Country-Sängerin Bobbie Gentry

Ein Tribute-Album als Castingshow

Bobbie Gentry bei der "THE BEST ON RECORD – THE GRAMMY AWARDS SHOW" im Jahr 1968, neben einem Gramophon.
Mit dem Tribut-Album der Band Mercury Rev werden Bobbie Gentrys Lieder wieder in die Gegenwart geholt. © imago/ZUMA Press
Von Klaus Walter |
Bobbie Gentry wird mit einem Tribute-Album der besonderen Art gewürdigt. Die Band Mercury Rev hat ihr Album "The Delta Sweete" von 1968 neu aufgenommen. Der Clou: Jeden Song singt eine andere Sängerin. Mit dabei sind Norah Jones und Lucinda Williams.
Es war der 3. Juni 1967, einer von diesen schläfrigen, dunstigen Tagen im Delta. An diesem 3. Juni springt Billy Joe MacAllister von der Tallahatchie Brücke in den Mississippi River in den Tod. Das erzählt Bobbie Gentry in "Ode To Billie Joe", einem der größten Hits des Jahres 1967.

Warum sprang Billie Joe MacAllister von der Brücke?

Das Geheimnisvolle an "Ode To Billie Joe" habe sich in seinem Hinterkopf festgesetzt wie ein verblichenes Polaroid-Foto, sagt Jonathan Donahue, Gründer und Sänger der New Yorker Band Mercury Rev. Er ist ein Säugling, als "Ode To Billie Joe" rauskommt und hört das Lied im Radio. Immer wieder. Bis heute rankt sich ein Geheimnis um Billie Joe MacAllister. Kurz vor seinem Todessprung sei er mit einer jungen Frau auf der Brücke gesehen worden, und sie hätten einen Gegenstand in den Fluss geworfen.
Was für einen Gegenstand? Waren es Blumen? Ein Verlobungsring? Ein Einberufungsbefehl? LSD-Trips? Oder war es ein abgetriebener Fötus? Keine Frage wird Bobbie Gentry häufiger gestellt. Sie hat sie nie beantwortet. Der Song bleibt rätselhaft, auch für den kleinen Jonathan Donahue. Neben Noveltyhits wie "Yummy Yummy, Yummy" wirkt "Ode To Billie Joe" geradezu gespenstisch.
Jonathan Donahue: "Man war vielleicht nicht alt genug, um zu wissen, was Bobbie da von der Brücke warf, aber alt genug um zu wissen, dass es eine große Bedeutung hat, ein Geheimnis."
Geheimnisumwittert bleibt auch Bobbie Gentry. Nach ihrem Riesenhit mit "Billie Joe" bringt sie noch ein paar Alben raus, das letzte 1971. Mittlerweile geht sie auf die Achtzig zu, und immer mal wieder taucht die Frage auf: Wo ist eigentlich Bobbie Gentry? Oder wer ist eigentlich Bobbie Gentry?
Eine Antwort kommt jetzt von Mercury Rev. Sie heißt "The Delta Sweete Revisited" und ist mehr als ein Tribute-Album.

Soundfantasien vom wildromantischen Süden

"The Delta Sweete" ist das zweite Album von Bobbie Gentry, und das nehmen nun, 50 Jahre später, Mercury Rev auf, vier Männer aus dem urbanen Norden. Eigentlich sollte es nur ein Liebhaberprojekt werden, veröffentlicht auf der Website der Band. Bis die Plattenfirma davon hörte und genauso begeistert war.
"Für uns, die wir im Nordwesten aufgewachsen sind, gibt es diese Faszination mit dem Süden, dem Southern Gothic, dieses Rätselhafte. Das fühlt sich an wie ein anderes Land," sagt Grasshopper, Gründungsmitglied von Mercury Rev. Also entwerfen die versierten Liebhaber des Southern Gothic in ihrem Studio in Brooklyn ihre Vision von "The Delta Sweete", oder besser ihre Projektion. Eine Soundfantasie vom wildromantischen Süden.
Norah Jones ist der größte unter vielen großen Namen auf der Liste der Sängerinnen. Mit dabei sind auch Lucinda Williams, Margo Price und Hope Sandoval. Aber auch Edelstimmen aus Europa, wie Beth Orton oder Laetitia Sadier, einst bei Stereolab, sind auf dem Album vertreten.

Zu 100 Prozent geschmackssicher - und ein bisschen langweilig

Laetitia Sadier gibt ihr Chanteusen-Bestes, um sich in den Southern Gothic einzufühlen. Der Kontrabass strahlt Wärme aus und Gediegenheit, die Streicher werden vom Winde verweht.
Auf Mercury Rev ist Verlass: hier ein elegantes Pastiche, dort die dezente Aktualisierung, vorsichtige Variationen. Alles 100 Prozent geschmacksicher. Und alles ein bisschen langweilig. Vor allem im Vergleich zum Original. Der ist ungerecht, muss aber sein.
Gegen Bobbie Gentrys Originale kommen die Remakes von Mercury Rev daher, wie die mit viel Liebe fürs Detail und mit viel Geld retro-konstruierten Töpfe und Pfannen bei Manufaktum. "The Delta Sweete Revisited" teilt das Schicksal von so vielen Tribute-Alben: Gut ist das Gegenteil von gut gemeint.
Aber wenn es dazu beiträgt, eine vergessene Künstlerin der Nachwelt nahezubringen, dann erfüllt es doch den guten Zweck.

Mercury Rev: "Bobbie Gentry's the Delta Sweete Revisited"
Pias/Bella Union, 2019
CD, 15,99 EUro

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