Cyberwar und Clausewitz

Von Malte Herwig |
Innerhalb weniger Minuten bricht aufgrund eines landesweiten Stromausfalls der Verkehr in den Großstädten zusammen. Giftgas-Wolken entweichen aus Chemiefabriken, Raffinerien brennen, Züge entgleisen, Satelliten trudeln ins All und Flugzeuge stürzen ab. Das Finanzsystem bricht ebenso zusammen wie die Grundversorgung der Bevölkerung. Landesweite Hungersnöte, Plünderungen und Aufruhr sind die Folge.
Was Richard Clarke in seinem Buch "Cyber War" beschreibt, klingt wie das Szenario aus einem Atomkriegsfilm. Doch man braucht keine Bombe, um eine solche Katastrophe herbeizuführen. Es reicht bereits ein Computer. Durch die weltweite Vernetzung über das Internet ist eine neue Form der Kriegsführung entstanden: der Cyberwar. Das Schlachtfeld der Zukunft sind Computernetze. Schon jetzt infiltrieren Hacker die Netzwerke und Infrastrukturen anderer Nationen, um dort elektronische Falltüren und Logikbomben zu verstecken.

Doch während das amerikanische Militär mit reißerischen Werbevideos junge Computer-Freaks für den Dienst im neuen US-Cyber-Kommando zu gewinnen versucht, übt man sich hierzulande in vornehmer Zurückhaltung. Die Bundeswehr befinde sich im "Bereich der Computer Network Operations noch in der Konzeptionsphase", heißt es auf Anfrage im Verteidigungsministerium.

Dabei kam es bereits mehrfach zu Cyber-Angriffen auch auf Deutschland. Schon vor zwei Jahren berichtete der baden-württembergische Verfassungsschutz von "massiven Internetattacken auf deutsche Regierungsstellen und Unternehmen". Betroffen waren nahezu sämtliche Branchen von der Rüstungsindustrie über den Automobil-, Chemie- und Pharmasektor bis hin zu Finanzdienstleistern. 2007 drangen chinesische Hacker sogar in Computer des Berliner Kanzleramts ein. Zwei Jahre später verseuchte ein gezielt eingeschleuster Computer-Wurm mehrere Hundert Bundeswehr-Computer.

Zwanzig bis dreißig Staaten – darunter Russland, Südkorea, Indien, Pakistan, Frankreich und Israel – haben bereits schlagkräftige Online-Armeen für den Cyber-Krieg aufgestellt. Sie rekrutieren Meister-Hacker und rüsten ihre virtuellen Arsenale mit Viren, Würmern und Wanzen auf.

Die Vernetzung der modernen Militärtechnik ist gleichzeitig die größte Achillesverse der heutigen Hightech-Rüstung. Die Kampfjets und Flugzeugträger des US-Militärs wären ohne das Internet genauso wenig arbeitsfähig wie der Internet-Händler Amazon. Viren und Würmer können so auch im Kampf "David gegen Goliath" zu einer gefährlichen Waffe werden.

In keinem Konflikt der Militärgeschichte waren also Geschwindigkeit, Voraussicht und schnelles Reaktionsvermögen so wichtig wie im neuen digitalen Datenkrieg. Die Bundeswehr-Strategen wären daher gut beraten, neben ihrem Clausewitz auch Clarkes "Cyberwar" zu studieren. Schließlich war der preußische General seiner Zeit voraus. Er schrieb schon vor 200 Jahren: "Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen."

Malte Herwig ist Journalist, Literaturkritiker und Auslandsreporter. Geboren 1972 in Kassel, studierte er in Mainz, Oxford und Harvard Literaturwissenschaften, Geschichte und Politik. Nach der Promotion in Oxford wurde er Journalist und schreibt seitdem unter anderem für die New York Times, Zeit, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine und Vanity Fair. Zuletzt war er mehrere Jahre Redakteur im Kulturressort des Spiegel und lebt nun als freier Autor in Hamburg. Für sein Buch "Bildungsbürger auf Abwegen" (Verlag Vittorio Klostermann) erhielt er 2004 den Thomas-Mann-Förderpreis. Zuletzt erschien "Eliten in einer egalitären Welt" (wjs-Verlag).

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