Geringes Infektionsrisiko beim Spaziergang
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In der Pandemie ist Spazierengehen in. Aber laufen wir nicht Gefahr, uns beim Spaziergang mit anderen mit Corona anzustecken? Eher nicht, solange wir uns nicht gegenüberstehen und redend stehenbleiben, sagt Aerosol-Experte Gerhard Scheuch.
Liane von Billerbeck: Auch wenn das Eiswetter in den nächsten Tagen vielleicht nicht jeden nach draußen lockt – es wird ja doch ganz schön kalt, bis minus 15 Grad hat man da angesagt –, spazieren zu gehen, das ist sozusagen ein Trendsport in diesen Zeiten. Seit man sich nicht mehr im Café treffen kann, spaziert man um Tümpel, Teiche und Seen und Parks. Meist nicht allein, sondern mit anderen Wanderern, die so irgendwie ihre Kontakte pflegen. Und dabei wird gelacht, gerufen, herzhaft erzählt.
Es stellt sich da vielleicht auch für manchen die Frage, ist das ungefährlich oder kann ich mich auch draußen mit Corona anstecken? Es fliegen doch schließlich überall Aerosole rum.
Darüber wollen wir jetzt mit Gerhard Scheuch reden, er ist Aerosol-Experte, studierter Physiker, war bis 2011 Präsident der International Society of Aerosols in Medicine und ist auch der europäische Aerosol-Experte bei der EMEA, der European Medicines Agency, und er berät pharmazeutische Unternehmen.
Worauf muss ich denn beim Spaziergang achten, damit es ein sicherer Kontakt bleibt, gerade auch in Betracht auf die noch viel ansteckenderen Mutanten der Krankheit, die ja jetzt im Schwange sind?
Scheuch: Beim Spazierengehen müssen Sie gar nicht so sehr auf irgendwas achten. Sie sollten sich nicht sehr lange gegenüber unterhalten, also sich zu zweit oder zu dritt in einem engen Bereich aufhalten und lange miteinander reden. Dann pusten Sie sich die Aerosol-Wolke direkt ins Gesicht und dann ist es natürlich auch im Freien, ich würde nicht sagen gefährlich, aber dann ist die Gefahr etwas größer. Die eigentliche Gefahr ist aber im Außenbereich, auch beim Spaziergang, sehr, sehr gering.
Billerbeck: Das heißt, in Bewegung bleiben ist die Devise. Das ist ja vielleicht bei den Temperaturen auch gar nicht so schlecht.
Scheuch: Das ist bei den Temperaturen mit Sicherheit nicht so schlecht. Bei mir sind es gar nicht acht Grad minus vor dem Fenster, die Bewegung ist da schon notwendig, glaube ich, da bleibt man nicht sehr lange auf einem Fleck stehen.
Aerosol-Verteilung in Innenräumen gefährlicher
Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch mal ein bisschen genauer, Sie sind ja der Aerosol-Experte, was genau passiert, wenn man selbst mit einem geringen Abstand draußen stehen bleibt und miteinander spricht oder lacht oder singt?
Scheuch: Das ist eben genau diese Aerosol-Wolke, die sich ausbildet, wenn man spricht. Alleine beim Atmen entsteht eine kleine Aerosol-Wolke vor dem Mund und die pustet man dem Gegenüber dann ins Gesicht. Ich nehme immer gerne das Beispiel eines Rauchers, wenn Sie mit einem Zigarettenraucher zusammenstehen, und der pustet Ihnen ständig den Rauch ins Gesicht, dann sind Sie als Passivraucher auch belastet.
Das ist natürlich im Außenbereich sehr, sehr viel weniger gefährlich als in Innenräumen. Deswegen bin ich ein großer Freund davon zu sagen, die Leute müssen aus den Räumen raus, sie müssen ins Freie. Das hat uns im Sommer geholfen, der Pandemie Herr zu werden.
Jetzt im Winter halten wir uns halt eben durch die Temperaturen, durch das schlechte Wetter sehr viel häufiger in Innenräumen auf und das fördert die Ansteckung. Die Aerosol-Wolke kann sich in einem Innenraum natürlich um ein Vielfaches besser ausbilden als draußen, wo Luftbewegung herrscht.
Gerade wenn es jetzt so kalt ist draußen, da sieht man das sehr schön, wenn man ausatmet, wie der Atem nach oben steigt, das ist dieses Aerosol. Ein Aerosol ist ja ein Gemisch aus Luft mit Partikeln, das zum Beispiel eben beim Sprechen, beim Atmen, beim Singen, beim Husten entsteht.
Virenkonzentration draußen zu gering für Ansteckung
Billerbeck: Das heißt also, draußen ist wirklich viel gesünder als drinnen. Und ich finde es schon erstaunlich, dass selbst bei diesen kalten Temperaturen und auch gestern, als so ein schneidender Wind war, man tatsächlich eine Menge Leute trotzdem noch draußen gesehen hat, sogar Jogger, die auf dem Sportplatz unterwegs waren.
Nun stellen wir uns das mal vor, man geht irgendwo spazieren, und so ein Jogger überholt einen, pustet heftig ein und aus. Dabei kommt ja auch seine Atemluft uns unweigerlich entgegen. Wir stehen dann sozusagen in seiner Atemwolke. Bin ich dann nicht auch unmittelbar gefährdet?
Scheuch: Ich würde dazu klar Nein sagen, weil die Aerosol-Konzentration reicht nicht aus, die Virenkonzentration, die Sie bei so einer kurzen Begegnung abbekommen, reicht nicht aus, um Sie zu infizieren.
Man hat letztes Jahr mal berechnet, dass man etwa fünf bis 15 Minuten zusammen sein muss, damit man sich ansteckt. Und solange werden Sie einem Jogger nicht begegnen, es sei denn, Sie rennen direkt in einem halben Meter Abstand hinter ihm her, selbst das gelingt Ihnen nicht, von daher ist Joggen, Laufen, Wandern, Spazierengehen, das halte ich für absolut ungefährlich.
Und man hat das schon Anfang letzten Jahres in einer chinesischen Studie festgestellt, da hat man 7000 Infektionen nachverfolgt und hat bei diesen über 7000 Infektionen festgestellt, dass nur eine einzige im Freien stattgefunden hat. Also, daran sieht man, wie gefährlich es eigentlich in Innenräumen ist, wo wir uns ja jetzt sehr viel aufhalten, und wie ungefährlich es im Freien ist.
Billerbeck: Dann haben Sie eine Zeitbeschränkung gesagt, aber können Sie auch sagen, wie viele Viren es eigentlich braucht, damit man sich ansteckt?
Scheuch: Das wüssten wir gerne genauer, das wird natürlich auch von Person zu Person unterschiedlich sein, je nachdem, ob sie ein starkes oder schwaches Immunsystem hat, da ändert sich das natürlich. Wir rechnen im Augenblick damit, das wird so in unseren Kalkulationen gemacht, dass man etwa 400 bis 1000 Viren einatmen muss, damit man sich infizieren kann.
Aerosole sorgen für indirekte Ansteckungen
Billerbeck: Und wann sind 400 bis 1000 Viren da?
Scheuch: Das ist eben das Verrückte bei diesen Aerosolen. Das hängt davon ab, wie stark ein Infizierter diese Virenwolke zum Beispiel in einem Innenraum erzeugt. Stellen Sie sich vor, ich sitze acht Stunden in einem Büro und arbeite und ich puste meine Viren in den Raum und lüfte nicht. Dann verlasse ich das Büro, abends kommt die Putzkolonne, kein Mensch ist in dem Büro, man ist niemandem begegnet, man hat keine Maske auf.
Die Putzkraft putzt das Büro und infiziert sich, obwohl sie überhaupt niemandem begegnet ist. Deswegen werden wir dieser Pandemie nur alleine über Kontaktbeschränkungen nicht Herr, weil diese Aerosole einen ganz anderen Ansteckungsweg verfolgen. Das muss gar nicht ein direkter Kontakt sein, das kann auch durchaus ein indirekter Kontakt sein.
Oder stellen Sie sich vor, Sie kommen in einen Besprechungsraum, in dem eine Stunde vorher eine Besprechung stattgefunden hat, die nicht belüftet worden ist. Dann sagen wir alle, die Luft, die da in dem Raum war, die war aber verbraucht. Nein, die war nicht verbraucht, dort sind jede Menge Aerosole reingepustet worden und die sind immer noch in diesem Raum.
Diese kleinen Aerosol-Teilchen, die wir ausatmen, halten sich in Innenräumen sehr, sehr lange, über Stunden. Das macht ihre Ansteckung so gefährlich, wie die Amerikaner sagen, diese aerogene Übertragung so gefährlich.
"Das Infektionsrisiko ist ein Innenraumproblem"
Billerbeck: Bleiben wir noch mal beim Herumlaufen im Freien. Das heißt, Sie geben uns da im Prinzip Entwarnung, wenn wir uns immer schön in Bewegung draußen treffen, miteinander spazieren gehen und nicht eine Glocke bilden, in der wir stehen bleiben und wichtige Geschichten im Stehen verhandeln.
Scheuch: Absolut! Da bin ich nicht alleine, die Gesellschaft der Aerosolforschung hatte im November ein Positionspapier herausgebracht, wo ganz deutlich drin beschrieben worden ist, das Infektionsrisiko ist ein Innenraumproblem. Wir stecken uns innen an, außen ist die Ansteckung um ein Vielfaches geringer als innen.
Deswegen kann ich nur jedem empfehlen, bei jedem Wetter so oft wie möglich sich im Freien aufzuhalten. Das ist einfach gesund, damit stärken wir nicht nur das Immunsystem, sondern wir verhindern auch das Einatmen von Viren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.