Bekannte Songs, wie man sie noch nie gehört hat
Die israelischen Musiker Irit Dekel und Eldad Zitrin haben auf ihrem neuen Album bekannte Evergreens gecovert. Klingt langweilig - ist aber sensationell. Denn kein Song ähnelt dem Original auch nur annähernd.
Mal ehrlich, bis vor zwei Tagen dachte ich, es gäbe nichts Überflüssigeres als noch ein Coveralbum mit Songs, die ich schon seit Jahren in meiner Sammlung habe, die es in unzähligen anderen Coverversionen gibt und die ich nur ungern aber spontan vom Anfang bis zum Ende mitsingen kann. Genau so ein Album ist "Last of Songs" von Irit Dekel und Eldad Zitrin. Bis man es hört, denn fast kein Song ähnelt dem Original auch nur annähernd und während man verzweifelt versucht, die Melodie mitzusingen, wird man unweigerlich auf die Essenz des Songs gestoßen. Aus dem kleinen, flotten "Bye bye Love" wird eine Avantgarde-Oper im Breitwandformat, "Get happy" klingt hier eher wie der Soundtrack zum Fegefeuer. Da sollte es schon erlaubt sein zu fragen, nach welchen Kriterien die beiden Musiker ihre Songs aussuchten und bearbeiteten.
Irit Dekel: "Zuerst sammelte ich die Songs. Danach machten wir alles gemeinsam – alle Entscheidungen fällten wir gemeinsam, arbeiteten gemeinsam."
Eldad Zitrin: "Irit kam mit vielen Vorschlägen und von diesen Songs machten wir kleine Skizzen. Wir haben nicht nur diese Songs aufgenommen, wir haben bestimmt noch 20 mehr auf meinem Computer. Irit brachte immer zwei oder drei Songs an, dann hörten wir die Originale und danach setzte ich mich ans Piano oder nahm das Akkordeon oder die Gitarre und probierte etwas ganz anderes aus. Das machten wir, bis wir eine Skizze von diesem Song hatten, eine klare Idee, was man damit machen könnte. Dann ging es mit einem anderen Song weiter. Schließlich hatten wir mehr als 30 Songs aufgenommen. Wir hatten ein Dreifach-Album! Wir mussten uns sagen: Wir haben genug Material, jetzt müssen wir auswählen. Es war hart, auszuwählen."
Irit Dekel: "Aber wir haben es gemeistert!"
Songs aus den 20er- bis 50er-Jahren
Eigentlich stammen alle Songs aus den 20er- bis 50er-Jahren. Nur einer bricht hier aus – der Titelsong aus dem Film "The Rose". In ihm verkörperte Bette Middler Janis Joplin. Hier ist dieses Lied der Schwanengesang der Musikerin, kurz bevor sie in ihr letztes Drogendelirium fällt. Und gerade dieser Song blieb auch bei den beiden Israelis fast im originalen Zustand erhalten, wohl auch, weil er auch dort schon so fragmentarisch wirkt, das man ihn nicht weiter auf seine Essenz eindampfen kann.
Irit Dekel: "Das ist wohl auch der Grund, warum wir da gar nichts mehr dran machen wollten. Wir wollten ihm nur unsere Interpretation geben, aber ohne ihn zu verändern."
Eldad Zitrin: "Der Knackpunkt in diesem Lied ist wohl das Jazzsolo. Ich glaube nicht, dass irgend jemand so etwas in diesem Song für möglich gehalten hätte. Aber wir haben das Tempo nicht verändert, ich habe die Harmonien nicht verändert, Irit auch nicht die Melodie. Wir lieben den Song ganz einfach, wir wollen ihn nicht auseinandernehmen."
Irit Dekel: "Es ist einfach ein Tribut an Bette Middler."
Keine Ehrfurcht vor den Originalen
Man kann sich sicherlich in einem solchen Projekt der eigenen Lieblingssongs schnell verlieren. Zum Glück haben Irit Dekel und Eldad Zitrin jegliche Ehrfurcht vor den Originalen an der Studiotür abgegeben, vielleicht hat auch immer der jeweils Andere der beiden Musiker den Song so lange hinterfragt, bis eine ganz persönliche und immer wieder überraschende Version entstand. Aber gab es vielleicht auch Songs, die von vornherein tabu waren?
Eldad Zitrin: "Da gab es einige. Es waren bestimmt zwei oder drei Songs, die du mit ins Studio brachtest und zu denen ich sagte, da möchte ich nichts mit machen, das möchte ich nicht einmal probieren. Wir haben zum Beispiel über einen Song von Leonard Cohen nachgedacht. Welcher war das noch mal?"
Irit Dekel: "Ich habe jetzt gerade den Namen vergessen…"
Eldad Zitrin: "Es war einer seiner großen Songs! Wir haben es ganz kurz versucht, uns diesen Song zu eigen zu machen und dann habe ich gleich gesagt, wir lassen es lieber. Wir können nicht Leonard Cohen ruinieren!"
Doch wie oder womit hätten sie ihn denn ruinieren sollen? Mit arabischen, orientalischen Streichern, elektronischen Beats oder Jazzsoli? Mit dem Akkordeon und den zwischen Jerusalem und Tibet eingesammelten Perkussionsinstrumenten? Und überhaupt – wie heißt dieser scheinbare musikalische Großhändler, der alles im Angebot hat?
Eldad Zitrin: "Heute muss man alles kategorisieren. Die Leute brauchen ein Wort, einen Begriff. Und wenn sie dann unser Album hören, dann gibt es da Weltmusik, Jazz, östliche Musik. Was ist das? Ist das Fusion? Ich nenne es lieber Crossover. Der Begriff beinhaltet viele andere, er ist viel weiter gefasst."