Crystal Meth, Blut und Lügen

Ein scheinbar endloser Hype neigt sich dem Ende zu: Die erfolgreiche Serie "Breaking Bad" geht in die letzte Runde. In ihrem Buch haben die Kulturforscher Christiane Lang und Christoph Dreher die Dramaturgie und Ästhetik der US-amerikanischen Fernsehserie untersucht.
Was taugt das erste deutschsprachige Buch über die Fernsehserie "Breaking Bad"? Man muss dankbar sein für die schiere Existenz des Bandes "Breaking Down Breaking Bad". Denn seitdem die Serie auf ihr Finale zusteuert – am kommenden Sonntag ist es soweit, "all bad things must come to an end" –, wird nur noch in Superlativen davon gesprochen: das Spannendste, Beste, Größte, was das Fernsehen je zu bieten hatte.

Doch Kunstwerke brauchen nicht nur Verehrung, sondern auch Kritik und Kommentar. Schön, dass inzwischen auch im deutschsprachigen Internet jede Folge kurz nach ihrer Ausstrahlung zusammengefasst und gefeiert wird. Wenn aber die These stimmt, Vince Gilligan, der Schöpfer der Show, gehöre in eine Reihe mit Sophokles, Shakespeare und Arthur Miller (so jüngst zu lesen auf www.salon.com), dann hält sein Werk auch Analysen in Buchform stand. Bücher entstehen langsamer als Blogs; dafür sind sie - wenn sie gelingen - genauer, gründlicher, haltbarer, intensiver.

Christine Lang und Christoph Dreher, zwei Kulturwissenschaftler und Filmemacher aus Berlin und Stuttgart, beginnen ihren Band niedrigschwellig: mit einem Besuch am Set. Sie schauen sich um an den Drehorten in Albuquerque, New Mexico, und führen Interviews mit der Crew. "Breaking Bad"-Süchtige werden dieses erste Kapitel gierig verschlingen, schon wegen der Originaltöne ihrer Stars, und doch bieten diese ersten Seiten weit mehr als nur Futter für Fans. Produzentinnen, Autoren, Statisten, Aufnahmeleiter, Kameraleute, Schauspielerinnen, Assistenten ziehen am Leser vorbei.

Reise ins Herz der Finsternis
Und so ist nicht nur mit Händen zu greifen, dass ein rund fünfzigstündiger Film wie dieser, das Werk vieler Köpfe und Hände ist, sondern auch – die Richtlinienkompetenz Vince Gilligans. Nichts geht ohne den "Creator" und "Showrunner". Und zugleich gilt: Gilligan ist nichts ohne sein achtköpfiges Autorenteam und all die anderen. Das gegenwärtige amerikanische Qualitätsfernsehen – Autorenserien von "The Sopranos" und "Six Feet Under" bis "Mad Men" und eben "Breaking Bad" – haben das Verhältnis zwischen Schöpfer-Individuum, kreativem Kollektiv und Sender neu erfunden.

"Breaking Bad" erzählt, wie ein rechtschaffener Jedermann auf die schiefe Bahn gerät; ein unerbittlicher Abstieg in ein Gespinst aus Blut und Lügen. Als Walter White (Bryan Cranston) erfährt, dass er nicht mehr lange zu leben hat – Lungenkrebs, lautet die Diagnose –, nutzt er seine Fähigkeiten als Chemielehrer, um Crystal Meth zu herzustellen. Der Erlös aus dem Verkauf der Droge soll seiner Familie ein Auskommen sichern. Doch keine Drogenproduktion ohne Kriminalität. Der erste Mord ist noch ein Akt der Selbstverteidigung. Später räumt Mr. White Menschen aus dem Weg, um seinen Arbeitsplatz zu sichern, schließlich auch aus Leidenschaft.

Diese unerbittliche Reise ins Herz der Finsternis übt eine magnetische Anziehungskraft aus. Christine Lang und Christoph Dreher gelingt es in den analytischen Teilen des Buches, die Funktionsweisen dieses Magnetismus zu zeigen: mit detaillierten Analysen einzelner Episoden, Charakterstudien der tragenden Figuren, Grafiken, die dramaturgische Bögen veranschaulichen, mit Interpretationen von Farben und Metaphern.

Stubenfliegen weisen auf Flugzeuge hin
So werden zum Beispiel die Bedeutungsschichten der Titelheldin der außergewöhnlichen Episode "Fly - Die Fliege" freigelegt. Mr. White jagt da einer Stubenfliege hinterher, mit Erfolg schließlich – oder auch nicht? Wenn man den Buchautoren folgt, weist dieses Tierchen auf zwei Flugzeuge hin, die in der Serie eine besondere Rolle spielen. Und setzt diese Jagd, inszeniert als intimes Kammerspiel, nicht auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit all unserer Verrichtungen ins Bild?

Wenn es dem Buch an etwas fehlt, ist es jene Eleganz und Erklärungskraft, die ein alles zusammenhaltender Gedanke stiftet. Auch wenn die einzelnen Kapitel voller erhellender Beobachtungen und Theoreme sind, stehen sie unverbunden nebeneinander. Doch das schmälert nicht das Verdienst der Autoren: ein großes TV-Opus seriös in den kulturellen Kanon einzuschreiben.

Besprochen von René Aguigah


Christine Lang, Christoph Dreher:
Breaking Down Breaking Bad. Dramaturgie und Ästhetik einer Fernsehserie

Wilhelm Fink Verlag, München 2013
148 Seiten, 19,90 Euro



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