Crowdfunding

"Vier bis fünf Texte pro Tag, ausgeruht und gründlich recherchiert"

Hoffen auf die anonyme Masse: Crowdfunding tritt direkt an die Konsumenten heran.
Das Online-Magazin "Krautreporter" und Stefan Niggemeier suchen Unterstützer für unabhängigen Journalismus im Netz. © Screenshot
Stefan Niggemeier im Gespräch mit Dieter Kassel |
Die Zeit ist reif: Mit einer Crowdfunding-Kampagne will eine Gruppe von Journalisten ein Online-Magazin auf die Beine stellen, das sauberen Journalismus bietet und gleichzeitig werbefrei ist. Im Interview erklärt Mitinitiator Stefan Niggemeier, warum das erfolgreich sein kann - gerade jetzt.
Dieter Kassel: Ab heute sucht das Onlinemagazin "Krautreporter" Unterstützer beziehungsweise Mitglieder. Wenn sich innerhalb eines Monats 15.000 Leute dazu entschließen, 60 Euro zu bezahlen, dann soll es auf diese Weise – dann zunächst für ein Jahr finanziert – eine Plattform für unabhängigen Journalismus ohne Werbung und Sponsoring geben. Themen sollen recherchiert, Texte geschrieben werden von unter anderem 25 professionellen Journalisten, die dafür auch bezahlt werden. Einer davon ist Stefan Niggemeier, der früher für die "Zeit" und den "Spiegel" gearbeitet hat und jetzt unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und das "SZ-Magazin" schreibt, was ich so ausführlich erwähne, weil für ihn wie für alle seine Kollegen gilt: Die machen das nicht, weil sie kein anderer mehr haben will! Schönen guten Tag, Herr Niggemeier!
Stefan Niggemeier: Hallo, Herr Kassel!
Kassel: Warum machen Sie es dann, warum machen Sie mit?
Niggemeier: Um zu versuchen, ob es nicht möglich ist, einen Onlinejournalismus zu machen mit Texten, die wirklich für Online, für dieses Medium gemacht sind, mit all den Möglichkeiten, die das bietet, und die so dieser üblichen Logik entkommen, die zurzeit im Onlinejournalismus herrscht. Es ist so, dass das ja fast alles durch Werbung finanziert ist, und weil Werbung so schlecht bezahlt wird in Deutschland, in Onlinemedien, müssen die Medien halt extrem optimieren und alles darauf setzen, dass jeder Text so oft wie möglich geklickt wird, dass so viele Texte wie möglich veröffentlicht werden, es ist die ganze Zeit ein großes Buhlen um Aufmerksamkeit, um Klicks. Und was dabei oft zu kurz kommt, ist eigentlich die Möglichkeit, gelassen und ruhig zu recherchieren und eigene Geschichten zu schreiben, die guter Journalismus sind.
Kassel: Wenn ich nun 60 Euro bezahle, also im Prinzip fünf Euro im Monat, was kriege ich dafür in Zukunft, wenn es denn zustande kommt, das Projekt?
"Meinungsplattformen gibt es reichlich im Netz"
Niggemeier: Sie bekommen ungefähr vier bis fünf Texte pro Tag, die ausgeruht, gründlich recherchiert sind. Die Idee ist nicht so sehr, jetzt eine Meinungsplattform zu machen, wir haben das Gefühl, davon gibt es eigentlich reichlich im Netz, Leute, die irgendwie Meinung produzieren, sondern was wir machen wollen, ist recherchieren, wir wollen als Reporter in die Welt ziehen und wir wollen Dinge erklären. Ja, und das tun wir dann, das tun wir ohne Werbung und das ist das ganze Versprechen.
Kassel: Aber wenn ich, wenn alles klappt und das Projekt so an den Start geht, die Adresse krautreporter.de eingebe, dann werde ich doch auch als Nichtmitglied in Zukunft Texte lesen können, oder nicht?
Niggemeier: Genau. Der Gedanke ist der, dass wir glauben, dass es sich im Netz eigentlich wirklich anbietet, Inhalte nicht zu verstecken hinter irgendwelchen Bezahlschranken und Pay Walls, sondern die Texte werden für jeden zu lesen sein. Wenn ich Mitglied werde, also im Moment heißt das einfach, dass ich das Projekt überhaupt erst mal ermögliche, weil es sonst das nicht gibt, und in Zukunft wird es so sein, dass ich zusätzliche Möglichkeiten habe. Zum Beispiel kann ich kommentieren. Also, es gibt eine Community, wo ich dann Mitglied bin, wo ich mit den Autoren auch in engen Austausch treten kann, das kann ich nur, wenn ich wirklich Mitglied bin und dafür bezahle. Und wir arbeiten auch daran, dass es darüber hinaus noch Bonusangebote gibt, dass es Konferenzen, Veranstaltungen mit den Autoren gibt, dass man vielleicht auch Rechercheergebnisse früher schon kriegt oder komplette E-Books. Da wird es ein großes Paket geben, aber tatsächlich ist die Seite an sich, die Texte, frei für jeden dann.
Kassel: Aber könnte das nicht schon ein Hinderungsgrund für einige sein, dass sich der deutsche Schnäppchenjäger sagt, warum soll ich für was bezahlen, was die anderen umsonst kriegen?
Niggemeier: Das kann sein! Ehrlich gesagt, wir wissen das so genau auch nicht, weil, das ist ja alles ein großer Versuch und wir betreten Neuland. Ich fänd es halt toll, wenn es anders wäre, und ich glaube, wir sind da an einem ganz günstigen Zeitpunkt, weil irgendwie womöglich auch bei anderen Leuten das Gefühl entsteht, wenn mir Sachen was wert sind, dann hilft es, wenn ich meine Wertschätzung auch dadurch zeige, dass ich dafür zahle. Wenn ich die Dinge umsonst nur haben will, dann führt das eben dazu, dass die überladen sind mit Werbung, dass die irgendwelchen anderen Interessen genügen als jetzt meinen als Leser. Wenn ich wirklich will, dass da guter Journalismus passiert, der nur dafür da ist, mich als Leser schlauer zu machen, dann hilft das einfach, dafür Geld zu geben. Also, wir wissen das nicht, aber ich bin da eigentlich ganz optimistisch, dass das ein Zeitpunkt ist, wo ein Mentalitätswandel auch eintritt.
Kassel: Ich bin gerade auf der Seite krautreporter.de, die, bevor jemandem das auffällt, es vorher auch schon gab, da hat sie andere Crowdfundingprojekte, journalistische, gemacht, die es auch wieder geben wird. Im Moment geht es auf dieser Seite halt darum, die 15.000 Mitglieder zu finden. Sie sind jetzt im Moment, letzte Aktualisierung der Seite, bei 1.083. Wenn man jetzt davon ausgeht, das geht jeden Tag so weiter, ist das Ziel mit Sicherheit zu erreichen, da muss man jetzt kein Mathematikstudent für sein. Aber was passiert eigentlich, wenn am 13. Juni – da ist Schluss – es nicht 15.000, sondern 14.000 sind?
"Hopp oder topp"
Niggemeier: Dann wird es das nicht geben. Also, es ist tatsächlich hopp oder topp. Wenn wir es schaffen, dann machen wir das, und wenn wir darunter bleiben, gibt es das nicht. Das ist auch die ganze Logik des Crowdfundings. Ich hoffe, das ist ein Ansporn auch für Leute zu sagen, nee, ich möchte das ermöglichen. Aber tatsächlich, wenn wir das nicht erreichen, wird es das nicht geben.
Kassel: Nun ist das ganze Crowdfunding, deshalb heißt das Ganze auch "Krautreporter", das heißt nicht deshalb so, weil es deutsche Reporter sind, sondern eben wegen Crowd... Auf der anderen Seite frage ich mich: Ich zahle 60 Euro für ein Jahr, diesen, ich sage mal, privilegierten Zugang, nenne ich es mal. Sie schreiben auch selber, also nicht Sie, sondern Ihre Kollegen zusammen auf der Seite, das ist fünf Euro im Monat für unser Angebot. Ich finde, so riesig ist aber doch der Unterschied zu einem Abo auch wieder nicht, oder?
Niggemeier: Na ja, es ist ein Abo. Also, in dem Sinne suchen wir natürlich Abonnenten, die sich dann auch für ein Jahr im Grunde committen und uns unterstützen.
Kassel: Aber haben Sie nicht zusammen wie viele andere Netzaktivisten zwischendurch immer mal festgestellt, Abos im Internet funktionieren nicht?
Niggemeier: Na ja, der Unterschied ist ja nun tatsächlich der, dass ich mir auch so einzelne Artikel durchlesen kann. Also, es ist ja jetzt nicht die Frage zu sagen, ich kaufe da im Grunde, ich muss da unterschreiben für ein Jahr, und wenn ich das nicht mache, bekomme ich gar nichts. Ich glaube, genau diese Logik wird ja dadurch aufgebrochen, dass wir sagen, die Inhalte sind auch sonst frei im Netz. Und wenn jemand da einfach ... Wenn wir einen Text haben, der hoffentlich auch viel Aufmerksamkeit erregt, weil er irgendwie interessant ist und weil viele Leute darauf verlinken, dann können die Leute das auch, dann können die ihn teilen mit ihren Freunden. Und da muss jetzt nicht jeder erst Abonnent werden, um den zu lesen. Ich glaube, mit der Logik funktioniert das da auch, die Vorbehalte dann zu überwinden.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Stefan Niggemeier. Der Journalist wird, wenn es das Projekt am Ende gibt, wenn das Crowdfunding funktioniert, einer der professionellen Mitarbeiter von "Krautreporter" werden, einem journalistischen Angebot im Internet, das ohne Werbung, Sponsoring und damit auch den Zwang, möglichst viele Klickzahlen bei jedem Artikel zu erreichen, auskommen will. Und da gibt es natürlich, Herr Niggemeier, die andere Seite: Sie sagen zu Recht, wir wollen für journalistische Arbeit auch Geld zahlen, geplant ist eine Art Monatspauschale, die so zwischen 2.000 und 2.500 Euro liegen soll, davon wird dann von den jeweiligen Mitarbeitern erwartet, vier Texte in der Woche bereitzustellen und idealerweise vielleicht dann auch noch redaktionell mitzuarbeiten. Sie haben selber schon gesagt, es sollen halt keine reinen Schreibtischtäter mehr sein, die nur im Internet recherchieren, die Leute sollen rausgehen, es soll richtige Recherchen geben, da hat man manchmal auch als Journalist das Problem, dass die Recherche am Ende nicht zu einem Text führt. Funktioniert das, ich meine rein rechnerisch, Kopfrechnen, 600, 650 Euro pro Text? Ich meine, manch ein Blogger wird sagen, das ist super, aber die Edelfeder von einer großen Zeitung wird sagen: Nö!
"Wir verteilen das Geld sinnvoll"
Niggemeier: Also, ich glaube, dass wir da vielleicht gerade so auf der Grenze liegen. Ich glaube, dass das eine okaye Bezahlung ist. Das ist ja auch der Gedanke, zu sagen, also, wir wollen, dass unsere Leser uns bezahlen, aber natürlich sollen dann die Journalisten auch ordentlich bezahlt werden und sich, genau wie Sie es sagen, diese Recherchen auch leisten können. Tatsächlich bin ich dann auch Ihrer Meinung, das klingt nach so einer großen Zahl, die wir da einsammeln, wenn man das runterbricht, ist die gar nicht so gigantisch. Aber ich glaube schon, dass die dann noch ausreicht. Und das ist nun wirklich auch unsere Idee. Also, alle Beteiligten sind Journalisten. Sich das dann zu überlegen, für welche Recherche gibt es dann welchen Etat und ermöglicht man irgendetwas, das wird am Ende bestimmt kein starres System sein, bei dem jeder so am Fließband seine bestimmte Textzahl pro Monat abliefern muss und eine bestimmte Summe kriegt. Ich glaube, das ist auch gerade auch eine Chance, dass wir einfach als Journalisten, ohne dann auch jetzt einen großen Apparat dahinter, sagen: Wir verteilen das Geld dann so, dass es möglichst sinnvoll ist für guten Journalismus. Das ist ja die ganze Idee.
Kassel: Sie sagen selber in einem Video, das man auf der Seite auch sieht, das wirbt für diese neue journalistische Plattform: Wir wollen von niemandem abhängig sein außer von unseren Lesern. Ich habe Sie da auch schon dreist zitiert vorhin. Das klingt positiver, als es vielleicht für mich bei längerem Nachdenken ist. Denn eines der Privilegien der Mitglieder soll ja auch sein, dass sie kommentieren dürfen. Man kennt das eigentlich als Problem aus jeder Redaktion: Der Chef sagt einem, das können wir nicht bringen, die Geschichte interessiert unsere Leser nicht! Bei Ihnen wird das noch direkter spürbar sein. Ich will ein Beispiel nennen, Ukraine-Berichterstattung, Sie haben in den Kommentarspalten lauter Putin-Versteher, die sagen, wir wollen keine pro-europäische Berichterstattung in der Ukraine, Was tun Sie dann in Zukunft?
Raus aus der Quotenrechnung
Niggemeier: Na, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Ich glaube, es ist noch mal eine andere Rechnung. Also, das, was der Chefredakteur sagt – das interessiert keinen –, ist ja genau diese im Grunde Quotenrechnung, aus der wir raus wollen. Also, zu sagen, man versucht eigentlich, nur Artikel zu verfassen, die möglichst alle interessieren, das ist ja nicht die Logik, der wir folgen. Sondern wenn wir sagen, wir machen das für unsere Leser, heißt das nicht, dass wir vorher irgendwie eine Abstimmung machen, und wenn dann irgendwie 70 Prozent dafür sind, dann passiert das. Natürlich sind wir da als Journalisten insofern auch unabhängig, dass wir dafür stehen zu sagen, wir haben da auch unsere journalistischen Urteile, die wir fällen, Kriterien von, wie relevant ist was, wie interessant ist was. Aber am Ende sind wir natürlich abhängig davon, dass Leute auch auf Dauer regelmäßig sagen: Das, was die machen, ist so gut, da zahle ich jeden Monat wieder meine fünf Euro. Aber der Test ist natürlich auch fair, weil, wir machen das ja jetzt nicht für uns selbst, das ist ja nicht ein Selbstzweck für Journalisten, sondern tatsächlich, um Leute klüger zu machen.
Kassel: Während wir uns unterhalten haben, haben zwei weitere im Internet ihre 60 Euro bezahlt. Wer das tun will – ich meine, wir sind genauso werbefrei, wie Sie es sein wollen, aber ich erwähne es jetzt trotzdem mal –, wer das tun will oder auch noch mehr Hintergründe will: einfach krautreporter.de, Kraut wie das Sauerkraut und als ein Wort, krautreporter.de im Internet, da erfährt man alles Weitere und kann, wenn man will, auch einer der 15.000 werden. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kollegen, Herr Niggemeier, mal ganz kollegial, dass es mindestens 15.000 werden, und danke fürs Gespräch!
Niggemeier: Vielen Dank! Sehr gerne, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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