Ein Leben mit der Mafia
Palermo galt lange als Hochburg der sizilianischen Mafia, bis sich Teile der Bevölkerung wehrten. Offene Gewalt ist heute in Palermo eher selten geworden. Aber das Gesetz des Schweigens gilt auf Sizilien nach wie vor.
Ballaro, der älteste Markt Palermos. Fast wie ein arabischer Markt wirkt er. Marktschreier preisen die bunten Früchte und das Gemüse an, das sie in ihren Auslagen präsentieren. Er schlängelt sich durch die engen Gassen des Stadtteils, das einst Araberviertel war. Immer wieder drängelt eine Vespa durch die Menge, sie wird mit sizilianischer Gelassenheit akzeptiert.
Giorgio hat einen Ministand: Er besteht nur aus einem kleinen Anhänger. Gerade ist er damit beschäftigt, Sardinen in Salz zu wälzen. Den wenigen Touristen, die sich in den Wintermonaten hierher verirren, erklärt er bereitwillig, wozu das gut ist:
"Die isst man so als Vorspeise, oder auch mit Nudeln, mit Broccoli, Nudeln mit Auberginen Pasta mit Sardinen ist immer mit gesalzenen Sardinen."
Giorgio arbeitet hier seit dreißig Jahren, Tag für Tag. Genauso wie sein Vater früher. Und dann auf die Frage, ob er noch manchmal was von der Mafia mitbekomme:
"Ich nicht nein, weil ich klein bin, was mich betrifft, kein Problem, nein."
Schutzgeld zahle er nicht. Oder er möchte es nicht sagen. Die Mafia, die hier noch vor mehr als zehn Jahren das Sagen hatte und von praktisch jedem Händler und Geschäftsmann in Palermo Schutzgeld, den sogenannten Pizzo, erpresste und im Gegenzug ihren vermeintlichen Schutz vor Behördenwillkür und vor Angriffen der Mafia bot, die scheint es hier nicht mehr zu geben. Scheint es.
Sein Kompagnon bekommt Angst
Ein paar Schritte weiter verkauft Antonio Orangen und Mandarinen. 65 Jahre sei er alt und seit 60 Jahren hier auf dem Markt. Er hat Erfahrung:
"Wie es war mit der Mafia? Mit der Mafia war es irgendwie gut und irgendwie nicht gut."
Sein Kompagnon unterbricht ihn jäh. Er bekommt Angst, er hält die Hand auf das Mikrofon und schiebt mich sanft vom Stand weg.
Aha, also Mafia, gibt es nicht? Aber immer noch die Omerta, dieses kollektive Schweigen über ihre Existenz.
"Die Mafia war einmal, die gibt es nicht mehr," sagen die Markthändler. Viel zu holen gibt es bei ihnen ohnehin nicht. Schlechte Zeiten, sagen sie alle und fangen an sich zu beklagen.
Es fehlt an allem, sagen Francesco und Giovanni, Vater und Sohn. Sie verkaufen Orangen hier auf dem Markt von Ballaro schon seit über 20 Jahren. Aber sie kommen kaum über die Runden.
"Wir müssen alles bezahlen, selbst die Luft, die wir atmen."
Um die Ecke lehnt Gianni an einer Hauswand, von der der Putz abbröckelt und beobachtet die Szene. Neben ihm verkauft ein Fischhändler frischen Tintenfisch. Gianni sagt, er sei arbeitslos. Und wie lebt er?
"Wir tun so, als wäre alles gut"
"Wie ich lebe, ich bin reich….an Gesundheit, nein, wir tun so, als wäre alles gut, es ist zuviel Krise nicht wahr?
Die Ruine einer Bar an der Ausfallstraße von Palermo Richtung Westen - völlig ausgebrannt. Der Besitzer wollte wohl kein Pizzo zahlen, meint Fabio Conticelli, der sie im Vorbeifahren zeigt. Er ist Geschäftsführer der traditionsreichen Focacceria am Rande des Altstadtviertels Vucciria. Er ist der große Vorreiter der Bewegung Addiopizzo - gegen Schutzgeld.
Fabio Conticelli weiß, was es bedeutet unter dem Druck der Mafia zu stehen. Mit viel Mut haben er und seine Familie sich gegen diesen Druck gewehrt. Die Geschichte, die er erzählt, erinnert an einen Mafia-Krimi. Im November 2005 kündigte sich ein junger Typ in der Focacceria an. Sportlich gekleidet betritt er die Gaststätte, unauffällig, aber zielsicher. Fabio dachte damals, es handele sich um ein geschäftliches Treffen:
"Aber nach wenigen Minuten hat er unmissverständlich klar gemacht, dass wir von jetzt an regelmäßig zahlen müssten, auch rückwirkend für alle Jahre, in denen wir nicht gezahlt hätten."
50.000 Euro für die Vergangenheit - und ab sofort 1500 Euro im Monat. Doch das Glück war auf seiner Seite: Am Nachbartisch hielten sich zufällig zwei Carabinieri auf, die sofort verstanden, was da gerade passierte. Sie nahmen alles mit einer Miniaturkamera auf. Der Schutzgeld-Eintreiber wurde verfolgt, als er die Focacceria verließ und auf seinem Mofa wegdüste.
"Von diesem Zeitpunkt an wurden Ermittlungen aufgenommen und am Ende von vier Monaten waren er und drei weitere Hintermänner verhaftet."
Gegen die Mafia rebelliert
Die Familie Conticelli hatte sich durchgesetzt: Eine der ältesten und berühmtesten Gaststätten Palermos hatte gegen die Mafia rebelliert. Das sorgte für Aufruhr. Damals. Und für insgesamt 40 Jahre Gefängnis für vier Personen.
Dennoch hat auch heute die Mafia in Palermo genug Einfluss. Auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, in denen in der Stadt Angst und Schrecken herrschte.
Es ist schwer zu sagen, wie viele Geschäftsleute derzeit Schutzgeld zahlen. Die Organisation "Addiopizzo" unterstützt die, die aussteigen wollen. In der momentanen Krise kann es sein, dass mehr Geschäftsleute die Mafia anzeigen: Schlicht weil sie nichts mehr zu geben haben, meint Fabio Conticelli:
"Sie wissen, dass sie nichts mehr verlieren können: mehr Steuern, mehr Abgaben als früher. Wenn es jetzt noch Forderungen von der Mafia gibt, dann verlieren sie die Hoffnung und entscheiden sich dafür, die Mafia anzuzeigen. Deshalb ist die Zahl der Unternehmen angestiegen, die eine Anzeige machen."
840 sind inzwischen ausgestiegen: Dank der Hilfe von Addiopizzo.
Den Mut, "Nein" zu sagen, den haben in Palermo jetzt immer mehr. Wie viele Händler noch zahlen? Das kann Pico nicht sagen. Aber leider immer noch viele, meint er. 70 Prozent heißt es in den Medien. Aber - und das ist der Erfolg von Addiopizzo in zehn Jahren:
"Viele bezahlen eben nicht. Das ist den neuen Werten geschuldet, die sich in der Stadt breit gemacht haben. Die Leute schicken den Mafioso weg. Aber sie machen das nicht öffentlich. Sie wollen noch nicht zu denen gehören, die den Aufkleber von Addiopizzo auf die Eingangstüre kleben. Sie gehen ihren Weg alleine."
Die Mafia kann Schutzgelder nicht mehr so leicht erpressen, was ihren Mitgliedern durchaus bewusst ist, wie man von Abhör-Protokollen durch die Polizei weiß, erzählt Pico:
"Sie sagen, das Klima habe sich verändert, sie müssten aufpassen: Nur alleine den Pizzo einfordern gehen, nur bei Personen, die niemals eine Anzeige aufgeben würden. Solche Abhörprotokolle sind unterhaltsam für uns: Ein Mafioso sagt da zum Beispiel zum anderen: es stinke nach Polizei, den Händlern, die eine Anzeige aufgeben wollen, sei das ins Gesicht geschrieben. Die Mafia hat Angst vor der Veränderung."
Umgeben von den Villen einiger Mafia-Familien
Ein paar Kilometer westlich von Palermo liegt die kleine Stadt Bagheria. Der Deutsche Thomas Grüssner wohnt dort seit 25 Jahren. Er hat zwei Sprachschulen in Sizilien aufgebaut.
Er lebt im Ortsteil Aspra, mit sagenhaftem Meerblick über die felsige Küste hinweg auf die Bucht von Palermo, die Conca d‘Oro. Und er ist umgeben von den Villen einiger Mafia-Familien"
"Also wenn wir auf unsere Straße gehen: in den ersten vier Häusern sind Häuser von vier Mafia Familien."
Auch wenn Schutzgeldforderungen nicht mehr zum zentralen Geschäftskern der Mafia gehören – präsent ist sie in Palermo sehr wohl. Sie besetzt nach wie vor wichtige strategische Positionen und korrumpiert Beamte. Zum Beispiel bei der Wasserversorgung: Wasser wird nur jeden zweiten Tag in die Tanks auf den Dächern gepumpt.
"Das ist ja nicht normal: Es gibt Stauseen, unterirdische Wasserquellen in Sizilien, die Leute sagen, alles was der Staat macht, geht nicht, also kaufen sie das Wasser bei privaten Wasserunternehmen. Dahinter steckt die Mafia, und sie verkaufen für 50 Euro pro Tankwagen."
Zum Beispiel die medizinische Versorgung in Krankenhäusern: Sie würden schlecht verwaltet, erzählt Thomas Grüssner: Er vermutet dahinter ebenfalls den Einfluss der Mafia, die davon profitiert, dass das System nicht funktioniert. Damit die Leute schließlich zu privaten, von der Mafia geführten Krankenhäusern gingen, weil sie unzufrieden seien. Oder auch im Bausektor hat die Mafia immer wieder und immer noch ihre Finger drin. Erst kürzlich wurden wieder einige Leute festgenommen.
"Zwei unbescholtene Ingenieure, die im Gefängnis von Palermo gearbeitet haben als Bauingenieure, und die durch gelenkte Ausschreibungen dafür gesorgt haben, dass Firmen der Mafia diese Ausschreibungen gewonnen haben."
Rund um die Uhr von der Polizei bewacht
Wer sich von der Mafia nicht unterkriegen lassen will, wie Fabio Conticelli, der Geschäftsführer der Anitica Focacceria, muss die permanente Präsenz der Polizei in Kauf nehmen. Seine Focacceria wird rund um die Uhr bewacht. Außerdem sein Privathaus, vor dem ein Fahrzeug mit Carabinieri regelmäßig Streife fährt.
Sein Bruder, der damals die Mafia anzeigte, ist inzwischen ins Ausland geflohen. Sieben Jahre ununterbrochen mit Bodyguards unterwegs zu sein, hielt er irgendwann nicht mehr aus, erzählt Fabio.
"Überwacht zu werden, verändert dein Leben. Selbst die einfachsten Dinge, wie einen Kaffee in einer Bar zu trinken oder im Meer baden zu gehen, werden kompliziert. Du hast immer drei oder vier Personen bei Dir, die dich den ganzen Tag begleiten, also das ist eine Beschneidung der Freiheit."
Auch Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo, hat sein halbes Leben mit Begleitschutz verbracht. Er schützt seine Familie, indem er sie komplett aus der Öffentlichkeit raushält.
Er residiert in der feudalen Villa Niscemi, außerhalb der Stadt. Keinen Tag lebt er ohne Angst, gibt er zu. Von seiner Familie gibt es keine Fotos, damit sie zumindest ein einigermaßen normales Leben führen kann.
Orlando war seit 1985 mit Unterbrechung Stadtoberhaupt. Während der Zeit hat er sich national und international einen Namen als Mafia-Bekämpfer gemacht und stand immer wieder auf der Abschussliste der Organisierten Kriminalität:
"Mafia…ist ein Gewaltsystem, ein kriminelles Gewaltsystem, ein kulturelles Gewaltsystem, ein ökonomisches Gewaltsystem, ein religiöses Gewaltsystem, das ist die Mafia."
Der 66-Jährige spricht Deutsch, weil er in Heidelberg Jura studiert hat. Als er Bürgermeister wurde, hat er Palermo als Mosaik angetroffen, erzählt er, mit einem Rahmen aus Mafia und Politik:
"Ich habe entschieden, gegen den Rahmen in Kampf zu kommen, ich habe den Rahmen kaputt gemacht und ich habe entschieden einen neuen Rahmen zum Mosaik zu geben"
Legalität, Recht und Menschenrecht
Jetzt sei er dabei, einen neuen Rahmen zu bauen, aus Legalität, Recht und Menschenrecht. Ein bisschen wie ein Fürst regiert er in seinem schmucken Biedermeierbüro, mit zwei Smartphones vor sich, auf die er abwechselnd Nachrichten eintippt, Anrufe erledigt, Aufträge verteilt. Immer wieder erscheinen plötzlich die Angestellten im Raum und bringen das von ihm verlangte: Unterlagen, Kaffee, Bücher für den Gast.
"Ich bin Oberbürgermeister von Palermo und auf meinem Stuhl saßen in der Vergangenheit viele Freunde von Mafiabossen. Ich muss die Wahrheit sagen, einer war der Mafiaboss, weil die Mafia war der Rahmen von diesem Mosaik. Heute die Mafia ist nicht mehr der Rahmen, immer noch gefährlich, aber nicht mehr der Rahmen."
Auf konkrete Fragen geht er allerdings nicht ein: weder auf die nach dem aktuellen Problem der Müll-Abfuhr in der Stadt, die nicht mehr funktioniert, weil die Müll-Arbeiter nicht mehr arbeiten wollen, noch darauf, dass die Landarbeiter in der Stadt für Arbeit demonstrieren. Oder dass auch heute noch Staatsanwälte mit anonymen Briefen bedroht werden und der inhaftierte Mafiaboss Toto Riina den Mafia Nachwuchs vom Gefängnis aus zum Morden auffordert.
Ist sie also doch noch mehr als präsent die sizilianische Mafia? Umberto Santino vom Centro siciliano di documentazione "Giuseppe Impastato" in Palermo forscht langem über die Mafia. Für ihn gibt es die Mafia immer noch, allerdings wird sie heute bekämpft.
"Die Erpressungen gibt es immer noch, und damit domminiert die Mafia über das Territorium. Sagen wir das ist der harte Kern der Mafia. Aber in den letzen Jahren wird dieser von einer Gegenbewegung bekämpft. ..movimento antiraquet."
Die sizilianische Mafia spiele eine Nebenrolle im weltweiten Drogenhandel. zum Beispiel. Aber die Mafia profitiere von der momentanen Krise: Weltweit und in Palermo: eine Stadt mit enormer Arbeitslosigkeit, eine Stadt, in der vieles nicht funktioniert: U-Bahn, Müllabfuhr, und er sagt es noch krasser:
"Palermo wirkt wie eine dritte Welt-Stadt, eine vergessene Stadt: zweifellos gibt es objektive Probleme, weil es zu wenig Geld gibt und weil es eine Politik gibt, die mehr aus Ankündigungen besteht als aus konkreten Umsetzungen."
Das führe automatisch dazu, dass sich die Menschen hier wieder mehr kriminellen Machenschaften hinbewegen – und letztendlich hin zum Modell der Mafia.