Crossover in der Musik

Seid experimentierfreudiger!

Der amerikanische Musiker und Komponist Frank Zappa während der Generalprobe des Werks "The Yellow Shark" am 16. September 1992 in der Alten Oper in Frankfurt /Main.
Crossover ist das Verbinden verschiedener Musik-Elemente. In den 70er-Jahren kreierte Frank Zappa bis dato Ungehörtes. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Klaus-J. Rathjens · 04.12.2015
Crossover zu musizieren ist ein alter Bestandteil jeder Musiksparte - Frank Zappa machte es vor. Heute trauen sich nur noch wenige an solche Grenzüberschreitungen heran, kritisiert der Musiker Klaus-J. Rathjens. Sein Appell: Mehr Experimente wagen!
Es geschah in den 70er-Jahren. Ambitionierte Musiker schauten über ihren Tellerrand und suchten Begegnungen mit anderen Genres. Jazz mischte sich mit Rock, Rock traf Klassik und Elektronische Musik nahm Weltmusik-Einflüsse auf. Musiker wie Don Ellis, Joe Zawinul, Keith Emerson und Frank Zappa kreierten bis dato Ungehörtes.
Und Don Ellis zeigte exemplarisch, welche Kompetenz dieses Vorhaben voraussetzt: Er studierte klassische Komposition und Jazz-Trompete, leitete Big Bands, profilierte sich als Arrangeur und schrieb eine Sinfonie.
Crossover überforderte Kritiker und Zuhörer
Doch diese Entdeckungsreisen verstießen unter klassischen Puristen, Musikjournalisten und Sendeanstalten gegen die reinen Lehren ihrer Musik-Dogmen oder sie passten einfach in keine Schubladen. Außerdem überforderten sie viele der Zuhörer.
Dabei ist das Crossover uralter Bestandteil jedes Musik-Genres, allen voran der Klassik. Man findet es bei Bach, der sich französischer oder italienischer Stilistiken und diverser Tanzcharaktere bediente. Mozart ließ den Operneinflüssen in seinen sakralen Messen freien Lauf. Bartok verwendete die von ihm gesammelte Volksmusik. Und was wäre der Pop ohne die amerikanische und irische Volksmusik? Der Jazz ohne den Blues und die Harmonik eines Debussys?
Gerade heutzutage könnte Crossover vieles neu entdeckt werden, könnte die Klassik sich um ein neues, ein jüngeres Publikum bemühen. Vom ihm würde allerdings die Bereitschaft des unbedingten Zuhörens verlangt werden. Und das fällt schwer in Zeiten der durchgestylten Bühnenshows und Tanzchoreographien, in Zeiten, in denen die Optik dominiert.
Grenzüberschreitungen werden nur kalkuliert gewagt
Daher werden Grenzüberschreitungen nur unter kalkulierbarem Risiko gewagt, beispielsweise in der Filmmusik, auch wenn sie als dienende Gebrauchsmusik denkbar ungeeignet dafür ist. Dazu zählen auch Orchester, die sich bekannten Popbands als Background-Klangkörper andienen, oder die zahlreichen Imitationen der Londoner "Proms".
Aber ist das alles noch Crossover? Im ernsthaften Sinn sicher nicht, denn man kann dabei weder von einem gleichberechtigten Miteinander-Musizieren noch von einer gemeinsamen Suche nach neuen Ausdrucksformen sprechen. Crossover hat sich daher zu einem überstrapazierten und zugleich missverstandenen Begriff entwickelt.iri
Und wie ging es damals weiter - in den 70ern? Die Steilvorlage der Popularmusiker wurde von der ernsthaften Seite nicht aufgenommen und ein Großteil des Publikums wollte nicht Musik goutieren, für deren Hören musikalische Bildung benötigt wurde. Daher war es fast logisch, dass diese ambitionierte Epoche von der primitivst-möglichen aller Genres abgelöst wurde: dem Punk.
Experimentierlust müsste Schubladendenken überwinden
Die Hochzeit des Crossovers endete, aber wirkte trotzdem noch lange nach, so im Musikunterricht, in dem Rock-Adaptionen klassischer Werke die Schüler an die Klassik heranführen sollten, und natürlich in den Vorlieben vieler ambitionierter Musiker. Mit ihnen hat Crossover hat in bestimmten Nischen des Musiklebens überlebt, wo es darauf wartet, reaktiviert zu werden.
Das gelingt nur mit künstlerischem Willen und medialer Unterstützung. In den Programmen der ARD, ja selbst auf Deutschlandradio Kultur sucht man ambitionierte Popularmusik nahezu vergeblich.
Daher richtet sich der Appell für mehr Fantasie, Experimentierlust und weniger Schubladen-Denken nicht nur an die Zuhörer, sondern vor allem an die Programmgestalter, Plattenfirmen, Musikagenturen - und letztlich natürlich an die Musiker! Versucht es noch einmal mit einem echten, einem anspruchsvollen Crossover!
Klaus-J. Rathjens studierte Kirchenmusik an der Hamburger Musikhochschule und war Leiter der Schauspielmusik am Schleswig-Holsteinischen Landestheater. Es folgten Engagements als Korrepetitor und Kapellmeister an Opernhäusern, Theatern, auf Tourneen und Festivals (Rossini-Festspiele, Ludwigsburger Schlossfestspiele). Parallel dazu arbeitet er als Arrangeur und Komponist, schrieb Bühnenmusiken, u.a. zur deutschsprachigen Bühnenfassung des Disney-Films "Das Dschungelbuch", sowie weihnachtliche Klarinettentrios. Interessiert am "Crossover" arrangierte er für sein Pop-Rock-Trio und das Hamburger Sinfonieorchester den Genre-Klassiker "Pictures at an Exhibition".
Klaus Joachim Rathjens, Kirchenmusiker
Klaus Joachim Rathjens, Kirchenmusiker© picture alliance / dpa / Foto: Achim Harbeck
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