Wie Unternehmen ihre Entwicklungsabteilungen outsourcen
Selbst Fahrzeugbauer wie Local Motors kommen heute schon ohne eigene Entwicklungsabteilung aus - das Know-How kommt aus der Internet-Crowd. Die Gewerkschaften müssen sich auf die neuen Arbeitsformen im Netz erst einstellen.
"Wer bist du?"
"Ich bin ein intelligenter selbstfahrender Schuttle namens Olli."
"Schuttle (lachen) ... das wurde extra für die Presse gemacht …"
Sie sind beide recht freundliche Kumpane: Olli, der selbstfahrende Bus und Christoph Menzel, der Mechatronikingenieur. Olli sieht aus wie eine überdimensionierte Brotdose auf Rädern, Christoph Menzel sieht aus, wie Start-up-Entwickler eben so aussehen: Mehr jungenhafter Hipster als Bürohengst, mehr Jeans und T-Shirt als Weißkittel oder Anzug.
Und dann haben wir noch Damien Declercq, den Chef: Local Motors heißt die Firma, die er führt und in der Christoph Menzel arbeitet und Olli, den selbstfahrenden Bus, entwickelt hat. Declercq stellt Local Motors vor als Unternehmen, das Fahrzeuge entwirft, baut und verkauft.
"Local Motors is a company that desings, builts und sells vehicles."
Obwohl hier autonom fahrende Elektromobilität am Start ist, also was ganz Modernes, hat Local Motors keine Entwicklungsabteilung, jedenfalls keine klassische: Crowdworking ist das Schlagwort – Arbeiten im Schwarm. Ingenieure und IT Fachleute als Fahrzeugentwickler, sie sitzen nicht in der Zentrale von Local Motors in den USA oder in der deutschen Fertigung in Berlin Treptow, diese Entwickler leben in der ganzen Welt.
Die "Community" - das sind 48.000 Menschen
Damien Declercq erklärt, wie Local Motors funktioniert:
"Wir nutzen eine große Gruppe von Talenten, das nennen wir unsere Community, das sind derzeit etwa 48.000 Menschen, die auf der ganzen Welt verteilt sind in über 130 Ländern und wir bringen die Fahrzeuge dann vor Ort auf den Markt in kleinen Produktionseinheiten, die wir Microfabriken nennen. Und diese Kombination aus diesen beiden Elementen macht uns sehr speziell verglichen mit anderen Produktionsprozessen."
Am Anfang steht das große Ganze: Wir bauen einen Bus! Danach zerteilt Local Motors dieses Projekt in viele kleine Einzelaufgaben, die ein Schwarm von Entwicklern löst, Aufgabe für Aufgabe. Alles wird zerlegt in einzelne Entwicklungschritte. Das Schöne, so Menzel: Auch die Verantwortung des Einzelnen nimmt ab, wird von der Gruppe getragen. Geteilt wird aber später auch das Geld, wenn Olli in Serie geht:
"Das Vorgehen ist, dass wir die Fähigkeiten des Fahrzeugs schrittweise immer weiter erhöhen, wir bauen das Fahrzeug aus technisch, wir implementieren neue Software, kriegen neue Fähigkeiten im Fahrzeug und dadurch nimmt die Verantwortlichkeit dann auch stückweise ab."
Apropos Verantwortlichkeit: Olli kann ohne Fahrer fahren und er findet auch seinen Weg. Was Olli aber noch nicht kann, ist: Entscheiden!
"Diese ganz abwägenden theoretischen Fragen – also ist es jetzt wichtiger die Oma im Wagen zu retten oder das Kind außerhalb, bis man das erkennt, das wird noch eine ganze Weile dauern. Wir haben noch keine Antwort."
Autonome Fahrzeuge müssen immer noch viel lernen, um vor allem in Gefahrensituationen abzuwägen und zu entscheiden. Auch dieser Lernprozess wird in der Crowd erledigt, in der Gemeinschaft eines Online-Schwarms.
Es hallt im Konferenzraum
Ortswechsel in Berlin von Treptow nach Kreuzberg. Wir besuchen Crowdguru, eine GmbH, und geschwärmt wir hier zunächst einmal von der "Location".
"Ja, so kann man arbeiten! Direkt an der Schleuse vor dem Osthafen. Ein Backsteinbau, schön renoviert, fünf Stockwerke hoch, nordische Industriearchitektur … nett zum Arbeiten!"
Ein Treffen mit Hans Speidel, dem Geschäftsführer.
"Hallo Herr Weinert."
Es ist deswegen so hallig im Konferenzraum von Crowdguru, weil Hans Speidels Team – es wird vor 12 Bildschirmen gearbeitet – fast 400 qm Platz hat und viel Luft nach oben: ehemalige Industriehallen eben.
Auch Hans Speidel ist so ein Start-up-Typ, obwohl Crowdguru bald zehn wird. Irgendwie hält diese Branche jung und fit: Speidel sieht gut aus und wirkt zehn Jahre jünger als er ist. Seine Firma hält den Schwarm zusammen, der derzeit selbstfahrende Autos quasi mit Hirn füttert.
"Das Auto muss ein Umfeld auf irgend eine Art und Weise erkennen. Muss verstehen, wenn es sich durch die Straßen bewegt, dass da ein Fußgängerübergang ist, dass da eine Ampel ist, ein Straßenschild, dass da ein Fahrradfahrer ist etc. Und diese Informationen müssen der Maschine im Prinzip vermittelt werden …"
… was nun die Aufgabe ist für den Schwarm im Netz von Crowdguru. Menschen, die ihren Horizont – und den des Autos – erweitern wollen, finden sich also im Netz zusammen.
"… und damit diese Maschine diese Vielzahl von Objekten und Informationen überhaupt verarbeiten kann, braucht es natürlich entsprechenden Input."
Dieser Input wird zunächst so kalkuliert, dass der Preis, den der Auftraggeber zahlen muss, runtergebrochen wird auf den einzelnen Guru, wie Speidel seine Mitarbeiter im Netz nennt. Für die Firma muss ein Gewinn übrig bleiben, für den Guru der Mindestlohn als unterste Grenze. Ist die Aufgabe komplexer, gibt es mehr Geld, aber wie so oft, wird darüber nicht geredet.
Krankheit, Rente, Pflege: Alles nicht geklärt
Fragt man Hans Speidel nach den sozialen Sicherungssystemen - Krankheit, Rente, Pflege - dann wird er nachdenklich. Auch er weiß, dass der Sozialstaat an dieser Stelle leer ausgeht. Eine Art Künstlersozialkasse müsste geschaffen werden, in der sich Crowdworker absichern können und in die Unternehmen eben auch anteilig einzahlen, sagt er.
Das würde dann so funktioneren wie derzeit bei freien Journalisten, Autoren oder frei schaffenden Künstlern. Und dann lacht er auf die Frage, welche Gewerkschaft überhaupt zuständig ist für seine Branche? Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi?
"Ja, das ist tatsächlich eine gute Frage, das habe ich auch noch nicht so ganz verstanden. Also eigentlich vom Thema passt es besser zu Verdi. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die IG Metall da etwas aktiver unterwegs ist, die haben dieses Thema für sich ein bisschen früher entdeckt und beschäftigen sich sehr damit – mit dem Thema Zukunft Arbeit – und in dieser Hinsicht sind wir jetzt eher im Austausch mit der IG Metall als mit Verdi."
"Wir haben unsere Satzung geändert als IG Metall …"
… sagt Christiane Benner, die zweite Vorsitzende. Auch Soloselbstständige können jetzt Mitglied werden in der Gewerkschaft.
"Und das ist angelaufen wegen dieser Zunahme der Beschäftigungsform des Crowdworking."
Sie spricht deswegen auch vom Crowdsourcing, wenn es darum geht, dass Arbeitgeber im Netz sich aus dem Schwarm die Besten rausfischen - und im schlimmsten Fall auch nur die bezahlen. Es sind Tariffragen, Arbeitsrechtsfragen und eben die bereits angesprochenen Probleme mit der Sozialversicherung, die die IG Metall auf Unternehmen wie Crowdguru zugehen lässt:
"Wir sehen Crowdworking als eine sehr radikale Form der Digitalisierung der Arbeit. Beim externen Crowdsourcing ist es so, dass das Beschäftigungsverhältnisse sind, die gar nicht mehr so abgesichert sind. Da werden die ganzen Schutzstandards, die wir haben in unserer Arbeitswelt, durch den Arbeitsvertrag, auch durch die Mitbestimmung, die gelten dort nicht."
Der Austausch von Unternehmern und Gewerkschaftlern zu diesem Thema ist so jung wie das Phänomen Crowdworking selbst. Hans Speidel berichtet von Foren des Austauschs, die seine Firma auf der Plattform betreibt, irgendwie sei das schon so etwas wie ein Betriebsrat.
"Ja, das gibt es schon. Jetzt nicht unbedingt von dem Crowdworker zu uns, in die Richtung, sondern tendenziell eher untereinander. Wir bieten unterschiedliche Kommunikationskanäle an auf unserer Plattform. Das findet tatsächlich statt. Also dieser Austausch, der normalerweise in der Teeküche stattfindet, Abeitsleben, Privatleben, sich auch Tipps geben."
Die Ziele der Gewerkschaft – nämlich zunächst einmal Informationsaustausch – sind davon gar nicht so weit entfernt.
"Also wir wollen versuchen, deswegen haben wir uns des Themas angenommen und sind mit den Crowdworkern auch im Kontakt. Unser Ziel ist es, mit unseren Aktivitäten erst mal rauszufinden, was bewegt eigentlich die Menschen, plattformbasiert zu arbeiten? Was ist da eigentlich die Motivation?"
Und eine Frage bei Olli, dem führerlosen Bus, wäre übrigens auch noch zu klären: Wo geht die Tür zu?
"Jetzt bin ich mal ganz intuitiv … aber mir würde jetzt nicht einfallen, wo ich hier die Tür zu kriege!?" …. "Hier!"