Wie aus Soldaten Start-up-Gründer werden
Iranische Atommeiler, britische Krankenhäuser, der deutsche Bundestag - mit jedem Hackerangriff wächst das Sicherheitsgeschäft. Warum gerade Start-Ups aus Israel bei der Cyber-Security weltweit vorne mitmischen, liegt auch an der Eliteeinheit 8200.
Ein Bürohaus im Nordosten von Tel Aviv. Von außen sieht der Betonklotz so unscheinbar aus wie ein Shoppingcenter. Wer im zehnten Stock aus dem Fahrstuhl steigt, hat das Gefühl, er sei in einem Raumschiff gelandet.
Die Eingangstür zu den Büros von "Argus Cyber Security" ist mit einem Zugangscode gesichert. Dahinter: verglaste Arbeitskabinen und neonfarbene Sitzbereiche, die ein wenig an Requisiten alter Star-Trek-Filme erinnern. Was hier erdacht wird, hat nichts mit Science Fiction zu tun, sondern mit ganz realen Bedrohungen.
Abwehr von Hackerangriffen auf Autos
Das Start-up Argus entwickelt Konzepte, um Hackerangriffe auf Autos abzuwehren. 30 Millionen US-Dollar haben Investoren aus aller Welt bereits in die Firma gesteckt, unter ihnen der deutsche Autobauer Daimler. Die Branche hat Zukunft, meint Mitbegründer Yaron Galula.
"Autos werden immer stärker vernetzt. Wenn sie mit dem Internet verbunden sind, können sie auch gehackt werden. Unsere Firma entwickelt Schutzsoftware, die in die Fahrzeuge integriert ist. Wir wollen die Autos sicherer machen vor Cyberattacken.”
Eingesetzt wird die Software von Yaron Galula in sogenannten Connected Cars – also Autos, die mit dem Internet verbunden sind. In denen werden die Fahrer zum Beispiel bei Unfällen, Staus oder Unwettern automatisch benachrichtigt, auch Podcasts werden automatisch zum Hören ins Autoradio geladen.
Das ist bequem – aber es gibt Schattenseiten: Hacker können die Kontrolle über die zentrale Steuerung der Connected Cars übernehmen – und die Lenkung oder die Bremsen blockieren. Kenntnisse in der Abwehr solcher Cyberangriffe hat Yaron Galula während seines Dienstes in der israelischen Armee erworben.
"Ich habe zunächst Informatik studiert. Danach bin ich in die Einheit 8200 in der israelischen Armee gegangen. Obwohl ich schon eine komplette Ausbildung hinter mir hatte, lernte ich in der Armee so viel Neues! Ich habe mich zum ersten Mal intensiv mit Cyber Security auseinandergesetzt – das hat mir eine komplett neue Welt eröffnet. Sieben Jahre war ich in der Einheit. Nach dem Ausstieg war ich ein anderer Mensch."
Cyber-Security-Boom in der Startup-Landschaft
Der Cyber-Security-Boom in Israels Startup-Landschaft geht auf die Ausbildung in der Armee zurück. Die Gründer von Marktführern wie "Check Point" oder "Cyber Ark" dienten meist in den nachrichtendienstlichen Abteilungen, zu denen die Einheit 8200 gehört.
"Der Fokus liegt auf der technischen Ausbildung. Aber man lernt auch, eine gewisse Ausdauer zu entwickeln. Wenn man vor scheinbar unlösbaren Aufgaben steht, könnte man auch hinschmeißen und sagen: Ich kann das nicht, ich gehe nach Hause. Das gibt es in der Armee nicht. Dort lernst du, den Kopf an die Wand zu schlagen, bis die Wand bricht – und nicht dein Kopf."
Auf ihrer YouTube-Seite werben die Israel Defence Forces – kurz IDF – um Nachwuchs. Dabei hat die israelische Armee Werbung kaum nötig. Für Frauen und Männer gibt es nach Schule oder Ausbildung eine generelle Wehrpflicht von jeweils zwei bis drei Jahren. Beliebt ist die Armee unter jungen Israelis ohnehin. Die IDF gelten mit hunderttausenden Soldaten und Reservisten als die schlagkräftigste Einsatztruppe im Nahen Osten.
Offener Beschwerdebrief an Netanjahu
Die Eliteeinheit 8200 ist eine der berüchtigtsten Abteilungen in der israelischen Armee. Die Soldaten hören ab und lesen mit, was nützlich sein könnte, ob Telefongespräche oder E-Mails. Sie vereiteln Cyber-Attacken und hacken sich in die Computer ihrer Feinde. So wird bis heute spekuliert, ob die israelische Einheit 8200 hinter dem Computerwurm Stuxnet steckt, der im Jahr 2010 vor allem in Atomkraftwerken im Iran zu Störungen führte.
Bei ihren Einsätzen überschreiten die Elitesoldaten auch ethische Grenzen. 43 Reservisten der Einheit 8200 beschwerten sich 2015 in einem offenen Brief an Premierminister Benjamin Netanjahu über die Spionagepraktiken. Nicht nur Terroristen, auch die palästinensische Zivilbevölkerung würde ausgespäht, heißt es darin.
Details über finanzielle Probleme, die sexuelle Orientierung oder schwere Krankheiten von beschatteten Personen und deren Familien – einfach alles würde gesammelt und mitunter als Druckmittel verwendet. Die Armee stritt alle Anschuldigungen ab und suspendierte die 43 Unterzeichner.
Führend bei der Cyberabwehr
"Shalom!"
"Nice to meet you!"
"Yes, nice to meet you!"
Yair Cohen hat sein Büro in Herzliya, eine halbe Stunde von Argus entfernt. Er hat Antworten zur Frage, warum gerade das kleine Land Israel bei der Cyberabwehr weltweit vorne mitmischt. Cohen diente mehr als 30 Jahre in der israelischen Armee, zuletzt als Kommandeur der Einheit 8200. Heute spürt er im Auftrag von Investmentunternehmen erfolgversprechende Start-ups auf. Der Vorsprung der israelischen Cyberabwehr ist aus der Not geboren, sagt Cohen.
"Die Geschichte von Israel als Hightech-Staat und mittlerweile auch Cyber-Security-Nation beginnt mit dem Jom Kippur Krieg. Er war eine Tragödie für Israel, vor allem aber für die israelischen Geheimdienste. Auch die Einheit 8200 wäre ohne dieses Desaster nicht denkbar."
Am 6. Oktober 1973 starteten Ägypten und Syrien am jüdischen Feiertag Jom Kippur einen Überraschungsangriff auf Israel. Die Armee war darauf nicht vorbereitet. Innerhalb von zweieinhalb Wochen kamen mehr als 2500 israelische Soldaten ums Leben. Ein Schock für das ganze Land. Doch die israelische Staatsführung reagierte. Sie rüstete die Geheimdienste massiv auf, brachte Forschungsabteilungen in die Armee. Mit Erfolg. 8200 ist mittlerweile die größte Einheit innerhalb des israelischen Militärs.
Einheit 8200 ist mit der NSA vergleichbar
"Tausende Soldaten sind heute in der Einheit 8200 beschäftigt! Die Einheit ist nicht ganz so groß wie die US-amerikanische NSA, aber im Grunde recht ähnlich. Die Soldaten sind 18 Jahre alt – sie sind jung, sie sind brillant und sie sind ehrgeizig!"
Schon in den Schulen siebt das Verteidigungsministerium geeignete Kandidaten aus und lockt sie in Programmierkurse. Die Armee hat jedes Jahr 80.000 Rekruten zur Auswahl. Nur die besten kommen durch.
Der Anspruch ist hoch. Die Cybersoldaten werden fast 24 Stunden am Tag gedrillt, sagt Cohen. Von Beginn an arbeiten sie an militärischen Operationen mit. Sie werten große Datenmengen aus, bauen Algorithmen, entwickeln Verteidigungsstrategien in Teamarbeit. Und sie lernen, dass man im Cyberkampf scheitern kann, aber niemals aufgeben darf. Dass sie zu den Besten gehören, sollen sie ruhig wissen.
"Wenn du 18 Jahre alte Soldaten nimmst und ihnen sagst: Sieh her, die ganze Verantwortung für dein Land liegt auf deinen Schultern! Mach was draus! Das bringt eine Menge Selbstvertrauen."
Am Ende sind die Elitesoldaten an der Tastatur fit, um Israel vor Cyberangriffen zu schützen. Und sie sind bestens ausgebildet für den zivilen Arbeitsmarkt. Nach ihrem Dienst gehen sie in die Industrie, in die Wissenschaft oder gründen wie Yaron Galula ihr eigenes Unternehmen. Die 8200-Alumni sind untereinander gut vernetzt, ständig rückt neues Personal aus der Armee nach. Gerade auf die Startup-Szene bereitet das Militär bestens vor, meint der Ex-Kommandeur Yair Cohen.
"Ständig gibt es Engpässe beim Budget oder beim Personal. Dennoch musst du schwierige Aufgaben lösen – und zwar sofort! Du musst strategisch denken können, dem Hacker zwei Schritte voraus sein. Was wird er erfinden, um dir zu schaden? Wie kannst du das verhindern? Die Atmosphäre in der Armee ist wie in einem Start-up!"
Die Regierung hilft Start-up-Gründern
5.000 Startups gibt es in Israel, davon beschäftigen sich allein 300 mit Cyber Security. Die israelische Regierung hilft Gründern nach dem Militärdienst mit Finanzspritzen.
Zwar scheitern 95 Prozent aller Startups, weil ihr Geschäftsmodell nicht aufgeht. Die Regierung aber ist bereit, die Verluste auf sich zu nehmen. Die Start-ups locken schließlich internationale Investoren ins Land. Zwischen zehn und 15 Prozent der weltweiten Investments in Cyber Security fließen in israelische Unternehmen.
Rami Efrati gibt einen Rundgang durch sein Unternehmen "Firmitas Cyber Solutions". Ansässig in Kfar Saba, einem Industriepark nordöstlich von Tel Aviv. Alles ist schlicht gehalten: Ein Großraumbüro mit mausgrauem Teppichboden und dunkelblauen Trennwenden.
Dahinter basteln Programmierer an geheimen Codes. Mit 22 Mitarbeitern entwickelt der Gründer Rami Efrati seit zweieinhalb Jahren Software zum Schutz kritischer Infrastruktur. Zu seinen Kunden gehören General Electric, Siemens oder Mitsubishi.
"Nehmen wir zum Beispiel Medizingeräte. Viele Menschen sind auf Herzschrittmacher angewiesen. Die Ärzte können die Werte überwachen, ganz egal, wo sich der Patient befindet – und zwar online. Das aber birgt Gefahren. Wenn ein Herzschrittmacher mit dem Internet verbunden ist, hat er eine IP-Adresse – und diese Adresse kann gehackt werden. Wie können wir sicherstellen, dass Menschen mit solchen Geräten nicht attackiert werden?"
Fünf Prozent des BIP für Forschung
Rami Efrati hat 28 Jahre lang in der israelischen Armee gedient, die längste Zeit in der Einheit 8200. Im Jahr 2012 erhielt er von Premierminister Benjamin Netanjahu den Auftrag, die zivile Entwicklung der Cyber Security in Israel voranzubringen.
"Premierminister Netanjahu entschied, eine neue Organisation zu gründen: das Israel National Cyber Bureau. Er hat rechtzeitig erkannt, dass Cyberattacken auf die Wirtschaft das Land gefährden können, indem sie Aktienmärkte beeinflussen oder die Energieversorgung lahmlegen. Du brauchst keine Raketen auf Israel zu schießen – eine Cyberattacke genügt!"
Zwei Jahre lang leitete Rami Efrati das National Cyber Bureau im Amtssitz des Premierministers. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Förderprogramme bereitzustellen. Nach Angaben des Außenamts investiert Israel rund fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Forschung und Entwicklung – unter den Ländern der OECD ein Spitzenwert. Die Vernetzung von Industrie, Militär und ziviler Forschung sei ein Teil des Erfolgsrezepts, sagt Unternehmer Efrati.
"Viele Technologien auf dem zivilen Markt wurden ursprünglich fürs Militär entwickelt. Dieser Gedanke lässt sich aber auch umkehren. Ich kann ein Produkt für den zivilen Markt entwerfen, das auch militärisch interessant ist. Zivile und militärische Forschung und Entwicklung zusammenzubringen, ist in Israel weit verbreitet."
Israels Silicon Valley für Cyber Security
Wie das aussehen kann – gemeinsame zivile und militärische Forschung - lässt sich im Technologiepark "Cyber Spark" in Be’er Scheva im Süden Israels erahnen. Hier, wo sich die hügelige Landschaft der Negev-Wüste am Horizont zeigt, wird am Stadtrand kräftig gebaut. Ein Springbrunnen plätschert dahin, wo künftig Israels Silicon Valley für Cyber Security entstehen soll. Momentan stehen zwei Gebäude aus grauem Backstein und verglasten Fronten. Zwei weitere sollen bald folgen. In den nächsten Jahren aber werde es zehn Bürohäuser geben, in denen 10.000 Mitarbeiter Platz haben, sagt Cyber-Spark-Direktor Roni Zehavi.
"Das Arbeitsumfeld von Cyber Spark ist von der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Industrie und der Regierung geprägt. Wir können auf bestens ausgebildete Arbeitskräfte zurückgreifen, von der Ben-Gurion-Universität des Negev, aber auch von der israelischen Armee, die ihr Hauptquartier in den nächsten fünf Jahren hierher verlegt. Das alles auf einem Campus zu vereinen, ist ziemlich einzigartig."
Der Umzug des Hauptquartiers der israelischen Armee lockt bereits Global Player wie die Deutsche Telekom, Paypal und Ernst & Young nach Be’er Sheva. Sie haben sich in den ersten beiden Bürohäusern mit Entwicklerteams eingemietet. Auch die Ben-Gurion-Universität, die Cyber-Security als Studiengang anbietet, freut sich über Bewerber mit Praxiserfahrung. Armee, Hochschule und Industrie schieben sich die Cyberspezialisten gegenseitig zu.
"Wir sprechen auch von einem Spillover Effect. Das bedeutet, dass Cyber Security Spezialisten zwischen ihren Tätigkeiten hin und her springen. Die Leute gehen erst zur Armee, dann zu einem der großen Unternehmen, dann an die Universität. Vielleicht gründen sie ihr eigenes Start-up, bevor sie zurück die Forschung ziehen. Dieser Wechsel bringt mehr Dynamik und neue Ideen ins Arbeitsumfeld."
250 Delegationen aus aller Welt
Letztes Jahr hat Roni Zehavi 250 Delegationen aus aller Welt nach Be’er Scheva geholt, es kamen Vertreter von Regierungen, Behörden und Unternehmen. So bekamen die jungen Cyberspezialisten eine Möglichkeit, sich potenziellen Investoren vorzustellen. In fünf bis zehn Jahren werde Be’er Sheva um 25.000 Einwohner wachsen, ist sich Zehavi sicher. Man arbeite schon an neuen Wohnhäuser und einer besseren Autobahnverbindung. Das israelische Cyberwunder – es hat allerdings zwei Seiten, meint Rami Efrati in Tel Aviv.
"Es gibt zwei Nachrichten, eine gute und eine schlechte. Die schlechte ist: Die Hacker werden immer besser und wir alle sind immer stärker digital vernetzt. Daher wird es immer mehr Cyberattacken geben. Aber die gute Nachricht ist: Das Geschäft mit Cyber Secruity wächst – und zwar dramatisch! Als Israelis müssen wir uns ohnehin besonders gut schützen, also sollten wir das Beste draus machen!"