Cybermobbing

Tatort Klassenchat

Ein Mädchen sitzt mit dem Smartphone in der Hand traurig auf dem Bett.
Cybermobbing bleibt nicht im Klassenchat, sondern wandert ins Kinderzimmer und auf weitere Social-Media-Plattformen. © imago / Panthermedia / AntonioGuillem
Fast jedes fünfte Kind erlebt Cybermobbing: Es wird von anderen jungen Menschen im Internet beleidigt und bedroht. Eine Studie belegt steigende Zahlen. Häufig wird über ein Handyverbot an Schulen diskutiert. Was hilft gegen digitales Mobbing?
Verleumdungen im Klassenchat, bloßstellende Videos, KI-generierte Nacktfotos: Mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland haben schon einmal Cybermobbing erfahren. Das Bündnis gegen Cybermobbing belegt in einer Studie 2024, dass sich das Problem über die Jahre verschärft hat.
Mit teils gravierenden Folgen: Jeder vierte Betroffene äußerte Suizidgedanken. Lehrkräfte seien überfordert, es fehle noch immer an Prävention und Aufklärung. Schon länger wird über Smartphoneverbote an Schulen und über schärfere Gesetze debattiert. Was tun gegen Mobbing im Internet?

Was ist Cybermobbing?

Cybermobbing ist eine Form der digitalen Gewalt, die vor allem Jugendliche und junge Erwachsene betrifft. Eine Person wird dabei in sozialen Medien, in Messenger-Diensten oder Foren von einem oder mehreren Tätern oder Täterinnen beleidigt, bloßgestellt, belästigt, und/oder bedroht.
Auf der Internetseite des Projektes „Aktiv Gegen Digitale Gewalt“ heißt es dazu: „Cybermobbing oder auch Cyberbullying sind Bezeichnungen für systematisches Schikanieren und Quälen von Personen über einen längeren Zeitraum unter Verwendung digitaler Kommunikationsmedien.“ Cybermobbing ist nicht gleichzusetzen mit Hatespeech, also Hassrede, oder Cyberharassment, also Belästigung im Internet.
Anders als Ausgrenzen auf dem Schulhof bleibt digitales Mobbing nicht auf einen Raum begrenzt, betont Iren Schulz von der Initiative Schau hin. Die Dimensionen seien ganz andere: Bild- und Videoinhalte wanderten aus dem Klassenchat „ins echte Leben“, auf andere Social-Media-Plattformen. Es werde ein „riesengroßes, diffuses Publikum“ erreicht. „Da kann es dann auch gar nicht helfen, wenn man die Schule wechselt. Die Tragödie kommt hinterher.“

Wie verbreitet ist Cybermobbing?

Die bundesweite Befragung des Bündnisses gegen Cybermobbing und der Barmer Krankenkasse von 2024 zeigt, dass 18,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler von Cybermobbing betroffen sind. Das sind mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche – fast zwei Prozent mehr als 2022. Die Zahlen steigen seit Jahren: 2017 waren es noch 12,7 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen sieben und zwanzig Jahren.
Zu achtzig Prozent geschieht Cybermobbing an Schulen. Die Studie zeigt auch auf, unter welchen Folgen die Opfer zu leiden haben: Demnach hegt fast jeder Vierte Gedanken an Selbstmord, jeder Achte greife zu Alkohol oder Tabletten. Ein weiteres Drittel der Betroffenen fühle sich dauerhaft belastet.
Uwe Leest, Vorstandschef des Bündnisses, das die Entwicklung seit zehn Jahren im Blick hat, beobachtet eine andere Motivation aufseiten der Täterinnen und Täter: Früher hätten Jugendliche gesagt, Cybermobbing „aus Spaß“ zu betreiben. Heute: „um den anderen fertigzumachen“, der das angeblich auch „verdient“ habe.
Die Jugendlichen müssten aufgeklärt und dafür sensibilisiert werden, welche Auswirkungen ihr Tun für die Opfer habe, so Leest.
Das grundsätzliche Problem aus seiner Sicht: Die weit verbreitete und immer frühere Nutzung von Smartphones und eine „nicht wirksame Prävention“. Dazu müssten Lehrkräfte ausgebildet werden; auch sein Verein unterstütze Schulen. Allerdings stoße man hier wegen deren gewachsener Aufgaben an Grenzen.
Iren Schulz von „Schau hin“ sieht eine gemeinsame Verantwortung von Gesellschaft, Schule und Elternhaus dafür, wie wir miteinander umgehen, auch online. Es gehe um gemeinsame Werte und Konfliktlösungen.

Wo gibt es Hilfe gegen Cybermobbing?

Bei digitaler Gewalt helfen Betroffenen Vereine wie Cybermobbing Hilfe und das Bündnis gegen Cybermobbing. Das Bundesfamilienministerium hat zudem Hinweise zusammengestellt, was Eltern und Jugendliche bei Cybermobbing konkret tun können.
Dazu gehören: Vorfälle dokumentieren, sich an die Plattformbetreiber wenden (Stichwort Netzwerkdurchsetzungsgesetz, NetzDG). Wenn die Täter oder Täterinnen bekannt sind und es möglich ist, das Gespräch mit ihnen selbst oder mit den Eltern suchen und bei massiver Beleidigung und Bedrohung eine Strafanzeige erstatten. Betroffene können sich auch bei Juuuport, einer Beratungsplattform von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Hilfe holen.

Hilft ein Handyverbot an Schulen?

Uwe Leest sieht ein Smartphone-Verbot an Schulen zwar nicht als Lösung, aber es gebe zumindest ein „Zeitfenster“, in denen Jugendliche durchatmen und lernen könnten, ohne Angriffen ausgesetzt zu sein.
Ein Handyverbot an Schulen verschiebe nur den Tatort, sagt Lukas Pohland, der selbst als Schüler vom Cybermobbing betroffen war und den Verein „Cybermobbing Hilfe“ gegründet hat. Zudem beschränke sich Cybermobbing nicht nur auf die Schulzeit, teilweise gehe es erst danach „richtig los“, so Pohland.
Man verhindere durch ein generelles Verbot womöglich peinliche Videos in der Schule, aber das verhindere nicht, dass Täter und Täterinnen dennoch solche Videos anfertigen. Damit ein Verbot wirksam ist, müsse es zudem kontrolliert werden. Lukas Pohland plädiert vielmehr dafür, den Umgang mit einem Smartphone zu lernen und befürwortet ein Schulfach „Medienkompetenz“.
Bisher gibt es zur Handynutzung an Schulen keine bundesweit einheitliche Regelung. Jede Schule kann selbst entscheiden, wie sie den Umgang handhabt. Etwa die Hälfte verbietet das eigene Smartphone auf dem Schulgelände.
Der Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer betont den positiven Effekt auf das soziale Wohlbefinden. Dieser sei sogar größer als derjenige auf die Lernleistungen.
Länder wie Frankreich und Schweden machen mit Handyverboten bereits gute Erfahrungen. In einer Übersichtsstudie haben Augsburger Schulpädagogen Forschungsarbeiten aus fünf Ländern ausgewertet. Mitautor Tobias Böttger sagt, es seien vor allem die Pausen oder Freistunden, in denen Schüler unbeobachtet Social Media nutzten und dann auch Cybermobbing betrieben. Bei einem Verbot könne durch direkte Gespräche der Respekt voreinander wieder wachsen und eine höhere Hemmschwelle für Cybermobbing entstehen.

Was sagt der deutsche Lehrerverband?

Der deutsche Lehrerverband lehnt ein Handyverbot an Schulen ab. Ein absolutes Handyverbot für alle Altersgruppen und den gesamten Schulbereich könne man nicht durchsetzen, sagte Verbandspräsident Stefan Düll der dpa. Viele Eltern wollten, dass ihre Kinder sich für kurzfristige Absprachen melden können.
Gegen digitales Mobbing helfe kaum ein Handyverbot. „Wer mobben will, macht dann nachmittags weiter“, sagte Düll. Er fordert, sich mit den Schülern zusammen Gedanken zu machen, wie man mit digitalen Geräten in der Schule umgeht.

Ist Cybermobbing strafbar?

Ein Gesetz, das digitale Gewalt insgesamt unter Strafe stellt, existiert in Deutschland bislang nicht. Es greifen aber unterschiedliche Strafvorschriften: unter anderem zu Beleidigungsdelikten (Paragraf 185 StGB), Nötigung (Paragraf 240 StGB) oder Bedrohung (Paragraf 241 StGB).
Laut Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) müssen rechtswidrige Inhalte zudem von Plattformbetreibern gelöscht oder gesperrt werden. Die Betroffenen sind dabei aber darauf angewiesen, dass die Tech-Konzerne aktiv werden.

Was plant der Gesetzgeber?

Wer im Internet beleidigt, bedroht oder verleumdet wird, soll sich künftig leichter zur Wehr setzen können. Betroffene sollen leichter die IP-Adressen der Urheber erhalten können, um gegebenenfalls zivilrechtlich dagegen vorzugehen.
Laut einem Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums sollen betroffene Personen „unter gewissen Voraussetzungen“ per Gericht eine Sperre von Social-Media-Konten erwirken können. Dies soll bei „schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen“ möglich sein – vor allem dann, wenn „Wiederholungsgefahr“ besteht. Die Sperre soll „verhältnismäßig“ und auch nur zeitlich befristet erfolgen.
Netzaktivisten kritisierten den Gesetzentwurf zum Teil scharf. Er schieße in Teilen weit über das Ziel hinaus. So soll der Auskunftsanspruch zur Identität eines Verfassers nicht nur für Straftaten im Bereich der sogenannten Hasskriminalität gelten, sondern beispielsweise auch bei „Schädigung durch wahrheitswidrige Nutzerkommentare“ in Online-Restaurantbewertungen.
Der Chaos Computer Club (CCC) warnte eindringlich vor dem geplanten Gesetz, das „erhebliche Gefahren für die Bürgerrechte und die informationelle Selbstbestimmung“ berge.

th, bth
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