boccaccios "Decamerone", auch eine Chance – und zwar für die Kreativität.
Angesichts zunehmender Coronavirus-Infektionen leeren sich Museen, Konzertsäle und Theater. Veranstaltungen werden abgesagt. Nun empfiehlt Gesundheitsminister Jens Spahn, in Deutschland generell Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern vorerst abzusagen. Was tat man früher, wenn man in Quarantäne musste?
In Giovanni Boccaccios Mittelalterwerk "Decamerone" flieht zum Beispiel eine zehnköpfige Gesellschaft vor der Pest in ein Landhaus. Dort erzählt man sich dann Geschichten über das Leben. In der Isolation entstehen zehn Novellen. Dieses Eingeschlossensein kann also Kreativität fördern.
Statt Panik Konzentration nach innen
Das findet auch der Kulturtheoretiker Bazon Brock: "Diese Balance zwischen Panikgefühl durch Eingeschlossensein, Behindertsein und andererseits, sich dadurch zu konzentrieren, ist etwas Fantastisches." Entscheidend sei allerdings, "die Beteiligten zusammenzuführen zu einer Art von gemeinsamem Projekt, das alle tatsächlich einbindet, und durch diese Einbindung in das Projekt die entsprechende Dynamik oder seelische Stärke oder Wirkungsstärke erzeugt".
Brock erinnert an Thomas Mann. Dieser sei der Meinung gewesen, ohne Krankheit, das heißt: ohne Isolation, sei keine Kreativität möglich. Diese hänge nämlich vom produktiven Umgang mit "Defekten dieser Art" ab, erläutert Brock. In einer Zeit wie der unsrigen, in der man glaube, die Freiheit sei grenzenlos, und in der man alles als selbstverständlich betrachte, könne eine solche Isolation dazu führen, sich mit dem wirklich Wichtigen zu beschäftigen:
"Statt Panik also Konzentration nach innen, die dann auch zur Beruhigung führt, nicht zur Stillstellung, aber eben zur Beruhigung unter der Vorgabe: Aus dieser Situation lässt sich für uns etwas Produktives machen."
Den Dauerbetrieb des Belanglosen hinterfragen
Schon in den 60er-Jahren habe es Vorschläge aus Kopenhagen, Schweden und Paris gegeben, "mal für ein Jahr die künstlerischen Aktivitäten vollkommen einzustellen", erinnert Brock: "Also keine Opern spielen, mal kein Theater mehr, keine Galerie zu betreiben et cetera, um den Leuten klarzumachen, was sie eigentlich davon haben, dass überall dieses kulturelle Angebot vorhanden ist."
So könne man den Dauerbetrieb des Belanglosen hinterfragen und sich auf das, was uns als Menschen auszeichne, konzentrieren. Die Menschen wüssten heute gar nicht mehr, sagt Brock, dass sie nur dadurch Mensch seien, dass es andere wie sie gebe, und dass es für alle die gleichen Voraussetzungen des Lebens gebe.
(ckr)